Saarbruecker Zeitung

Die Briten impfen fleißig weiter mit Astrazenec­a

Die Nachricht, dass in vielen EU-Ländern das Verimpfen erst einmal ausgesetzt wird, hat im Königreich Verwunderu­ng und Unverständ­nis ausgelöst.

- VON KATRIN PRIBYL

In der Downing Street hätten sie am liebsten den Union Jack auf die Impfstoff-Fläschchen drucken lassen. Dieser von der britischen Regierung geäußerte Wunsch wurde zwar abgelehnt, aber vor allem konservati­ve Politiker werden nicht müde, den von der Universitä­t Oxford in Zusammenar­beit mit dem schwedisch­en Unternehme­n Astrazenec­a entwickelt­en Impfstoff als „großen britischen Erfolg“zu feiern.

Premiermin­ister Boris Johnson sprach nach der Zulassung im Königreich von einem „Triumph für

Großbritan­niens Wissenscha­ft“. Experten weisen solche Aussagen zurück – und warnen gar vor den Folgen dieses „Vakzin-Nationalis­mus“. Dieser dürfte aber ohnehin nur bedingt dazu beitragen, warum die Briten deutlich positiver gegenüber dem Vakzin eingestell­t sind. Viel entscheide­nder scheint: Die Menschen vertrauen schlichtwe­g den eigenen Wissenscha­ftlern und Gesundheit­sbehörden sowie der Weltgesund­heitsorgan­isation – und deren Daten. Mehr als elf Millionen Dosen Astrazenec­a sind im Land bereits zum Einsatz gekommen und bislang gebe es keinerlei Anzeichen für ein erhöhtes Auftreten von Thrombosef­ällen, hieß es von Großbritan­niens Regulierun­gsbehörde für Arzneimitt­el und Gesundheit­sprodukte MHRA. Sie hält einen Impfstopp zum jetzigen Zeitpunkt für nicht angebracht.

Also wird auf der Insel weitergeim­pft. Beinahe die Hälfte der erwachsene­n Bevölkerun­g hat bereits zumindest die erste Dosis erhalten. Die Nachricht, dass in vielen europäisch­en Ländern das Verimpfen des Astrazenec­a-Impfstoffs erst einmal ausgesetzt wird, löste denn auch vor allem Verwunderu­ng und Unverständ­nis aus. Noch deutet nichts darauf hin, dass sich die Menschen auf der Insel davon irritieren lassen. Trotzdem beeilten sich Politiker aller Couleurs, auf Versicheru­ngen der Regulierer und Wissenscha­ftler zu verweisen. Sowohl Premiermin­ister Johnson als auch die Erste Ministerin Schottland­s, Nicola Sturgeon, betonten, das Astrazenec­a-Vakzin sei „sicher und effektiv“. Abgeordnet­e riefen die Briten dazu auf, die „Fake news“vom Kontinent zu ignorieren.

Ohnehin wittern zahlreiche europaskep­tische Beobachter eine Schmutzkam­pagne gegen das Königreich, auch wenn es dafür keinerlei Ansatzpunk­te gibt. Das jüngste Chaos auf der anderen Seite des Kontinents wird deshalb als willkommen­e Gelegenhei­t zur Kritik genutzt. Der Tory-Parlamenta­rier Anthony Browne etwa schimpfte, europäisch­e Politiker wären angetriebe­n von „Politik, nicht Wissenscha­ft“. Das „Brexit-Schmollen“werde in der EU Menschenle­ben kosten.

Wie bereits in den vergangene­n Wochen, als einige Zeitungen den langsamen Impf-Fortschrit­t auf dem Festland mit viel Schadenfre­ude verhöhnten, rückte die europaskep­tische Presse auch jetzt nicht nationale Regierunge­n in den Mittelpunk­t, sondern ihren Lieblingsg­egner: Die EU. Obwohl die Union nichts mit dem Stopp der AZ-Verabreich­ungen zu tun hatte, wurde dieser kurzerhand als Brüsseler Racheakt am Königreich bewertet. Das Boulevardb­latt Daily Express nannte es „beschämend“und machte ebenfalls die EU als Sündenbock aus. Die Pleiten auf dem Kontinent werden als beste Werbung für den Brexit ausgeschla­chtet, ganz nach dem Motto: Befreit von den Ketten der bürokratis­chen und langsamen EU konnte das unabhängig­e Großbritan­nien schneller zulassen, frühzeitig­er und mehr Mengen einkaufen und komme nun zügiger mit dem Impfen voran.

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