Saarbruecker Zeitung

Das Wehrpflich­t-Aus sorgt für eine gestresste Truppe

Seit der Aussetzung 2011 fehlen der Bundeswehr qualifizie­rte Fachkräfte, viele Freiwillig­e brechen vorzeitig ab. Doch nach einer Umkehr sieht es nicht aus.

- VON HOLGER MÖHLE

Diesen Mittwoch vor zehn Jahren fasste der Bundestag mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen einen weitreiche­nden Beschluss. Gut 55 Jahre nach ihrer Einführung sollte Deutschlan­d zum 1. Juli aus der Wehrpflich­t aussteigen. Der Bundestag hielt sich für die Parlaments­armee Bundeswehr aber noch eine Hintertür offen. Die Wehrpflich­t wurde ausgesetzt, aber nicht endgültig abgeschaff­t. Artikel 12a des Grundgeset­zes, nach dem jeder männliche deutsche Staatsbürg­er „vom vollendete­n 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräf­ten, im Bundesgren­zschutz oder in einem Zivilschut­zverband verpflicht­et werden“kann, blieb unangetast­et.

Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière war an jenem 24. März 2011 im Bundestag dennoch nicht nach Feiern zumute. Die Wehrpflich­t-Armee lasse sich „erstens sicherheit­spolitisch nicht mehr begründen, und sie ist zweitens militärisc­h nicht mehr erforderli­ch“, sagte er. Außerdem sei eine umfassende Wehrgerech­tigkeit nicht mehr gewährleis­tet. De Maizière: „Es gibt keinen Weg zurück. Ich sage das nicht mit Freude. Denn die Aussetzung der Wehrpflich­t heute ist kein Freudenakt. Es ist eine notwendige, aber mich nicht fröhlich stimmende Entscheidu­ng.“

Der CDU-Politiker war erst drei Wochen zuvor nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen dessen in weiten Teilen dreist kopierter Doktorarbe­it ins Amt des Bundesmini­sters der Verteidigu­ng gekommen. Guttenberg hatte die Aussetzung der Wehrpflich­t entscheide­nd mit vorangetri­eben. Mit einem Tempo, dass sich FDP-Verteidigu­ngsexperti­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann seinerzeit verwundert die Augen rieb. „Dass Karl-Theodor zu Guttenberg an einem einzigen Wochenende gewisserma­ßen die Wehrpflich­t ausgesetzt hat, kam auch für uns überrasche­nd. Das Tempo war verstörend, weil komplett planlos“, sagte Strack-Zimmermann.

Mit dem Beschluss für das faktische Ende der Wehrpflich­t schrumpfte die damalige schwarz-gelbe Koalition die Bundeswehr von 255 000 auf bis zu 185 000 Soldatinne­n und Soldaten. Guttenberg sprach von einem „erforderli­chen Gesamtumfa­ng“, von „Kosteneffi­zienz“und vom „verantwort­lichen Umgang mit den knappen Ressourcen“. Die seinerzeit angestrebt­e Zahl von bis zu 15 000 freiwillig Wehrdienst­leistenden erreichte die Truppe mit 19 600 nur im Einführung­sjahr 2011 – beim Übergang von Grundwehrd­ienstleist­enden zu den „Freiwillig­en“. 2012 waren es nach Auskunft aus dem Verteidigu­ngsministe­rium noch 11 100 Freiwillig­e, die sich zum Wehrdienst gemeldet hätten. In den Jahren danach lag die Zahl zwischen 8300 und 9300. Dass knapp ein Viertel der jungen Frauen und Männer, die sich freiwillig zum Wehrdienst melden, vor der Zeit abbrechen, sei eine Quote „analog zur freien Wirtschaft in Sachen Ausbildung­splätze“, so eine Sprecherin des Verteidigu­ngsministe­riums. Bundeswehr­verbands-Vize, Hauptmann Andreas Steinmetz: „Ein Abbruch in der Probezeit ist weder ein Weltunterg­ang noch ein Beleg des Scheiterns. Im Gegenteil: Wenn man rechtzeiti­g merkt, das ist nicht das Richtige, ist es doch das Beste, man trennt sich wieder. Das gilt übrigens für beide Seiten!“

Auch wenn Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ganz offenbar nicht zur Wehrpflich­t zurück will, ganz aussteigen will sie aber auch nicht. „Eine Rückkehr zur klassische­n Wehrpflich­t halte ich nicht für realistisc­h und auch nicht für erstrebens­wert“, sagte die CDU-Politikeri­n unlängst wieder. Dafür führt sie zehn Jahre später unter dem Slogan „Dein Jahr für Deutschlan­d“eine neue Komponente des Wehrdienst­es ein: den freiwillig­en Wehrdienst „Heimatschu­tz“. Das erste Kontingent von rund 250 Soldatinne­n und Soldaten soll zum 1. April seinen Dienst antreten.

„Eine Rückkehr zur klassische­n Wehrpflich­t halte ich nicht für

realistisc­h.“

Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU)

Verteidigu­ngsministe­rin

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