Eine neue Generation trotzt der brutalen Junta
Unermüdlich machen die Menschen in Myanmar ihrem Unmut über den Militärputsch Luft. Sie zeigen ihre Kreativität – trotz zunehmender Gewalt.
(dpa) So schockierend und kaltblütig der Putsch des Militärs in Myanmar Anfang Februar auch war, die kurz darauf im ganzen Land aufkeimenden Proteste waren zunächst bunt und kreativ. In Ballkleidern, Hochzeitsroben und Gespensterkostümen marschierten junge Menschen durch die Straßen. Eine Frau namens Honey ging als „Lady Justice“– samt schwarzem Abendkleid, verbundenen Augen und Waage in der Hand. „Wir wollen Gerechtigkeit und Frieden, wir wollen keine grundlose Gewalt“, sagte sie.
Die farbenfrohen Aktionen hatten wohl eine doppelte Funktion: Einerseits wollten die Demonstranten zeigen, dass sie in friedlicher Absicht gekommen waren, gleichermaßen unbewaffnet wie selbstbewusst. Und andererseits, dass ihre Generation kaum noch etwas mit jener gemein hat, die fast 50 Jahre lang von den Generälen mit eiserner Faust regiert und bei jedem Fünkchen Widerstand brutal niedergeknüppelt wurde.
Erst vor rund zehn Jahren war die Junta zaghaften demokratischen Reformen gewichen – auch wenn sie sich per Verfassung im Parlament und im Kabinett auch weiter ein deutliches Mitspracherecht eingeräumt hatte. Aber in diesen zehn Jahren sind viele der heutigen Demonstranten von Kindern zu jungen
Erwachsenen herangewachsen – Internet, Videogames und soziale Netzwerke inklusive.
„Die heutige Generation in Myanmar hat einen Eindruck davon bekommen, wie es ist, in einer freien Gesellschaft zu leben. Die staatliche Zensur wurde 2012 aufgehoben und Millionen junger Menschen konnten sich zum ersten Mal über das Internet mit der Welt verbinden“, brachte es das Wall Street Journal zuletzt auf den Punkt. Freies Internet gab es lange nicht. Die Regierung
kontrollierte alles. Das ist heute anders. Die Globalisierung hat auch in Myanmar Einzug gehalten und ist nicht mehr zu stoppen. Auch wenn das Militär seit Wochen jede Nacht das Internet blockieren lässt – die Demonstranten sind mit der Welt verbunden und posten täglich Fotos und Videos von der grausamen Gewalt der Sicherheitskräfte. Denn die Ballkleider sind Blutbädern gewichen. Die Aufnahmen von gezielten Kopfschüssen und entsetzlich zugerichteten Leichen sind schwer zu ertragen und erreichen auch westliche Regierungen und UN-Gremien. Die Clips rufen Menschenrechtler auf den Plan, so zuletzt die Organisation Amnesty International, die nach der Analyse von 50 Videos von „außergerichtlichen Hinrichtungen“sprach.
„Die bunten Proteste von vor ein paar Wochen gibt es nicht mehr“, meint Ye Yint Win aus Yangon, früher Rangun. „Wir sind jetzt immer unter Beschuss.“Mehr als 60 Menschen sind Schätzungen zufolge bereits ums Leben gekommen. Tausende Gegner der Generäle wurden festgenommen. Darunter sind Politiker, Journalisten, Aktivisten, aber auch einfache Bürger.
Alle haben eines gemeinsam: Sie fordern die Freilassung und Wiedereinsetzung von Aung San Suu Kyi, der entmachteten und festgesetzten Regierungschefin. Denn auch wenn die 75-Jährige im Ausland zuletzt umstritten war, in ihrer Heimat ist sie nach wie vor eine Freiheitsikone. Ihr Name steht für Wandel und Aufbruch.
Zuletzt hat die Protestbewegung dann erneut gezeigt, dass sie der Junta noch immer mit kreativen Ideen trotzt. Um Polizisten und Soldaten abzuschrecken, hängen die Menschen an über die Straßen gespannten Wäscheleinen bunte Longyis auf, die traditionellen Wickelröcke der Frauen. Hintergrund: Männer haben in Myanmar Angst, unter Frauenkleidern hindurchzulaufen, weil dies Unglück bringen soll. Eine kuriose Art, um Soldaten aufzuhalten – aber die Militärs in Myanmar sind eben nicht nur äußerst brutal, sondern auch sehr abergläubisch.
„Wir sind jetzt immer
unter Beschuss.“
Ye Yint Win
Demonstrantin in Myanmar