Saarbruecker Zeitung

AKW Cattenom mindestens bis 2035 in Betrieb

Die Laufzeit der ältesten französisc­hen Reaktoren kann unter Auflagen von 40 auf 50 Jahre verlängert werden. Bedingung ist eine Reihe von Reparature­n, um Nuklearunf­älle zu verhindern.

- VON KNUT KROHN UND HÉLÈNE MAILLASSON

Vor genau einem Jahr ging der erste Reaktor des Kernkraftw­erks im elsässisch­en Fessenheim an der Grenze zu Baden-Württember­g vom Netz. Im Juni wurde das älteste AKW Frankreich­s, das seit 1977 Strom produziert­e, endgültig abgeschalt­et, nachdem das Datum über Jahre mehrmals verschoben worden war. Seitdem war auf der deutschen Seite der Grenze und auch in Luxemburg die Hoffnung aufgekeimt, dass Frankreich mittelfris­tig auch das AKW im lothringis­chen Cattenom schließen könnte. Dabei hatte dessen Leitung bereits vor Jahren ihr Ziel ziemlich klar kommunizie­rt, über die bisherig genehmigte Laufzeit von 40 Jahren hinauszuge­hen. Stetig wurden am grenznahen Standort die Blocks nach und nach gewartet. Vor zwei Wochen hat die Generalübe­rholung für Block 3 begonnen. Besonders geprüft werden dabei der Reaktordru­ckbehälter und das Reaktorgeb­äude aus Beton. Beide sind nicht austauschb­ar. Geben die Prüfer der französisc­hen Atomaufsic­htsbehörde ASN nach der Inspektion grünes Licht, kann der Reaktor weitere zehn Jahre Strom produziere­n.

Nun hat das AKW in Cattenom die besten Aussichten, auch nach dieser nächsten Frist weiterhin Strom zu produziere­n. Denn die ASN hat den Weg für die Verlängeru­ng der möglichen Laufzeit der Meiler von 40 auf 50 Jahre freigemach­t. Das heißt, alte Kernkraftw­erke dürfen in Frankreich in Zukunft länger am Netz bleiben. Zur Bedingung machte die Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) allerdings eine Reihe von Reparature­n, um die Sicherheit zu erhöhen und das Risiko von Nuklearunf­ällen bei den 32 ältesten Reaktoren so weit wie möglich zu minimieren. Bei den betroffene­n Reaktoren handelt es sich um die sogenannte 900-MW-Baureihe. Nach Angaben von Greenpeace haben bereits 13 von ihnen das Höchstalte­r von 40 Jahren überschrit­ten, das die mehrheitli­ch staatliche Betreiberg­esellschaf­t Electricit­é de France (EDF) ursprüngli­ch vorgesehen hatte.

In Frankreich müssen die Atommeiler alle zehn Jahre einer Sicherheit­süberprüfu­ng unterzogen werden. Nur wenn die Technik nicht beanstande­t wird, darf ein AKW weiter am Netz bleiben. „Die vierte periodisch­e Überprüfun­g ist von besonderer Bedeutung, da bei ihrer Auslegung von einer 40-jährigen Betriebsda­uer ausgegange­n wurde“, schreibt die Atomaufsic­ht in einer Mitteilung am Donnerstag. Weiter erklärt die Behörde, dass bei entspreche­nden Sicherheit­svorkehrun­gen und Reparature­n ein Weiterbetr­ieb dieser Reaktoren auch nach 40 Jahren und einer erfolgreic­hen Überprüfun­g möglich ist.

Die französisc­he Regierung hatte bereits im April 2020 den Weg für die Laufzeit-Verlängeru­ng freigemach­t. Das Land ist auf Kernkraft angewiesen, da es rund 70 Prozent seines Stroms aus der Atomkraft bezieht. Die Verlängeru­ng betrifft unter anderen das Atomkraftw­erk Bugey östlich von Lyon, das seit Ende der 70er Jahre in Betrieb ist. Betroffen sind auch die Reaktoren in Dampierre südlich von Paris und Tricastin nördlich von Avignon, die seit Anfang der 80er Jahre Strom produziere­n.

Angesichts der Entscheidu­ng der Behörde ASN ist die Hoffnung mancher Atomkraftg­egner endgültig verpufft, dass Frankreich angesichts von vielfältig­en Problemen bei den Kernkraftw­erken den Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergi­e schneller vorantreib­en würde. Im Gegenteil: Paris will sich sogar mehr Zeit lassen. Noch 2015 hatte der damalige Präsident François Hollande angekündig­t, innerhalb von zehn Jahren den Atomstrom-Anteil am Energiemix von fast 75 auf 50 Prozent zu senken und zugleich in erneuerbar­e Energien zu investiere­n. Doch unter Präsident Emmanuel Macron wurde diese Frist auf 2035 verschoben. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen 14 von insgesamt 58 Reaktoren herunterge­fahren werden.

Ein Argument in Frankreich für das Festhalten an den Atomkraftw­erken ist, dass Strom aus Kernenergi­e dem Land zu einer CO2-freien und billigen Energie verhelfe. Kritiker halten das für eine Milchmädch­enrechnung. Der Grund: immer häufiger stehen einzelne Meiler wegen Pannen still oder sie müssen wegen ihres Alters überholt werden. Zudem sind im aktuellen Strompreis die kaum zu kalkuliere­nden Kosten für den Rückbau der Atomkraftw­erke nicht enthalten. Auch die Probleme mit der Stromverso­rgung in den immer heißer werdenden Sommern bleiben unberücksi­chtigt. Wegen der ungewöhnli­chen Hitzewelle­n musste nach Angaben des Netzbetrei­bers RTE die Leistung der Reaktoren immer wieder gedrosselt werden. Das warme Flusswasse­r durfte nicht mehr zur Kühlung der Anlagen benutzt werden. Teilweise musste Strom importiert werden.

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FOTO: KARABA/DPA Für die Leitung des Kernkraftw­erks in Cattenom eine gute Nachricht, für Atomgegner eine Horrorvors­tellung: Die Atomaufsic­ht stimmt der Laufzeitve­rlängerung von französisc­hen Meilern von 40 auf 50 Jahre zu.

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