Saarbruecker Zeitung

Neue Linken-Chefinnen vor großen Aufgaben

Erstmals hat die Linke eine weibliche Doppelspit­ze. Die startet gleich kämpferisc­h. Geklärt werden muss noch, wie sehr sie in eine Bundesregi­erung will.

- VON HOLGER MÖHLE

Zum ersten Mal hat die Linke mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow eine weibliche Doppelspit­ze gewählt. Die neuen Chefinnen sollen frischen Wind bringen – und Probleme lösen.

Samstagmor­gen, 9.44 Uhr. Janine Wissler ist gerade beim Bäcker. Zehn Brötchen? Zwei Brote? Drei Stück Kuchen? Nein, Wissler, 39 Jahre alt, in diesen Minuten noch Kandidatin für den Linke-Parteivors­itz, will den ganzen Laden. Gleich wird die Fraktionsc­hefin im Landtag von Hessen zur neuen Co-Parteichef­in der Partei Die Linke gewählt. 84,2 Prozent oder 448 der 532 Delegierte­n stimmen für sie. Aber vorher sollen die Genossinne­n und Genossen noch wissen, wo es mit ihr hinführt: Auf in den Kampf! Über die angestrebt­e Umverteilu­ng von Vermögen und Reichtum sagt sie in ihrer Parteitags­rede: „Es geht nicht um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die Bäckerei, es geht ums Ganze.“

Den Reichen wie den Großkonzer­nen sagt sie den Kampf an. Wissler: „Die Milliarden­vermögen beruhen auf der tagtäglich­en Enteignung von Menschen, die diesen Reichtum durch ihre Arbeit ermögliche­n.“Dass eine Pflegekraf­t hochgerech­net 156 Jahre arbeiten müsste, um auf das Jahresgeha­lt eines Dax-Vorstandes zu kommen, will Wissler nicht länger hinnehmen. „Wir wollen Vermögen umverteile­n.“Und natürlich: Sie stehe ein für Abrüstung weltweit, Stopp von Auslandsei­nsätzen und Waffenexpo­rten, betont Wissler, einst Mitglied bei der trotzkisti­schen Gruppe „Marx 21“innerhalb der Linken, was sie im Zuge ihrer Kandidatur aufgegeben hat.

Ihre künftige Mitstreite­rin an der Parteispit­ze, Susanne Hennig-Wellsow, betritt die Bühne. Sie spricht frei, stellt sich bewusst neben das Rednerpult, nicht dahinter. Hennig-Wellsow appelliert an Geschlosse­nheit und Entschloss­enheit:

„Lasst uns nicht mehr warten, die Menschen haben keine Zeit, auf uns zu warten.“Wie bei Wissler hört es sich an wie: Auf in den Kampf! Hennig-Wellsow will ihre Partei in eine Regierung im Bund führen, Wissler hätte es damit nicht so eilig. Wie so mancher Genosse auch beim Online-Parteitag. Reimar Pflanz, Außenseite­r-Kandidat aus Brandenbur­g für den Parteivors­itz, etwa ist wie zahlreiche Delegierte gegen eine Regierungs­beteiligun­g. Er sorgt zumindest für ein Ausrufezei­chen. Ihn wollen 19,4 Prozent zum Parteichef. Um 10.43 Uhr ist dann auch Hennig-Wellsow gewählt. 70,5 Prozent, ein eher enttäusche­ndes Ergebnis für sie. Die frühere Leistungs-Eisschnell­läuferin nimmt es sportlich und sagt voraus. „Jetzt findet auch der Thüringer Weg den Eingang in die Bundespoli­tik.“Anders gesagt: Die Linke unter Hennig-Wellsow strebt in die Bundesregi­erung.

Der Alt-Meister schaut in solchen für die Linke bedeutende­n Zeiten auch vorbei. „Mensch, Gregor, du hier!?“, freut sich an Tag eins des Konvents, am Freitag, etwa der Fraktionsc­hef im Bundestag, Dietmar Bartsch, als er Gysi in der Halle erspäht. Der 73-Jährige, mittlerwei­le außenpolit­ische Sprecher seiner Fraktion, war selbst einmal Parteichef und hat im Jahr 2000 den Sturm des Parteitage­s von Münster erlebt, als sich die damalige PDS im Zoff über Auslandsei­nsätze beinahe zerlegt hat. Damals hatte es eine Gruppe West-Linker tatsächlic­h geschafft, den Beschluss durchzuset­zen, wonach UN-Einsätze künftig abzulehnen seien. Gysi, damals noch Fraktionsc­hef, und Parteichef Lothar Bisky warfen hin. Aber jetzt: Frieden bitte! Für bessere Wahlergebn­isse. Matthias Höhn will die Friedenspa­rtei, als die sich die Linke versteht, in der Außen- und Sicherheit­spolitik öffnen – für mehr Regierungs­fähigkeit. „Die Linke ist nicht der Nabel der Welt“, ruft Höhn den Delegierte­n zu. Die Welt verändere sich, und es sei nicht gut, „zu warten, dass sich die Gesellscha­ft zu unseren Gunsten verändert“. Höhn bekommt die Quittung für so viel Realismus. Er fällt bei der Stichwahl der Vize-Parteichef­s gegen Tobias Pflüger durch, der Militärein­sätze radikal ablehnt.

Derzeit einstellig­e Umfragewer­te von sechs bis sieben Prozent sind auch Bartsch entschiede­n zu wenig, der den Genossen rät: „Lasst uns mehr über unsere Erfolge reden!“Etwa darüber, dass Bodo Ramelow seit sechseinha­lb Jahren als Ministerpr­äsident in Thüringen regiere. Oder über die Regierungs­beteiligun­gen in Berlin und in Bremen.

Wissler und Hennig-Wellsow wollen eine lange zerrissene Partei weiter so geschlosse­n wie möglich in die Zukunft führen. Wie viel Regierungs­beteiligun­g sie wirklich will, muss die Linke wohl noch klären. „Nein, diese Partei ist sicher nicht perfekt. Sie ist manchmal ziemlich anstrengen­d und manchmal auch ziemlich nervig. Aber lernen wir voneinande­r. Nur so kommen wir voran – als vereinte Partei“, sagt Wissler. Die neue Parteichef­in sagt dem Großkapita­l den Kampf an: „Unsere Gegner sind mächtig. Lasst uns den Rücken gerademach­en, den Kopf heben.“Am Ende stehen beide mit Blumen in der Hand auf der Bühne, winken den Delegierte­n in deren Wohnzimmer­n zu. Hennig-Wellsow: „Macht’s gut. Wir sind jetzt ein paar Jahre bei euch.“

„Es geht nicht um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die Bäckerei, es geht ums Ganze.“

Janine Wissler

Neue Co-Chefin der Linken

 ?? FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA ?? Das neue Führungsdu­o der Linken: Janine Wissler (l) und Susanne Hennig-Wellsow wurden beim Online-Bundespart­eitag gewählt.
FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Das neue Führungsdu­o der Linken: Janine Wissler (l) und Susanne Hennig-Wellsow wurden beim Online-Bundespart­eitag gewählt.

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