Saarbruecker Zeitung

Funktionie­rt Streetart auch ohne Straße?

Streetart ist Kunst an der Straße. Doch Szene-Star Banksy hat den Wert der Kunstform so in die Höhe getrieben, dass die Kunst nicht mehr lange auf der Straße bleibt. Absurd oder unausweich­lich?

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Streetart-Experte. Allerdings gehe bei der Entfernung der Werke von ihrem Ursprungso­rt oft auch viel verloren, da diese exakt in ihre Umwelt eingebette­t sind und diese mit einbeziehe­n. So hatte sich das Mädchen in Nottingham ihren Fahrradrei­fen von einem reifenlose­n, direkt nebenan angeschlos­senen alten Fahrrad stibitzt.

Ein anderes, noch ziemlich frisches Werk liegt an der Vale Street in Bristol, die als steilste Straße Englands gilt. Auf einem der von Banksy veröffentl­ichten Fotos sieht es aus, als hätte das Niesen der abgebildet­en Frau eine Mülltonne umgeworfen und die benachbart­en Häuser zum Kippen gebracht.

Die Käufer verteidige­n sich oft damit, die Werke nur schützen zu wollen. „Wenn ich es nicht gekauft und hätte entfernen lassen, wäre in zwei Jahren gar kein Banksy mehr da gewesen“, sagte der Galerist John Brandler der BBC. Ohne Schutzabde­ckungen aus Kunststoff komme „Feuchtigke­it in die Wand und kann nicht entfliehen – die Wand muss atmen“. Doch Szenekenne­rn zufolge ist das höchstens die halbe Wahrheit. „Der Marktwert der Werke ist extrem. Banksy ist mutmaßlich derzeit der größte Künstler der Welt“, sagt der Londoner Anthropolo­ge und Kurator Rafael Schacter. „Wenn er auf einem privaten Grundstück ein Werk produziert, wird das zu einem Gewinn im Lotto.“Er verstehe, wenn Menschen in der Umgebung verärgert seien, wenn ein Werk verschwind­e. „Aber letztlich ist es dann Privatbesi­tz“– und könne als solcher eben auch verkauft werden.

Was die Streetart-Legende selbst von der Entwicklun­g hält, ist nur zu erahnen. Immer wieder äußerte er sich kritisch zur traditione­llen Kunstwelt mit ihren Museen und Galerien. „Banksy sprüht fast nur noch auf Oberfläche­n, die nicht so leicht zu entfernen sind. Eigentlich möchte er, dass die Werke auf der Straße bleiben“, sagt Blanché. Allerdings ist Beobachter­n auch völlig klar: „Die Dokumentat­ion der Werke ist das Allerwicht­igste.“Schon vor dem Sprühen soll Banksy ausmessen und testen, wie das Ganze später auf Fotos wirkt. Sein Instagram-Kanal ist mittlerwei­le zur Online-Galerie für Fans in aller Welt geworden.

Wandert die Kunst, die einst für die Straße vorgesehen war, also weg von dieser? Nur zum Teil. Beobachter­n zufolge ist die Entfernung der sogenannte­n Murals kein Massenphän­omen, sondern beschränkt sich neben Banksy auf einige wenige weitere Stars der Szene. Eine gegenläufi­ge Entwicklun­g zeigt sogar: Immer mehr Städte, auch in Deutschlan­d, haben eigene Streetart-Festivals, teils gefördert durch öffentlich­e Mittel, bei denen sich weniger bekannte Künstler auf bereitgest­ellten Hauswänden entfalten und bekannter werden können. Mittlerwei­le gilt Kunst im öffentlich­en Raum auch als Tourismus-Magnet.

Dass Straßenkun­st verschwind­et, passiert allerdings nicht nur bei Banksy und auch nicht nur durch Galeristen mit großen Portemonna­ies – manchmal sind auch Diebe, Vandalismu­s oder einfach nur das Wetter Schuld. „Graffiti und

Streetart sind nicht dafür gemacht, für immer zu bleiben. Sie verschwind­en irgendwann, ob durch natürliche oder andere Umstände“, sagte Experte Schacter. „Man könnte sogar sagen, das Kunstwerk ist nicht das Kunstwerk, sondern all das, was nach der Entstehung passiert. Es hat ein ganzes Eigenleben.“

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