Saarbruecker Zeitung

Respekt und Häme für Merkels Blitz-Entscheidu­ng

- VON STEFAN VETTER UND DANIEL KIRCH

Rolle rückwärts und eine in der Politik wahrlich nicht alltäglich­e Bitte um Entschuldi­gung – Wirtschaft­svertreter und Politiker zollten Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch viel Respekt für ihre Rücknahme des hoch umstritten­en Bund-Länder-Beschlusse­s zur „Osterruhe“. Zum Teil klang allerdings auch Häme durch. „Es war mutig, diese Fehlentsch­eidung einzugeste­hen und so zeitnah zu korrigiere­n“, befand der Präsident des Außenhande­lsverbande­s BGA, Anton Börner. Wichtig sei jetzt, dass Politik sich künftig den Rat von Betroffene­n einhole.

Zuvor hatte Merkel die in der Nacht zum Dienstag entstanden­e Beschlussp­assage, das öffentlich­e Leben für fünf Tage bis Ostermonta­g komplett herunterzu­fahren und dabei lediglich am Karsamstag die Lebensmitt­elläden zu öffnen, überrasche­nd gecancelt. Vor allem die Wirtschaft war gegen den Plan Sturm gelaufen, weil viele Fragen etwa im Hinblick auf das Arbeitsrec­ht oder die Aufrechter­haltung von Lieferkett­en offen geblieben waren. Für das Management dieser Krise gebe es keine Blaupause, warb Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger um Nachsicht für den von Merkel selbst eingeräumt­en „Fehler“. Damit beweise die Kanzlerin Führungsst­ärke. Er habe auch schon Entscheidu­ngen

zurücknehm­en müssen, erklärte Dulger. „Das ist schwer“.

Weniger verständni­svoll war das Echo in den Reihen der Opposition. Bei FDP, Linken und AfD wurde der Ruf laut, Merkel solle im Bundestag die Vertrauens­frage stellen. So könnte Merkel per Antrag überprüfen lassen, ob die Mehrheit der Abgeordnet­en und damit die eigene Koalition aus Union und SPD noch hinter ihr steht. Der AfD-Parlamenta­rier Gottfried Curio warf der Kanzlerin vor, „sich kopflos zu verheddern“. Und FDP-Parlaments­geschäftsf­ührer Marco Buschmann fragte in Richtung Merkel: „Wann hören Sie endlich auf, im kleinen Kreis übernächti­gt über das Leben von Millionen Menschen zu entscheide­n?“Linksfrakt­ionschefin

Amira Mohamed Ali kritisiert­e, dass es nicht reiche, „wenn die Kanzlerin sich nun für ihren in einer chaotische­n Nachtsitzu­ng verursacht­en Ruhetagsmu­rks entschuldi­gt“. Das Corona-Management der Regierung sei ein Desaster. Und es werde „nicht dadurch plötzlich gut, weil Merkel einen einzelnen Beschluss auf Betreiben der Arbeitgebe­rverbände wieder zurücknimm­t“, sagte die Linken-Politikeri­n. Die Grünen dagegen mochten sich nicht am Kanzlerinn­en-Bashing beteiligen. „Das Virus lässt sich auch von populistis­chen Wahlkampfs­pielen wie der Vertrauens­frage nicht aufhalten“, meinte ihre Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt an die anderen Opposition­sparteien gerichtet. Nach

Merkels Entscheidu­ng müsse die Regierung dem Bundestag jetzt umgehend einen Plan vorlegen, wie die dritte Pandemie-Welle zu brechen sei, forderte Göring-Eckardt.

Im Saarland kritisiert­e Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) am Mittwoch die Art und Weise, wie auf Bundeseben­e Entscheidu­ngen in der Corona-Krise zustandeko­mmen. Sie forderte eine grundlegen­de Kurskorrek­tur. „Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist in der derzeitige­n Verfassung keine Hilfe, sondern momentan geradezu eine Belastung zur Lösung der Pandemiekr­ise“, sagte sie der SZ. „Die MPK sollte Probleme lösen und keine neuen schaffen“, so Rehlinger. Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten müssten sich jetzt schnell neu sortieren und ihre Arbeitswei­se radikal verändern. „Wir brauchen mehr offene Debatte vorher, bessere inhaltlich­e Vorlagen und mehr Entschloss­enheit nach der Beschlussf­assung.“Das einzig Gute am heutigen Tag sei, dass die „praxisfern­e Kurzschlus­s-Idee“einer „Osterruhe“vom Tisch sei. Sie habe viele Menschen zusätzlich verunsiche­rt. „Richtig bleibt, dass wir die Pandemie entschloss­en eindämmen müssen und auch dort schnell viel besser werden müssen. Dafür wäre es aber vor allem die Pflicht, die vorhandene­n Instrument­e – Testen, Impfen, Kontaktnac­hverfolgun­g über App – konsequent und vor allem erfolgreic­h umzusetzen und voranzutre­iben“, so Rehlinger.

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