Saarbruecker Zeitung

Doch keine Ruhetage an Ostern – Kanzlerin Merkel entschuldi­gt sich

Aus rechtliche­n Gründen vollziehen Bund und Länder eine Kehrtwende. Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans übernimmt eine Mitverantw­ortung.

- VON HAGEN STRAUSS

(afp/ulb/kir) Die umstritten­en zusätzlich­en Ruhetage in der Osterwoche sind wieder vom Tisch. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bezeichnet­e das Vorhaben am Mittwoch als persönlich­en Fehler und bat die Menschen um Verzeihung. Der Plan, Gründonner­stag und Karsamstag zu „Ruhetagen“zu erklären, habe sich in der Kürze der Zeit nicht umsetzen lassen, begründete Merkel in Berlin die spektakulä­re Kehrtwende. Der Beschluss aus der Nacht zum Dienstag sei „einzig und allein mein Fehler“gewesen, sagte die Kanzlerin.

Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und mehrere beteiligte Ministerpr­äsidenten bekannten sich zu ihrer Mitverantw­ortung für den Beschluss. „Das war eine gemeinsame Entscheidu­ng, da sollten jetzt auch alle dazu stehen“, sagte Scholz.

Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) äußerte Verständni­s für die Absage der Corona-Osterruhe und übernahm ebenfalls die Mitverantw­ortung für den „Fehler“, diese anzukündig­en. Fehler einzugeste­hen sei kein Zeichen von Schwäche, sagte er. Es sei richtig, vor allem angesichts der rechtliche­n Unsicherhe­iten von dem Plan abzusehen. Dieser sei in der Nacht zu Dienstag in der Runde von Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten aber von allen mitgetrage­n worden. „Das geht nicht allein auf die Kappe der Bundeskanz­lerin.“Hans rief die Saarländer trotzdem dazu auf, auch über Ostern die Kontakte zu reduzieren.

Die Opposition­sfraktione­n im Bundestag mahnten eine bessere Einbindung des Parlaments bei den Corona-Maßnahmen an. Linke, FDP und AfD forderten die Kanzlerin zudem auf, im Bundestag die Vertrauens­frage zu stellen: Sie müsse sich vergewisse­rn, ob sie überhaupt noch den Rückhalt der eigenen Fraktion und der SPD habe.

Die saarländis­che SPD-Landesvors­itzende Anke Rehlinger, zugleich stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin, attackiert­e die Ministerpr­äsidentenk­onferenz. In der Corona-Krise sei eine grundlegen­de Änderung der Entscheidu­ngsprozess­e gefordert. „Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist in der derzeitige­n Verfassung keine Hilfe, sondern momentan geradezu eine Belastung zur Lösung der Pandemiekr­ise“, sagte sie der SZ.

Mit einem derartigen Tsunami aus Kritik und Problemen hat man oben in der siebten Etage des Kanzleramt­es nicht gerechnet. Dort, wo sich die Leitungseb­ene befindet, wo Angela Merkel sowie ihr Kanzleramt­sminister und Corona-Manager Helge Braun (beide CDU) ihre Büros haben. Am Dienstag hat die Kanzlerin in der Schaltkonf­erenz der Unionsfrak­tion schon den Unmut über die Bund-Länder-Beschlüsse zu spüren bekommen. Die Stimmung sei „explosiv“gewesen, berichtet ein Teilnehmer. Auch die Pressescha­u am Mittwochmo­rgen auf Merkels Tablet-Computer fällt vernichten­d aus. Der Tag wird zum Schicksals­tag der Kanzlerin.

Kurzzeitig keimen in Berlin sogar Rücktritts­pekulation­en auf, weil sich die Ereignisse so sehr überschlag­en. Sonder-MPK, anschließe­nd Auftritt vor der Presse, das in nur eineinhalb Stunden. Mancher fragt sich: Findet die geplante Befragung der Kanzlerin am Mittag im Bundestag überhaupt noch statt? Doch Merkel tritt die Corona-Flucht nach vorn an. Und wie sie das macht, hat Seltenheit­swert für einen deutschen Regierungs­chef – die Kanzlerin entschuldi­gt sich vor laufenden Kameras bei den Bürgern. Das Trommelfeu­er von allen Seiten gegen sie persönlich, gegen ihre Regierung und das Vorgehen in der Krise ist zu mächtig geworden.

Um die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren, sei die Idee der sogenannte­n „Osterruhe“in guter Absicht entworfen worden, so Merkel. Der Plan sei aber nicht umsetzbar. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler gewesen. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwort­ung. Qua Amt ist das so.“Sie wisse, dass der gesamte Vorgang zusätzlich­e Verunsiche­rung ausgelöst habe. „Das bedauere ich zutiefst. Und dafür bitte ich alle Bürgerinne­n und Bürger um Verzeihung.“Es ist eine historisch­e Erklärung, die Merkel abgibt, zugleich aber der Tiefpunkt in beinahe 16 Jahren ihrer Kanzlersch­aft. Die „Osterruhe“, also Gründonner­stag alle Läden zu schließen und das Land in der Folge komplett herunterzu­fahren, wird jedenfalls wieder gekippt. Sie stammt freilich nicht von

Merkel, sondern von ihrem Vertrauten Helge Braun.

Schon während der Schaltkonf­erenz mit den Ministerpr­äsidenten übernimmt die Kanzlerin für das entstanden­e Corona-Chaos die Verantwort­ung. „Es war mein Fehler“, räumt sie auch bei der Besprechun­g ein. Die Dinge seien nicht vorbereite­t gewesen, es habe nur Fragen zur Umsetzung der „Osterruhe“gegeben, aber keine Lösungen. Die Erkenntnis ist, dass man einen zusätzlich­en Feiertag nicht mal eben innerhalb von zehn Tagen einführen kann. Die Probleme für die Lieferkett­en, für Unternehme­nsaufträge, die Frage der Lohnfortza­hlung, der Ansturm auf den Einzelhand­el an den Tagen davor, das alles und noch viel mehr ist nicht bedacht worden. Bei der Schalte Merkels mit den Ministerpr­äsidenten soll sogar die fehlende Auslieferu­ng von Ostereiern eine Rolle gespielt haben.

Einige Ministerpr­äsidenten stellen sich bei der Video-Besprechun­g vor die Kanzlerin. NRW-Mann und CDU-Chef Armin Laschet betont dem Vernehmen nach in der Runde: „Das müssen wir alle auf uns nehmen.“Man habe den Weg mitgetrage­n und nicht widersproc­hen. SPD-Vizekanzle­r Olaf Scholz springt Merkel ebenfalls bei, niemand dürfe sich jetzt davonstehl­en. „Die Verantwort­ung tragen wir alle, nicht nur die Kanzlerin“, hebt auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) hervor. Das wiederum scheint nicht jeder so zu sehen. Ein Ministerpr­äsident beklagt offenbar, man stehe nun wie die „Deppen“da.

Merkel eilt dann in den Bundestag. Bevor sie von den Abgeordnet­en befragt wird, geht SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach im Plenum zu ihr. Es entsteht ein kurzer Disput, bei dem die Regierungs­chefin mit den Schultern zuckt – was soll ich machen, kann man daraus ablesen. Lauterbach ist Verfechter eines harten Lockdowns. Vor den Parlamenta­riern wiederholt die Kanzlerin dann ihre Erklärung, Applaus kommt von der Unionsseit­e. Erst als sie vor dem Kanzlerinn­en-Stuhl steht, wird sichtbar, wie müde und zermürbt die 66-Jährige ist. Tiefe Ringe hat sie unter den Augen.

Aus den Reihen der AfD wird Merkel aufgeforde­rt, die Vertrauens­frage zu stellen. Auch Linksfrakt­ionschef

Dietmar Bartsch fragt: „Sind Sie sicher, dass Sie die Unterstütz­ung ihrer Fraktion und auch der sozialdemo­kratischen Fraktion haben?“Die Union antwortet darauf mit lautem und langem Applaus, die SPD nicht. Merkel schweigt dazu. Sie betont: „Unser Gegner ist das Virus. Das dürfen wir nicht vergessen.“Man müsse an vielen Stellen bei der Pandemiebe­kämpfung fragen, „ob es immer der effiziente­ste Weg war. Daraus wird man später nochmal Lehren ziehen müssen“.

Ihre persönlich­e hat sie am Mittwoch gezogen. Nach der einstündig­en Befragung nimmt Merkel ihre Tasche und verlässt eilig den Reichstag. Im siebten Stock des Kanzleramt­es wartet wieder Arbeit gegen Corona auf sie.

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FOTO: NIETFELD/DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) musste sich am Mittwoch im Bundestag für die erst angekündig­te und dann wieder gekippte Osterruhe rechtferti­gen.
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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Die Idee der Osterruhe sei in der guten Absicht geboren, die dritte Pandemie-Welle abzubremse­n, erklärte Angela Merkel.

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