Reha in jungen Jahren rettet Lebenslust
Reichen ambulante Behandlungen nicht aus, können Kinder und Jugendliche eine mehrwöchige Reha machen. Dort stehen nicht nur medizinische und psychologische Therapien auf dem Plan, sondern auch Schulungen und Unterricht.
(dpa) Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel unter Asthma, Neurodermitis, ADHS oder Entwicklungsstörungen leiden, können in einer Reha behandelt werden. Sie verbringen dann vier oder mehr Wochen in einer Klinik, in der sie umfassend betreut werden. Oft ist das in Begleitung ihrer Eltern möglich.
„Eine Reha empfiehlt sich, wenn ein Kind oder Jugendlicher mit seinen gesundheitlichen und persönlichen Problemen in der Familie, im Alltag oder der Schule nicht zurechtkommt“, sagt Alwin Baumann vom Bündnis Kinder- und Jugendreha, in dem Kliniken, Verbände und Gesellschaften der Kinder- und Jugendrehabilitation zusammenarbeiten. Dem Experten zufolge nehmen höchstens zehn Prozent der chronisch kranken Kinder und Jugendlichen eine Reha in Anspruch. Viele Eltern wüssten gar nichts von dieser Möglichkeit.
Corona-Lockdown macht aggressiv:
Nach Angaben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte sind viele Kinder durch den coronabedingten Lockdown psychisch belastet. „Die Belastungen äußern sich vermehrt in psychischen Beschwerden, unter anderem Versagensängste, Depressionen, Aggressionen, Hygienezwänge und Essstörungen“, erklärt der Verband. „Umso wichtiger ist es für belastete Kinder und Jugendliche, eine bereits empfohlene Reha-Maßnahme wahrzunehmen oder eine Reha zu planen und nicht aus Angst vor Corona aufzuschieben.“
In der Reha gewinnen Schulkinder und chronisch kranke Kleinkinder mit ihren Eltern Abstand von der belastenden Corona-Situation daheim, können sich auf ihre Gesundheit konzentrieren und neue Kraft für den Alltag tanken.
Mehr Lebensqualität für Familien:
„Es gibt Situationen, in denen die Lebensqualität des Kindes oder der ganzen Familie durch chronische Erkrankungen stark eingeschränkt ist“, sagt Stefan Berghem, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Rehabilitation und Prävention. „Bei einer Reha geht es nicht nur um eine kurzfristig wirksame Therapie, sondern darum, die Lebensqualität der Familie langfristig zu erhöhen.“
In der Regel verbringen die Kinder einen Monat in einer Reha-Klinik. Bei Adipositas, psychosomatischen Erkrankungen oder Interaktionsstörungen und Ängsten empfehlen die behandelnden Ärzte oft sechs Wochen. „In der Reha geht es auch darum, den Kindern und gegebenenfalls ihren Eltern beizubringen, mit der Erkrankung in Alltags- und Ausnahmesituationen
umzugehen“, sagt Berghem.
Ein wesentlicher Bestandteil sind intensive Schulungen der jungen Patienten, für die in klassischen ambulanten Behandlungen häufig keine Zeit ist. Kinder oder Jugendliche mit Neurodermitis erhalten beispielsweise Eincreme-Trainings und medizinische Bäder, bei Asthma-Patienten werden Atemgymnastik und Atemtherapie durchgeführt. Häufig finden Reha-Maßnahmen bei diesen Krankheitsbildern an der Küste statt. Hinzu kommen in der Regel bei allen Patienten Sport- und Bewegungsprogramme sowie Angebote zu Ernährung und Entspannung.
Eltern können dabei sein: Sind die Kinder jünger als zwölf Jahre, kommt normalerweise ein Elternteil mit, bei älteren Patienten kann die Begleitung beantragt werden. Vor allem bei Entwicklungsverzögerungen und genetischen Erkrankungen ist es üblich, dass auch bei größeren Kindern die Eltern mitreisen. Auch gesunde Geschwisterkinder können mitkommen, wenn sie zu Hause während des Reha-Aufenthalts nicht betreut werden könnten.
„Wir kümmern uns in der Reha nicht nur um eine Diagnose, sondern um das ganze Kind und sein Sozialgefüge, also seine Familie“, sagt Berghem. Und Baumann ergänzt: „Die Begleitpersonen bekommen Angebote, die sich auf die Krankheit der Kinder beziehen. Es gibt Gespräche, Teilnahme an Untersuchungen und Therapien, Schulungen und Freizeitangebote.“
Die Kosten für die gesamte Maßnahme trägt die Renten- oder Krankenversicherung. Dazu zählen die Rehabilitation, Reisekosten, Begleitkosten und Verdienstausfall.
Bei Kindern und Jugendlichen ist keine Zuzahlung zur Reha erforderlich. Vorher ist allerdings etwas Papierkram zu erledigen. „Die Eltern stellen den Antrag für das Kind über die Rentenversicherung der Mutter oder des Vaters“, erklärt Baumann. „Der Arzt oder Psychotherapeut des Kindes oder Jugendlichen füllt den Befundbericht aus.“Alle notwendigen Formulare finden Eltern bei der Deutschen Rentenversicherung oder auf der Website des Bündnisses Kinder- und Jugendreha.
Verbringt ein Kind mehrere Wochen in einer Reha-Einrichtung, soll es in der Schule natürlich nicht zu viel Stoff verpassen. „Zehn Stunden Unterstützung durch einen Lehrer pro Woche gibt es eigentlich in jeder Reha-Klinik“, sagt Stefan Berghem. Es gebe aber auch Kliniken, an die komplette Schulen angegliedert seien oder die einen Lehrer für vollständigen Unterricht gestellt bekämen. Das unterscheidet sich je nach Bundesland.
Nicht alle kleinen Patienten sind bereits im schulpflichtigen Alter. „Beantragen kann man eine Reha theoretisch ab dem Zeitpunkt der Geburt“, sagt Berghem. „Unsere jüngsten Patienten sind in der Regel neun Monate, sie leiden oft an starker Neurodermitis, die zu Hause nicht gebessert werden kann.“Auch nach oben ist noch Luft. Grundsätzlich darf eine Kinder- und Jugendreha-Klinik bis zum 26. Lebensjahr besucht werden.
Teilweise kommen junge Erwachsene in eine solche Klinik, weil sie schon viele Jahre mit einer sehr schweren Erkrankung wie Mukoviszidose dort behandelt werden. Es kann aber auch eine bewusste Entscheidung gegen die Alternative sein. „Wer mit 19 eine Reha macht, steht oft vor der Wahl, die Zeit mit 16- und 17-Jährigen zu verbringen oder mit 60- und 70-Jährigen in einer Klinik für Erwachsene“, sagt Berghem. „Dann entscheiden sich auch volljährige Patienten gelegentlich für eine Jugendreha.“
In der Klinik gibt’s Unterricht:
Jugendreha trotz Volljährigkeit: www.deutscherentenversicherung.de www.kinder-und-jugendrehaim-netz.de