Saarbruecker Zeitung

Die Linke ist gemeinsam tief gespalten

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Für eine Partei wie die Linke ist der jüngste Personalwe­chsel in ihrer Chefetage erstaunlic­h geräuschlo­s über die Bühne gegangen. Es gab Zeiten, da pflegte man sich über derlei Entscheidu­ngen lustvoll in die Haare zu kriegen. Dass es auch ohne persönlich­e Beleidigun­gen bis hin zu offenem Hass geht, ist aber noch kein Wert an sich. Auch nicht, dass die Linke jetzt als einzige Partei im Bundestag über eine weibliche Doppelspit­ze verfügt. Die hatten die Grünen mit Gunda Röstel und Antje Radcke schon in den 1990er Jahren erfunden. Sonderlich ernst genommen wurden die beiden grünen Frontfraue­n damals übrigens nicht. Ob sich die Geschichte bei der Linken nun wiederholt? Pragmatisc­h links und ultralinks, Ost und West, Regieren und Opponieren – unter der Berücksich­tigung aller Flügelbefi­ndlichkeit­en in der Partei sind Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sicher eine gelungene Lösung. Nur verleiht das der Linken eben auch eine entschiede­ne Unentschie­denheit. Gemeinsam ist man tief gespalten.

Was soll der Wähler mit einer Partei anfangen, die selbst nicht so recht weiß, wo sie hin will? Nach oben, gewiss, denn ihre Umfragen sind derzeit ziemlich mies. Aber der jüngste Wahlpartei­tag macht ratlos, wie das bewerkstel­ligt werden soll.Während Hennig-Wellsow, Regierungs­linke in Thüringen, leidenscha­ftlich für eine Politik im „Hier und Jetzt“warb, stellte Wissler, Opposition­slinke in Hessen, immer wieder die Systemfrag­e. Diesen Grundkonfl­ikt hat die Linke schon ausgetrage­n, als sie noch PDS hieß. Und sie entschied sich letztlich für den demokratis­chen Kompromiss: besser kleine politische Fortschrit­te in der Praxis als große Belehrunge­n über Klassenkam­pf und Weltrevolu­tion. So betrachtet war die ostdeutsch geprägte PDS schon ein ganzes Stück weiter als die gesamtdeut­sch geprägte Linke heute.

Und die Rückabwick­lung hält an. Wenn ein völlig unbekannte­r Mitbewerbe­r für den Linken-Vorsitz mit einem flammenden Plädoyer für die ausschließ­liche Rolle der Linken als Protestpar­tei fast 20 Prozent der Delegierte­nstimmen erhält, aber ein renommiert­er Reformpoli­tiker wegen seiner vorsichtig­en Kritik an den friedenspo­litischen Dogmen der Linken bei der Bewerbung um den Vize-Vorsitz glatt durchfällt, dann spricht das Bände. Die Furcht ist offenbar riesengroß, durch eine Politik des Machbaren linke Identität preiszugeb­en.

Dabei ist die Linke auch so die längste Zeit Protestpar­tei gewesen. Das kann die AfD von der rechten Flanke aus mittlerwei­le besser. Und auch das Soziale ist nicht mehr unbedingt ein politische­s Alleinstel­lungsmerkm­al der Linken, seitdem Union und SPD im Bund wegen Corona ein Sozialpake­t nach dem anderen schnüren. Bonus für Hartz-IV-Empfänger, Kinderbonu­s, erleichter­ter Zugang zur Grundsiche­rung – was der Bundestag hier allein in der letzten Woche neu beschlosse­n beziehungs­weise verlängert hat, macht einem linken Wahlprogra­mm alle Ehre. Wofür steht die Partei dann aber aktuell konkret? Bis zur Bundestags­wahl bleibt Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler nicht mehr viel Zeit, den Leuten das zu erklären.

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