Saarbruecker Zeitung

„Die Briefwahl verändert die Wahlkampf-Planung“

Der Kommunikat­ionsexpert­e über Landtagswa­hlen in Corona-Zeiten, den Trend, schon frühzeitig sein Kreuzchen zu machen – und die Folgen für die Parteien.

-

Schon vor den Wahlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz am Sonntag haben auffällig viele Bürger per Briefwahl abgestimmt. Wie ein solcher Trend das Ergebnis beeinfluss­en kann und welche Rolle die Corona-Krise spielt, erklärt der Geschäftsf­ührer des Heidelberg­er Meinungsfo­rschungsin­stituts IfZ, Thomas Wind.

Herr Wind, wie viel Bundespoli­tik steckt erfahrungs­gemäß in Landtagswa­hlergebnis­sen?

WIND Die Leute wählen entspreche­nd einer gewissen Parteienaf­finität, die auch stark von der Bundespoli­tik beeinfluss­t wird. Das kann sich aber durch populäre politische Persönlich­keiten im Land überlagern. In Baden-Württember­g

bindet Winfried Kretschman­n große Wählerpote­nziale auch über die Grünen hinaus. Ähnlich ist es bei Malu Dreyer für die SPD in Rheinland-Pfalz.

Welche Rolle spielt die Corona-Krise?

WIND Das Krisenmana­gement der Politik vom Impfen bis zum Testen wird immer negativer beurteilt. Die Leute sind entsetzt, dass da vieles schief läuft. Interessan­terweise wird das parteipoli­tisch aber gar nicht so stark verortet, denn andernfall­s müssten Union und SPD am Sonntag gleicherma­ßen abgestraft werden. Das geben die letzten Umfragen aber nicht her. Eher handelt sich hier um mittelfris­tige Prozesse im Wählerverh­alten.

Im Bund plagt sich die CDU aktuell mit der Masken-Affäre herum. Wird das ihr Verlierer?

WIND Wenn man sich die jüngsten Umfragewer­te für die Union in beiden Bundesländ­ern anschaut, hat das praktisch keinen Niederschl­ag gefunden. Das kann sich für die CDU am Sonntag aber auch noch zum Negativen ändern, denn es braucht eine gewisse Zeit, bis solche Vorfälle nachhaltig­er wirken.

Die Briefwahl ist stark im Kommen, auch schon vor Corona. Was bedeutet dieser Trend politisch?

WIND Bei der letzten Bundestags­wahl gab es etwa 30 Prozent Briefwähle­r. Für die kommende Bundestags­wahl wird mit mindestens 50 Prozent gerechnet. Bei der letzten Wahl in Baden-Württember­g lag der Briefwähle­ranteil bei 20 Prozent. Jetzt geht es auch in Richtung 50 Prozent. Das wird die Wahlkampf-Planung

der Parteien verändern. Sechs Wochen vor einer Wähl werden die Plakate gehängt. Wenn Briefwähle­r aber schon vorher ihr Kreuzchen gemacht haben, dann müssen die Parteien ihre Kampagnen früher starten. Denn die Briefwahl könnte durchaus wahlentsch­eidend sein.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

WIND Ja, aber unter umgekehrte­n Vorzeichen. Im Jahr 2011 geschah zwei Wochen vor der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g die Reaktorkat­astrophe in Fukushima. Die Grünen profitiert­en von diesem schrecklic­hen Ereignis, Kretschman­n wurde mit geringem Vorsprung Ministerpr­äsident. Hätten seinerzeit schon viele Menschen früher per Briefwahl abgestimmt, wäre es nicht zu diesem einschneid­enden Regierungs­wechsel gekommen.

Ist der wachsende Briefwähle­ranteil gut oder schlecht für die Demokratie?

WIND Der Urnengang gilt ja als „Hochamt der Demokratie“, hat also traditione­ll einen Symbolwert. Briefwahl ist sicher eine zeitgemäße Ergänzung. Die Auswirkung­en auf die Demokratie lassen sich erst abschätzen, wenn wir mehr über die Einflüsse auf Wahlverhal­ten und Wahlbeteil­igung wissen.

 ?? FOTO: IFZ/NO DRAMA ?? Thomas Wind vom Meinungsfo­rschungsin­stitut IfZ.
FOTO: IFZ/NO DRAMA Thomas Wind vom Meinungsfo­rschungsin­stitut IfZ.

Newspapers in German

Newspapers from Germany