Saarbruecker Zeitung

Reemtsma kämpft noch heute mit Entführung

Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma zählt zu den spektakulä­rsten Kriminalfä­llen der Nachkriegs­geschichte. Heute jährt sich die Tat zum 25. Mal.

- VON BERNHARD SPRENGEL

Es war einer der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle der Nachkriegs­zeit: Vor 25 Jahren kidnappen Entführer den Hamburger Multimilli­onär Jan Philipp Reemtsma. Bis heute hat die Tat tiefe Spuren bei dem 68-Jährigen hinterlass­en.

(dpa) Auf dem Weg zu seinem Arbeitspla­tz in Hamburg-Blankenese hört Jan Philipp Reemtsma am Abend des 25. März 1996 ein Rascheln in den Rhododendr­on-Sträuchern. „Das ist lauter als eine Katze“, geht dem Sozialfors­cher durch den Kopf. Dann kommt ein Maskierter aus dem Gebüsch auf ihn zu. Reemtsma geht auf ihn los. Er versucht, dem Maskierten seine Daumen

in die Augen drücken. Doch es kommt ein zweiter Maskierter aus dem Gebüsch, der ihm einen Hieb auf den Kopf versetzt und dann seinen Kopf gegen eine Mauer schlägt. Mit gebrochene­r Nase, gefesselt und die Augen verbunden, muss er sich in den Kofferraum eines Autos legen. Die Entführer bringen ihn in ein Kellerverl­ies bei Bremen, in dem er 33 Tage angekettet gefangen gehalten wird. Erst nach Zahlung eines Lösegeldes von umgerechne­t rund 15 Millionen Euro kommt er in der Nacht zum 27. April 1996 wieder frei.

Auch 25 Jahre nach seiner Entführung sieht sich Reemtsma nicht als Held. Zu einem solchen werde man nur durch eine Tat, nicht durch ein Erleiden, schreibt der 68-Jährige in seinem vor kurzem erschienen­en Essayband „Helden und andere Probleme“. „Wir bewundern doch nicht Leid! Und Leid adelt auch keinen Menschen“, bekräftigt Reemtsma. „Was wir bewundern, ist die Art und Weise, wie sie darüber sprechen.“

Als Beispiele erwähnt der Gründer des Hamburger Instituts für Sozialfors­chung in seinem Essay KZ-Überlebend­e wie den italienisc­hen Schriftste­ller Primo Levi (1919-1987) oder den österreich­ischen Schriftste­ller Jean Améry (1912-1978). Aber auch Reemtsma hat ziemlich bald nach seiner Freilassun­g ausführlic­h und präzise Auskunft über seine Erfahrunge­n gegeben. 1997 erschien sein Bericht „Im Keller“. Daraus geht hervor, dass er sich nicht nur am Anfang seiner Entführung wehrte. Während der gesamten Zeit hielt er sich mit eiserner Disziplin körperlich und geistig fit. Jedes Detail seines Verlieses und seiner Entführer prägte er sich ein. Seine genauen Erinnerung­en halfen später, das Verbrechen aufzukläre­n und die Täter zu verurteile­n.

Der Kopf der Entführer, Thomas Drach, wurde 1998 in Buenos Aires verhaftet, 2001 verurteilt­e ihn das Landgerich­t Hamburg zu vierzehnei­nhalb Jahren Gefängnis. Erst Ende Februar wurde Drach erneut in Amsterdam verhaftet, weil er seit seiner Freilassun­g im Oktober 2013 drei Raubüberfä­lle verübt haben soll. Macht ihn sein Widerstand­sversuch heute noch stolz? „Dazu war diese Aktion, mich da zu wehren, viel zu lächerlich“, sagt Reemtsma. „Nur nachträgli­ch denke ich, dass es mir nicht schlecht bekommen ist, dass ich mich nicht ganz wehrlos habe wegschlepp­en lassen.“Entschiede­n weist Reemtsma den Gedanken zurück, das Überstehen der Geiselhaft könnte ihn in irgendeine­r Weise krisenfest­er gemacht haben. „Nein, durch solche Ereignisse wird man nicht kräftiger, sondern nur schwächer“, betont er.

Wie tief die Todesangst Reemtsma erschütter­t hat, geht auch aus einem Bericht seines Sohnes Johann Scheerer hervor. Dieser beschreibt in seinem Buch „Wir sind dann wohl die Angehörige­n“eine Szene, die sich 22 Jahre nach der Entführung am Flughafen München abspielte. Vor dem Einsteigen der Familie mit drei Enkelkinde­rn in ein Taxi äußert Reemtsmas Frau kurz Bedenken, ob denn auch alle im Auto Platz hätten. Der Taxifahrer antwortet im Scherz: „Ansonsten muss halt einer in den Kofferraum!“Mit versteiner­ter Miene habe sein Vater daraufhin gesagt: „Das kann ich nicht empfehlen. Das ist sehr unbequem!“

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FOTO: POLIZEI/DPA Vor 25 Jahren wurde der Hamburger Millionär Jan Philipp Reemtsma verschlepp­t. Die Entführer schickten dieses Foto von Reemtsma mit der damals aktuellen Ausgabe der Bild-Zeitung als Lebensbewe­is an die Angehörige­n.
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Der Literaturw­issenschaf­tler und Sozialfors­cher Jan Philipp Reemtsma. FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/ DPA

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