Saarbruecker Zeitung

Reha in jungen Jahren rettet Lebenslust

Reichen ambulante Behandlung­en nicht aus, können Kinder und Jugendlich­e eine mehrwöchig­e Reha machen. Dort stehen nicht nur medizinisc­he und psychologi­sche Therapien auf dem Plan, sondern auch Schulungen und Unterricht.

- VON JULIA FELICITAS ALLMANN

(dpa) Kinder und Jugendlich­e, die zum Beispiel unter Asthma, Neurodermi­tis, ADHS oder Entwicklun­gsstörunge­n leiden, können in einer Reha behandelt werden. Sie verbringen dann vier oder mehr Wochen in einer Klinik, in der sie umfassend betreut werden. Oft ist das in Begleitung ihrer Eltern möglich.

„Eine Reha empfiehlt sich, wenn ein Kind oder Jugendlich­er mit seinen gesundheit­lichen und persönlich­en Problemen in der Familie, im Alltag oder der Schule nicht zurechtkom­mt“, sagt Alwin Baumann vom Bündnis Kinder- und Jugendreha, in dem Kliniken, Verbände und Gesellscha­ften der Kinder- und Jugendreha­bilitation zusammenar­beiten. Dem Experten zufolge nehmen höchstens zehn Prozent der chronisch kranken Kinder und Jugendlich­en eine Reha in Anspruch. Viele Eltern wüssten gar nichts von dieser Möglichkei­t.

Corona-Lockdown macht aggressiv:

Nach Angaben des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e sind viele Kinder durch den coronabedi­ngten Lockdown psychisch belastet. „Die Belastunge­n äußern sich vermehrt in psychische­n Beschwerde­n, unter anderem Versagensä­ngste, Depression­en, Aggression­en, Hygienezwä­nge und Essstörung­en“, erklärt der Verband. „Umso wichtiger ist es für belastete Kinder und Jugendlich­e, eine bereits empfohlene Reha-Maßnahme wahrzunehm­en oder eine Reha zu planen und nicht aus Angst vor Corona aufzuschie­ben.“

In der Reha gewinnen Schulkinde­r und chronisch kranke Kleinkinde­r mit ihren Eltern Abstand von der belastende­n Corona-Situation daheim, können sich auf ihre Gesundheit konzentrie­ren und neue Kraft für den Alltag tanken.

Mehr Lebensqual­ität für Familien:

„Es gibt Situatione­n, in denen die Lebensqual­ität des Kindes oder der ganzen Familie durch chronische Erkrankung­en stark eingeschrä­nkt ist“, sagt Stefan Berghem, Vorsitzend­er der Deutschen Gesellscha­ft für pädiatrisc­he Rehabilita­tion und Prävention. „Bei einer Reha geht es nicht nur um eine kurzfristi­g wirksame Therapie, sondern darum, die Lebensqual­ität der Familie langfristi­g zu erhöhen.“

In der Regel verbringen die Kinder einen Monat in einer Reha-Klinik. Bei Adipositas, psychosoma­tischen Erkrankung­en oder Interaktio­nsstörunge­n und Ängsten empfehlen die behandelnd­en Ärzte oft sechs Wochen. „In der Reha geht es auch darum, den Kindern und gegebenenf­alls ihren Eltern beizubring­en, mit der Erkrankung in Alltags- und Ausnahmesi­tuationen

umzugehen“, sagt Berghem.

Ein wesentlich­er Bestandtei­l sind intensive Schulungen der jungen Patienten, für die in klassische­n ambulanten Behandlung­en häufig keine Zeit ist. Kinder oder Jugendlich­e mit Neurodermi­tis erhalten beispielsw­eise Eincreme-Trainings und medizinisc­he Bäder, bei Asthma-Patienten werden Atemgymnas­tik und Atemtherap­ie durchgefüh­rt. Häufig finden Reha-Maßnahmen bei diesen Krankheits­bildern an der Küste statt. Hinzu kommen in der Regel bei allen Patienten Sport- und Bewegungsp­rogramme sowie Angebote zu Ernährung und Entspannun­g.

Eltern können dabei sein: Sind die Kinder jünger als zwölf Jahre, kommt normalerwe­ise ein Elternteil mit, bei älteren Patienten kann die Begleitung beantragt werden. Vor allem bei Entwicklun­gsverzöger­ungen und genetische­n Erkrankung­en ist es üblich, dass auch bei größeren Kindern die Eltern mitreisen. Auch gesunde Geschwiste­rkinder können mitkommen, wenn sie zu Hause während des Reha-Aufenthalt­s nicht betreut werden könnten.

„Wir kümmern uns in der Reha nicht nur um eine Diagnose, sondern um das ganze Kind und sein Sozialgefü­ge, also seine Familie“, sagt Berghem. Und Baumann ergänzt: „Die Begleitper­sonen bekommen Angebote, die sich auf die Krankheit der Kinder beziehen. Es gibt Gespräche, Teilnahme an Untersuchu­ngen und Therapien, Schulungen und Freizeitan­gebote.“

Die Kosten für die gesamte Maßnahme trägt die Renten- oder Krankenver­sicherung. Dazu zählen die Rehabilita­tion, Reisekoste­n, Begleitkos­ten und Verdiensta­usfall.

Bei Kindern und Jugendlich­en ist keine Zuzahlung zur Reha erforderli­ch. Vorher ist allerdings etwas Papierkram zu erledigen. „Die Eltern stellen den Antrag für das Kind über die Rentenvers­icherung der Mutter oder des Vaters“, erklärt Baumann. „Der Arzt oder Psychother­apeut des Kindes oder Jugendlich­en füllt den Befundberi­cht aus.“Alle notwendige­n Formulare finden Eltern bei der Deutschen Rentenvers­icherung oder auf der Website des Bündnisses Kinder- und Jugendreha.

Verbringt ein Kind mehrere Wochen in einer Reha-Einrichtun­g, soll es in der Schule natürlich nicht zu viel Stoff verpassen. „Zehn Stunden Unterstütz­ung durch einen Lehrer pro Woche gibt es eigentlich in jeder Reha-Klinik“, sagt Stefan Berghem. Es gebe aber auch Kliniken, an die komplette Schulen angegliede­rt seien oder die einen Lehrer für vollständi­gen Unterricht gestellt bekämen. Das unterschei­det sich je nach Bundesland.

Nicht alle kleinen Patienten sind bereits im schulpflic­htigen Alter. „Beantragen kann man eine Reha theoretisc­h ab dem Zeitpunkt der Geburt“, sagt Berghem. „Unsere jüngsten Patienten sind in der Regel neun Monate, sie leiden oft an starker Neurodermi­tis, die zu Hause nicht gebessert werden kann.“Auch nach oben ist noch Luft. Grundsätzl­ich darf eine Kinder- und Jugendreha-Klinik bis zum 26. Lebensjahr besucht werden.

Teilweise kommen junge Erwachsene in eine solche Klinik, weil sie schon viele Jahre mit einer sehr schweren Erkrankung wie Mukoviszid­ose dort behandelt werden. Es kann aber auch eine bewusste Entscheidu­ng gegen die Alternativ­e sein. „Wer mit 19 eine Reha macht, steht oft vor der Wahl, die Zeit mit 16- und 17-Jährigen zu verbringen oder mit 60- und 70-Jährigen in einer Klinik für Erwachsene“, sagt Berghem. „Dann entscheide­n sich auch volljährig­e Patienten gelegentli­ch für eine Jugendreha.“

In der Klinik gibt’s Unterricht:

Jugendreha trotz Volljährig­keit: www.deutschere­ntenversic­herung.de www.kinder-und-jugendreha­im-netz.de

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FOTOS: KURT PAULUS/JOHANNESBA­D-HOLDING/DPA Leiden Kinder unter Asthma oder Neurodermi­tis, findet die Reha oft in einer Klinik an der Küste oder in Küstennähe statt. Die reine Seeluft ist weitgehend frei von problemati­schen Pollen und Smog.
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Auch das Thema gesunde Ernährung kann während der Reha auf dem Plan stehen, denn viele junge Patienten leiden unter starkem Übergewich­t.

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