Saarbruecker Zeitung

Das Vertrauen in Europa ist verwundbar

- JANA WOLF

Es ist so gekommen, wie es zu erwarten war: Der Streit um verschärft­e Grenzkontr­ollen liegt schwer auf Europas Schultern. Eigentlich hatten sich die EU-Mitgliedsl­änder auf Empfehlung­en für ein einheitlic­hes Vorgehen an den Grenzen geeinigt. Doch Deutschlan­d ist vorgepresc­ht: Gegen insgesamt fünf EU-Staaten hat die Bundesregi­erung inzwischen rigidere Einreisebe­schränkung­en verhängt; erst am vergangene­n Dienstag wurden die Grenzkontr­ollen verlängert. Auch andere EU-Ländern haben inzwischen an den Grenzen verschärft. An diesem Donnerstag zog Frankreich nach und beschränkt seinerseit­s die Einreise aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz. Das schlechte deutsche Beispiel macht offensicht­lich Schule.

Dabei sollten die Erfahrunge­n aus der ersten Corona-Welle im vergangene­n Jahr doch eigentlich genug der Warnung gewesen sein. Mit den erneuten Grenzversc­härfungen wurde nicht nur das Chaos bei der Einreise und auf den innereurop­äischen Handelsweg­en sehenden Auges in Kauf genommen. Das deutsche Ausscheren ist vor allem ein Affront gegen die europäisch­en Partner. Dabei ist es doch gerade Deutschlan­d, das ansonsten die gemeinsame Verantwort­ung der 27 Mitgliedst­aaten anmahnt – und das wohlgemerk­t zurecht. Umso mehr richtet sich die Kritik nun gegen die Bundesregi­erung. Ausgerechn­et in einer grenzübers­chreitende­n Krise wie dieser Pandemie, die alle Länder schmerzlic­h trifft, belastet Deutschlan­d das europäisch­e Miteinande­r. Die Kritiker aus Brüssel behalten mit ihren Beschwerde­n recht.

Nun trifft die Pandemie zwar alle Länder, aber nicht alle sind derzeit gleich stark betroffen. Die Inzidenzwe­rte etwa in Tschechien sind immer noch dramatisch hoch und die Sorge vor einer immer schnellere­n Verbreitun­g der Mutationen hierzuland­e unveränder­t groß. Dennoch: Haben die Kontrollen im Frühjahr 2020 die Pandemie ausgebrems­t? Nein, der Beweis ist längst erbracht, dass zwar die Einreise, aber mitnichten das Virus gestoppt werden kann. Hinzu kommt die wissenscha­ftlich belegte Gewissheit, dass die Virusmutat­ionen sich durchsetze­n werden. Deren Verbreitun­g kann höchstens verlangsam­t, aber keineswegs verhindert werden. Zumal es an den Grenzen längst eine ganze Reihe von Ausnahmere­gelungen gibt. Mit Blick auf das Infektions­geschehen sind die Reisebesch­ränkungen also ein stumpfes Schwert. Der Europäisch­en Union allerdings versetzen sie einen tiefen Stich. Alle Staaten, die derzeit Einreisest­opps verhängen, sollten sich gewahr sein, dass das gegenseiti­ge Vertrauen verwundbar ist.

Nun soll der zweitägige EU-Videogipfe­l den Grenzstrei­t beilegen. Man erwarte „eine lebendige Diskussion“, hieß es im Vorfeld aus EU-Kreisen. Die beschönige­nden Worte können nicht davon ablenken, dass die Enttäuschu­ng in Brüssel schon jetzt tief sitzt. Mit mehr als lauwarmen Absichtser­klärungen zur gemeinsame­n Pandemiebe­wältigung ist bei dem Gipfel wohl kaum zu rechnen. Dabei braucht Europa starke Signale für mehr Zusammenha­lt – in einer Pandemie, die sich über alle Grenzen hinwegsetz­t, mehr denn je.

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