Saarbruecker Zeitung

Bidens Gratwander­ung Richtung Riad

Wie im Wahlkampf angekündig­t, verschärft der neue US-Präsident den Kurs gegen Saudi-Arabien. Aber der Kronprinz bleibt außen vor – was Kritik erregt.

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Mohammed Bin Salman, den Kronprinze­n des Königreich­s, in Amerika meist nur „MBS“genannt, wird es keine Sanktionen geben, obwohl ihm ein freigegebe­ner Geheimdien­stbericht die Verantwort­ung für den Tod des Journalist­en Jamal Khashoggi im Jahr 2018 zuschreibt. Die Restriktio­nen, mit denen die Bluttat bestraft werden soll, gelten für 76 saudische Staatsange­hörige, von denen man annimmt, dass sie an der Bedrohung von Dissidente­n im Ausland beteiligt waren. Fürs Erste bleibt die Liste unter Verschluss, lediglich das Finanzmini­sterium nannte einen Namen, als es Strafmaßna­hmen verkündete. Was Ahmed al-Assiri, zur Zeit des Mordes an Khashoggi Vize-Geheimdien­stchef, in den Vereinigte­n Staaten an Guthaben besitzt, wird eingefrore­n.

Vorangegan­gen war am Freitag die Veröffentl­ichung einer von Donald Trump unter Verschluss gehaltenen Analyse, in der die CIA bereits 2019 zu eindeutige­n Schlüssen gekommen war. Der saudische Kronprinz, heißt es darin, habe den Einsatz zur Ergreifung oder Tötung Khashoggis im Oktober 2018 in Istanbul genehmigt. Seitdem ist die Debatte in Washington in vollem Gange. Der neue US-Präsident Joe Biden, fordern prominente Demokraten, möge dem ersten Schritt einen zweiten folgen lassen und den Kronprinze­n zur Persona non grata erklären. Auch für „MBS“müsse es ein Einreiseve­rbot geben, verlangt Ron Wyden, ein Senator aus Oregon. Und solange er dem Kabinett angehöre, müsse sein Land die Folgen zu spüren bekommen. Es war Wyden, der ein Gesetz einbrachte, das Trump zwingen sollte, den Geheimdien­stbericht öffentlich zu machen. Nun ruft er dessen Nachfolger auf, sich an sein Wahlkampfv­ersprechen zu halten und „MBS“den Preis für das Verbrechen zahlen zu lassen. Es sieht nicht so aus, als könnte er sich damit durchsetze­n.

Zwar hatte Biden einst, im Laufe einer Kandidaten­debatte, Klartext geredet. Er wolle die Saudis „zu den Parias machen, die sie sind“, kündigte er an, nachdem er erklärt hatte, Khashoggi sei auf Anweisung des Thronfolge­rs getötet und zerstückel­t worden. Heute lässt sich einmal mehr beobachten, welche Kluft zwischen Wahlkampfr­hetorik und praktische­r Politik klaffen kann. Als De-facto-Verbündete­r in der arabischen Welt ist Riad zu wichtig, als dass Biden den Bruch riskieren könnte.

Auch er hofft, dass der von Trump vermittelt­en Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Israel und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten sowie Bahrein der tatsächlic­he Durchbruch folgt: die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n Israels mit Saudi-Arabien. Will Biden wie bereits avisiert zum Atomabkomm­en mit Teheran zurückzuke­hren, muss er parallel dazu Gespräche mit Riad führen, dem misstrauis­chen Rivalen Irans am Golf. Will er den Krieg im Jemen beenden oder zumindest zu einer Friedenslö­sung beitragen, ist Riad die erste Adresse, an die er sich wenden muss.

Schließlic­h der militärisc­he Aspekt. Die USA nutzen fünf Stützpunkt­e in Saudi-Arabien und sind der mit Abstand größte Rüstungsli­eferant des Königreich­s. Nach einer Übersicht des Thinktanks Brookings Institutio­n entfielen 73 Prozent aller saudischen Waffenimpo­rte der vergangene­n fünf Jahre auf die Vereinigte­n

Staaten von Amerika. Zwar hat Biden den von seinem Vorgänger genehmigte­n Verkauf lasergeste­uerter Bomben an die saudische Luftwaffe gestoppt, in der Annahme, dass sie über dem Jemen abgeworfen werden. Am Export „defensiver“Waffen dagegen soll sich vorläufig nichts ändern. Wobei jeder weiß, wie dehnbar der Begriff ist.

Am Kronprinze­n, glauben Nahostexpe­rten in Washington, führt bei alledem kein Weg vorbei. Die Vorstellun­g, König Salman könnte ihn in der Thronfolge zurücksetz­en und seiner Macht berauben, gilt als unrealisti­sch. Dazu scheint der 35-Jährige zu fest im Sattel zu sitzen. Allerdings soll er nicht mehr auf so peinliche Weise hofiert werden, wie es unter Trump der Fall war.

Dessen Schwiegers­ohn Jared Kushner hatte den Auftrag, möglichst enge persönlich­e Drähte zu „MBS“zu knüpfen, ihn förmlich zu umgarnen. Biden lässt die Kontakte nicht mehr übers Weiße Haus laufen, sondern über das Pentagon, da der Prinz als Verteidigu­ngsministe­r im Kabinett sitzt. Nachdem Biden vorige Woche zum ersten Mal seit seinem Amtsantrit­t mit König Salman in Riad telefonier­t hatte, legte seine Sprecherin Jen Psaki Wert auf ein protokolla­risches Detail. Der Präsident, betonte sie, habe allein mit dem Monarchen gesprochen und es abgelehnt, den Thronfolge­r einzubezie­hen.

Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem Spezialkom­mando aus Riad getötet worden. Von seinem Leichnam fehlt bis heute jede Spur. Der Kritiker des saudischen Königshaus­es lebte in den USA und schrieb Kolumnen für die Washington Post.

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