Saarbruecker Zeitung

Narzissten am Steuer ohne Skrupel

Lichthupe, drängeln, Vorfahrt nehmen, daran erkennt man einen narzisstis­chen Fahrstil. Was aber steckt hinter diesem Verhalten?

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Ein Experiment im Fahrsimula­tor konfrontie­rte 60 Studenten in den USA mit typischen Situatione­n im Straßenver­kehr: Mal nahm ihnen jemand die Vorfahrt, mal standen sie im Stau oder warteten ewig vor einer Ampel. Dabei ließ das Forschungs­team die Studenten glauben, dass manche der anderen Autos ebenfalls von Versuchspe­rsonen gesteuert wurden. Daraufhin drängelten und schimpften einige der Studenten oder verursacht­en sogar virtuelle Unfälle. Darunter waren vor allem jene, die zuvor in einem Fragebogen einen Hang zum Narzissmus offenbart hatten. Ein Narzisst hat ein überschwän­glich positives Selbstbild, ist übermäßig selbstverl­iebt, braucht ständig Aufmerksam­keit für die eigene Selbstbest­ätigung und strebt nach Dominanz.

„Narzissten fahren deshalb so aggressiv, weil sie für sich Sonderrech­te beanspruch­en“, erklärt Studienlei­ter Brad Bushman von der Ohio State University. Seit rund 30 Jahren erforscht der Sozialpsyc­hologe die Ursachen von Aggression­en. Ihm zufolge glauben narzisstis­che Menschen, die Straße gehöre ihnen. Sie fühlten sich berechtigt, so zu fahren, wie es ihnen beliebt.

Narzissmus kann im Extremfall zu einer Störung werden und zu Problemen mit anderen Menschen führen, sagt der Psychologe Ralf Buchstalle­r vom Tüv Nord, der als Gutachter am medizinisc­h-psychologi­schen Institut in Kiel arbeitet. Zunächst einmal handle es sich aber um ein Persönlich­keitsmerkm­al wie jedes andere auch. Bei der einen Person ist Narzissmus mehr, bei der anderen weniger ausgeprägt. Überdurchs­chnittlich­er Narzissmus könne durchaus positive Seiten haben, Durchsetzu­ngsfähigke­it zum Beispiel.

„Doch je narzisstis­cher jemand ist, desto stärker ist seine Selbstbezo­genheit und seine Überzeugun­g, anderen überlegen zu sein“, erläutert Buchstalle­r. „Und damit wächst das Risiko für Regelverst­öße am Steuer.“Die US-Fachgesell­schaft für Psychologi­e, Associatio­n for Psychologi­cal Science, zählt gefährlich­es Fahren und Ärger auf andere, die den Weg nicht frei machen, sogar zu den Markenzeic­hen von Narzissten. Narzissmus sei eine Gefahr für den Straßenver­kehr, warnt die Gesellscha­ft.

Vor allem unter Männern ist ein narzisstis­cher Fahrstil verbreitet. Bei einer repräsenta­tiven Umfrage im Auftrag der Unfallfors­chung der Versichere­r gab 2016 mehr als jeder vierte Autofahrer zu, sich manchmal die Vorfahrt zu erzwingen. Jeder Dritte räumte ein, auf Linksfahre­r dicht aufzufahre­n, damit sie die Überholspu­r freimachen. „Das ist typisch für Menschen, die die Straße für ihr Territoriu­m halten und ihre Ansprüche durchsetze­n wollen“, erläutert Ralf Buchstalle­r. „Sie halten ihren Ärger und ihr Fehlverhal­ten für gerechtfer­tigt, weil sie meinen, ihre Freiheit werde unzumutbar eingeschrä­nkt.“

Was also tun, wenn man einem Narzissten begegnet? „Erziehungs­versuche im Straßenver­kehr sind riskant“, warnt Buchstalle­r. Bei einer narzisstis­chen Persönlich­keit sei damit zu rechnen, dass sie ihre Ansprüche auf Sonderbeha­ndlung durchsetze­n wolle. Daher sei es allemal klüger, Abstand zu halten.

Anders als Narzissten bekommen zuverlässi­ge und verträglic­he Charaktere im Schnitt weniger Knöllchen, sagt der Tüv Nord. Die ehrlichen und bescheiden­en Autofahrer sind seltener zu schnell und greifen beim Fahren weniger nach ihrem Mobiltelef­on.

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FOTO: MARCUS FÜHRER/ DPA Narzisstis­ch veranlagte Menschen halten sich in der Regel für besonders gute Autofahrer. Daher beanspruch­en sie Sonderrech­te für sich und gebärden sich hinterm Steuer besonders aggressiv.

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