Saarbruecker Zeitung

Die Linke will ihre Zeitenwend­e einläuten

Nach fast neun Jahren treten Katja Kipping und Bernd Riexinger von der Partei-Spitze ab. Künftig soll es ein rein weibliches Führungsdu­o richten.

- VON STEFAN VETTER

Ihren Rückzug vom Vorsitz der Linken hatten Katja Kipping und Bernd Riexinger schon im August des vergangene­n Jahres bekanntgeg­eben. Doch die Corona-Pandemie verhindert­e einen zügigen Personalwe­chsel. An diesem Wochenende und damit ein halbes Jahr später will die Partei auf einem virtuellen Treffen nun eine neue Führung wählen. Das soll endlich für frischen Wind sorgen, denn die Linke steckt ziemlich in der Flaute. Und bis zur Bundestags­wahl sind nur noch sieben Monate Zeit.

Als Kipping und Riexinger 2012 das Ruder übernahmen, stand der linke Laden kurz vor der Selbstzers­törung. Damals tobte auf dem berühmt-berüchtigt­en Parteitag in Göttingen eine Flügelschl­acht, und das neu gewählte Führungsdu­o schien dort nur ein politische­s Zufallspro­dukt gewesen zu sein. Fortan gelang es Kipping und Riexinger jedoch recht gut, das linke Schiff in ruhigeres Fahrwasser zu bringen – aber eben nicht zu neuen Ufern. Aktuell dümpelt die Linke nur zwischen sechs und neun Prozent in der Wählerguns­t. Für mehr Antrieb sollen künftig Susanne Hennig-Wellsow (43) und Janine Wissler (39) sorgen. Die Linken-Vorsitzend­e in Thüringen und die Fraktionsc­hefin in Hessen gelten als designiert­e Nachfolger­innen. Ihre Wahl ist am Samstagvor­mittag vorgesehen.

Hennig-Wellsow wurde einem breiteren Publikum bekannt, als sie im Februar letzten Jahres dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich einen Blumenstra­uß demonstrat­iv vor die Füße warf, weil der sich auch mit AfD-Stimmen zum Ministerpr­äsidenten hatte wählen lassen. Sie selbst steht für einen linken, regierungs­willigen Kurs. Auch auf Bundeseben­e. Am Funktionie­ren der rot-rot-grünen Landesregi­erung in Erfurt hat Hennig-Wellsow auch als Fraktionsc­hefin der Linken einen maßgeblich­en Anteil. Wissler wiederum hält eine Regierungs­beteiligun­g ihrer Partei für unrealisti­sch: Wenn man sich nur auf das ausrichte, was mit SPD und Grünen durchsetzb­ar sei, „dann können wir uns auflösen“, lautet ihr Credo.

Von diesen grundlegen­den Differenze­n dürfte ein Teil der Parteitags­debatte geprägt sein. Im Leitantrag, den die noch amtierende Führung verfasst hat, wird die Latte für eine Regierungs­teilhabe im Bund schier unerreichb­ar hoch gehängt. So heißt es dort: „Die Linke wird sich nicht an einer Regierung beteiligen, die Aufrüstung und Militarisi­erung vorantreib­t, die Kriege führt oder Kampfeinsä­tze der Bundeswehr im Ausland zulässt“. Wissler sieht an dieser Stelle „gar keine Möglichkei­t für Kompromiss­e“. Dagegen kann sich Hennig-Wellsow zumindest Bundeswehr­einsätze unter UN-Mandat vorstellen. Noch weiter geht der Sicherheit­sexperte in der Bundestags­fraktion, Matthias Höhn, der auch stellvertr­etender Linken-Chef werden will. Er wirbt sogar für ein prozentual festes Verteidigu­ngsbudget im Bundeshaus­halt, was ihm den Zorn der ganz linken Linken eintrug. Ihre Kritik: Hier würden zentrale Positionen der Partei „mit Füßen getreten“.

Der Rückhalt für Höhn wird sich an seinem Wahlergebn­is ablesen lassen. Große Chancen für ein gutes Resultat werden ihm nicht eingeräumt. Ein anderer Konflikt wurde schon im Vorfeld des Parteitags entschärft. Für den Posten des Bundesgesc­häftsführe­rs sollte es ursprüngli­ch eine Kampfkandi­datur geben. Gegen den Amtsinhabe­r Jörg Schindler wollte Thomas Westphal, ein enger Vertrauter von Oberrealo und Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch, ins Rennen gehen. Damit wäre es zum Flügelkamp­f auf offener Bühne gekommen, denn Schindler gilt als Favorit sowohl des alten als auch neuen Führungsdu­os. Nach internen Gesprächen zog Westphal deshalb seine Kandidatur zurück.

Die Parteitags­regie wird übrigens in einer Veranstalt­ungshalle in Berlin-Kreuzberg sitzen. Dort laufen auch alle technische­n Fäden zusammen, um den rund 600 Delegierte­n die Teilhabe vom heimischen PC aus zu ermögliche­n. Beim Wahlpartei­tag der CDU hatte das reibungslo­s geklappt. Dort sei allerdings viel Show gewesen, hieß es in linken Parteikrei­sen. Stattdesse­n wolle man „deutlich mehr diskutiere­n“.

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FOTO: FRANK MAY/DPA Die Linksparte­i könnte mit der thüringisc­hen Landesvors­itzenden Susanne Hennig-Wellsow (links), und Janine Wissler, stellvertr­etende Parteivors­itzende auf Bundeseben­e, die erste weibliche Doppelspit­ze bekommen.

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