23 Blitzer im Saarland aus dem Verkehr gezogen
Im Saarland sind zurzeit 23 Blitzer weniger im Einsatz als sonst. Grund: Der Leivtec XV3 hat vielleicht falsch gemessen, der Hersteller hat das Gerät zurückgerufen. Sind die Bußgeldbescheide rechtens?
(kip) Auf den Straßen im Saarland sind zurzeit 23 Geschwindigkeitsmessgeräte weniger im Einsatz als sonst. Landespolizei und Kommunen haben ihre Blitzgeräte vom Typ Leivtec XV3 aus dem Verkehr gezogen, weil der Verdacht besteht, dass sie falsche Messergebnisse liefern. Die physikalisch-technische Bundesanstalt untersucht das derzeit, der Hersteller hat das mobile Infrarot-Messgerät zurückgerufen.
Und es hat Blitz gemacht. Wer zu schnell fährt, hofft vielleicht mal in einer stillen Sekunde, dass das Gerät sich vermessen hat, dass was nicht stimmt mit dem Kasten am Straßenrand. Andere hoffen nicht – sie klagen. Denn sie sind sicher: Das Gerät hat falsch gemessen. Im Saarland klagen sie demnächst vielleicht wieder zu Recht. Das Messgerät Leivtec XV3 ist im Visier der Sachverständigen und Verkehrsanwälte: ein mobiles Infrarot-Laser-Messgerät; mit Dreibein – zum schnellen Aufbau.
Derzeit ist es unter dem prüfenden Blick der physikalisch-technischen
Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Sie überwacht die Blitzermodelle, zieht sie aus dem Verkehr, wenn sie nicht präzise genug sind. Sie fühlt auch Hinweisen von externen Sachverständigen auf den Zahn. Solch einer liegt derzeit zum „Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3“vor, wie es in Behördendeutsch heißt. Das ist sehr oft im Einsatz. Etwa 450 Mal in Deutschland. Auch im Saarland. Wie oft genau, wollen oder können weder Polizei noch Innenministerium sagen. Auf der Internetseite des Herstellers findet sich unter Referenzen ein Dokument, das darauf hinweist, dass – Stand Dezember 2019 – insgesamt 23 Geräte im Saarland im Einsatz sind. Oder besser: waren. „Wir haben die Geräte aus dem Verkehr gezogen“, teilte ein Sprecher der Stadt Saarbrücken am Montag mit. Laut Referenzliste besitzt die Stadt zwei Geräte. Auch ein Sprecher der Landespolizei erklärte, dass sie den XV3 derzeit nicht einsetzen.
Das kam so: Versuche von Sachverständigen hätten bereits im Oktober 2020 gezeigt, dass das Gerät in „speziellen Fällen“Geschwindigkeitsmesswerte ausgibt, „die die Verkehrsfehlergrenzen verletzen, insbesondere auch zu Ungunsten des Betroffenen“, schreibt die PTB. Diese Fehler konnte die Behörde in Tests reproduzieren, schreibt die Bundesanstalt. Nicht nur sie: Einige Sachverständige hätten damals „zwei dieser Geräte versuchsweise nebeneinander aufgebaut“, erklärt zum Beispiel der saarländische Verkehrsanwalt Alexander Gratz. Ergebnis: „Bei der Messung desselben Fahrzeugs zur selben Zeit zeigte ein Gerät 125 km/h, das andere 141. Ein geeichtes drittes Gerät eines anderen Herstellers zeigte 131“, berichtet Gratz. Hersteller und Zulassungsbehörde mussten damals reagieren, „damit Messungen in besonders fehleranfälligen Situationen nicht mehr verwertet werden“. Das Problem beseitigte der Hersteller, indem er „eine ergänzende Gerbrauchsanweisung“vorlegte, die verhindern sollte, dass es zu Fehlmessungen kommt. Die hatte die PTB am 14. Dezember als Lösung des Problems genehmigt. Die Geräte waren wieder rechtssicher im Einsatz.
Bis zum vergangenen Freitag: Am 9. März 2021 „erlangte die PTB nun Kenntnis über weitere Versuche von Sachverständigen, die zeigen, dass es darüber hinaus spezielle Szenarien gibt, bei denen es auch unter den Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen
kommen kann“, schreibt die Anstalt am Freitag auf ihrer Homepage. Die Bundesanstalt habe daraufhin umgehend den Hersteller und die zuständigen Stellen „der Markt- und Verwendungsaufsichtsbehörden“informiert und habe „mit intensiven eigenen Versuchen“begonnen. Die Ergebnisse stünden noch aus.
Vorsorglich hat der Hersteller bereits den Betreibern, also den Kommunen oder den Landespolizeibehörden, folgendes mitgeteilt: „Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen.“Der Hersteller sei sich „der Tragweite unseres Schreibens bewusst, (wir) sehen jedoch in der Sache keine andere Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten.“
Was passiert nun mit den Bußgeldverfahren, die auf Grundlage dieses Blitzers eingeleitet wurden? Wie rechtssicher sind sie noch? „Bisherige Messungen mit diesen Geräten dürfen nach unserer Ansicht derzeit nicht mehr ohne Weiteres verwertet werden“, sagt Verkehrsanwalt Gratz. Die Verfahren sollten entweder eingestellt werden oder ein Sachverständiger solle „jeden einzelnen Fall prüfen, ob die jeweilige Messung in Ordnung war. Dies wiederum wird dadurch erschwert, dass Leivtec XV3 nicht genügend Daten speichert, mit denen eine Messung im Nachhinein rekonstruiert werden könnte“, sagt
Gratz – und erklärt warum: Bereits 2019 sei der Leivtec XV3 wegen der Datenarmut im Visier der Sachverständigen gewesen. Auslöser war das Modell Traffistar S350 der Firma Jenoptik. Das hatte damals nicht genug Daten gespeichert, um im Nachhinein die Messergebnisse überprüfen zu können. Der saarländische Verfassungsgerichtshof bestätigte dies damals. Da der Leivtec XV3 fast genau so arbeite wie der Traffistar, nur minimal mehr Daten sammele, sei auch er damals in der Diskussion gewesen. Jedoch wurde die Datenarmut „nie gerichtlich geklärt“, sagt Gratz. Daher sei das Gerät im Saarland weiter im Einsatz gewesen. Der Traffistar S350 nicht mehr.
Doch wie stelle ich fest, mit welchen Gerät ich geblitzt wurde? Auf dem Bußgeldbescheid sei meist vermerkt, mit welchem Gerät die Polizei gemessen hat. Wenn nicht, könne der Anwalt Akteneinsicht beantragen, dort wäre sicher vermerkt, welches Gerät im Einsatz war. Hat die Polizei mit dem XV3 gemessen, sollte der Fahrer „einen Einspruch prüfen, gerade wenn man der Meinung ist, nicht so schnell wie vorgeworfen, gefahren zu sein“, rät Gratz. Die Erfolgschancen hierfür seien auf Grund der neuen Erkenntnisse natürlich nochmals höher als bisher. „Vor allem, wenn es um Fahrverbote geht – oder um Punkte in Flensburg, raten wir, Einspruch einzulegen“, sagt der Anwalt. Bei Verwarnungsgelder bis 35 Euro rät er hingegen davon ab, da würde sich die „Kosten-Nutzen-Rechnung“nicht lohnen. Bei so einem Einspruch sei eine Rechtsschutzversicherung natürlich von Vorteil, erklärt der Anwalt. Übrigens muss es beim Geschwindigkeitsmessen nicht immer blitzen. Der XV3 kann auch ohne blitzen messen. Aber der ist ja eh derzeit außer Verkehr.
„Bisherige Messungen mit diesen Geräten dürfen nach unserer Ansicht derzeit nicht mehr ohne Weiteres verwertet werden.“
Alexander Gratz
Verkehrsanwalt