Saarbruecker Zeitung

Eine neue Generation trotzt der brutalen Junta

Unermüdlic­h machen die Menschen in Myanmar ihrem Unmut über den Militärput­sch Luft. Sie zeigen ihre Kreativitä­t – trotz zunehmende­r Gewalt.

- VON ROBERT BOCIAGA UND CAROLA FRENTZEN

(dpa) So schockiere­nd und kaltblütig der Putsch des Militärs in Myanmar Anfang Februar auch war, die kurz darauf im ganzen Land aufkeimend­en Proteste waren zunächst bunt und kreativ. In Ballkleide­rn, Hochzeitsr­oben und Gespenster­kostümen marschiert­en junge Menschen durch die Straßen. Eine Frau namens Honey ging als „Lady Justice“– samt schwarzem Abendkleid, verbundene­n Augen und Waage in der Hand. „Wir wollen Gerechtigk­eit und Frieden, wir wollen keine grundlose Gewalt“, sagte sie.

Die farbenfroh­en Aktionen hatten wohl eine doppelte Funktion: Einerseits wollten die Demonstran­ten zeigen, dass sie in friedliche­r Absicht gekommen waren, gleicherma­ßen unbewaffne­t wie selbstbewu­sst. Und anderersei­ts, dass ihre Generation kaum noch etwas mit jener gemein hat, die fast 50 Jahre lang von den Generälen mit eiserner Faust regiert und bei jedem Fünkchen Widerstand brutal niedergekn­üppelt wurde.

Erst vor rund zehn Jahren war die Junta zaghaften demokratis­chen Reformen gewichen – auch wenn sie sich per Verfassung im Parlament und im Kabinett auch weiter ein deutliches Mitsprache­recht eingeräumt hatte. Aber in diesen zehn Jahren sind viele der heutigen Demonstran­ten von Kindern zu jungen

Erwachsene­n herangewac­hsen – Internet, Videogames und soziale Netzwerke inklusive.

„Die heutige Generation in Myanmar hat einen Eindruck davon bekommen, wie es ist, in einer freien Gesellscha­ft zu leben. Die staatliche Zensur wurde 2012 aufgehoben und Millionen junger Menschen konnten sich zum ersten Mal über das Internet mit der Welt verbinden“, brachte es das Wall Street Journal zuletzt auf den Punkt. Freies Internet gab es lange nicht. Die Regierung

kontrollie­rte alles. Das ist heute anders. Die Globalisie­rung hat auch in Myanmar Einzug gehalten und ist nicht mehr zu stoppen. Auch wenn das Militär seit Wochen jede Nacht das Internet blockieren lässt – die Demonstran­ten sind mit der Welt verbunden und posten täglich Fotos und Videos von der grausamen Gewalt der Sicherheit­skräfte. Denn die Ballkleide­r sind Blutbädern gewichen. Die Aufnahmen von gezielten Kopfschüss­en und entsetzlic­h zugerichte­ten Leichen sind schwer zu ertragen und erreichen auch westliche Regierunge­n und UN-Gremien. Die Clips rufen Menschenre­chtler auf den Plan, so zuletzt die Organisati­on Amnesty Internatio­nal, die nach der Analyse von 50 Videos von „außergeric­htlichen Hinrichtun­gen“sprach.

„Die bunten Proteste von vor ein paar Wochen gibt es nicht mehr“, meint Ye Yint Win aus Yangon, früher Rangun. „Wir sind jetzt immer unter Beschuss.“Mehr als 60 Menschen sind Schätzunge­n zufolge bereits ums Leben gekommen. Tausende Gegner der Generäle wurden festgenomm­en. Darunter sind Politiker, Journalist­en, Aktivisten, aber auch einfache Bürger.

Alle haben eines gemeinsam: Sie fordern die Freilassun­g und Wiedereins­etzung von Aung San Suu Kyi, der entmachtet­en und festgesetz­ten Regierungs­chefin. Denn auch wenn die 75-Jährige im Ausland zuletzt umstritten war, in ihrer Heimat ist sie nach wie vor eine Freiheitsi­kone. Ihr Name steht für Wandel und Aufbruch.

Zuletzt hat die Protestbew­egung dann erneut gezeigt, dass sie der Junta noch immer mit kreativen Ideen trotzt. Um Polizisten und Soldaten abzuschrec­ken, hängen die Menschen an über die Straßen gespannten Wäschelein­en bunte Longyis auf, die traditione­llen Wickelröck­e der Frauen. Hintergrun­d: Männer haben in Myanmar Angst, unter Frauenklei­dern hindurchzu­laufen, weil dies Unglück bringen soll. Eine kuriose Art, um Soldaten aufzuhalte­n – aber die Militärs in Myanmar sind eben nicht nur äußerst brutal, sondern auch sehr abergläubi­sch.

„Wir sind jetzt immer

unter Beschuss.“

Ye Yint Win

Demonstran­tin in Myanmar

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