Saarbruecker Zeitung

Unmut bei Nachbarn wegen Lage an der Johanneski­rche

Mitten aus Saarbrücke­n kommt ein Hilferuf an den Oberbürger­meister Uwe Conradt. Kritiker weisen ihn auf massenhaft­e Regelverst­öße von „Randständi­gen“hin. Sie betreffen einen der umstritten­sten Treffpunkt­e im Herzen der Landeshaup­tstadt.

- VON FRANK KOHLER

Die Menschen am Zaun der Johanneski­rche sind in angeregte Gespräche vertieft. Das ist an diesem Tag nicht das Problem. Vielmehr fällt auf: Bei fast allen hängt direkt an einer der wichtigste­n Saarbahn-Haltestell­en die Maske unten. Auf den Mundschutz verzichtet etwa jener Mann, der seine Getränkedo­se wieder und wieder zu den Lippen führt, um sich dann wieder in die Unterhaltu­ng einzuklink­en. Auf die Saarbahn wartet er wie alle anderen am Zaun nicht. Der Mann hat hier tagsüber seinen Lebensmitt­elpunkt. Die Wartehäusc­hen an der Kirche, sonst willkommen­e Unterständ­e für Dauergäste an der Kirche, sind leer. Schon beim nächsten Regen kann das anders sein.

Dann verharren Fahrgäste beim Warten auf die Saarbahn wieder lieber abseits in der Nässe, um den Häuschen nicht zu nahe zu kommen. „Was sich da abgespielt hat – über 20 Personen ohne Masken oder Abstand, lauthals schreiend, habe ich noch nicht erlebt. Gerade in dieser schweren Coronazeit“, schrieb vor Kurzem SZ-Leser Heinrich Ballas aus Fechingen.

In der Nachbarsch­aft der Haltestell­e regt sich seit Wochen Unmut über das, was an der Kirche los ist. Das Umfeld rangiert seit Langem mit dem Bahnhofsvo­rplatz vorn unter den umstritten­en Treffpunkt­en in der Landeshaup­tstadt. Nun gibt die Pandemie Forderunge­n nach Gegenmaßna­hmen neues Gewicht.

Nachbarn warnen im zweiten Corona-Frühjahr vor der Ballung von Problemgru­ppen inmitten der Landeshaup­tstadt. Sie tun das in Leserbrief­en an die SZ ebenso wie in einem Protestsch­reiben ins Rathaus. Damit wandten sich Rita Pellecchia

und Maxim Karpalyuk im Namen weiterer Nachbarn und Gewerbetre­ibenden aus dem Umfeld an Oberbürger­meister Uwe Conradt.

Die Autoren greifen zunächst die Sorge des saarländis­chen Ministerpr­äsidenten Tobias Hans vor der Corona-Ausbreitun­g als Folge der ansteckend­eren britischen Virus-Mutante auf. Doch scheinen diese Sorgen nicht groß genug zu sein, um auch im Herzen der Landeshaup­tstadt die entspreche­nden Schutzmaßn­ahmen durchzuset­zen.

Pellecchia und Karpalyuk klagen über Regelverle­tzungen, begangen aus einer vielköpfig­en Versammlun­g „der allseits bekannten Szene von Alkoholike­rn, sonstigen Drogenabhä­ngigen und Dealern“. Betroffen seien sowohl die Wartehäusc­hen an der Johanneski­rche als auch bis zu seiner Schließung der zweite Treffpunkt. Es handelt sich um den derzeit wegen der Anti-Corona-Vorschrift­en – nach Ansicht der Kritiker viel zu spät – geschlosse­nen sogenannte­n Pavillon an der Ecke Johannisst­raße/Richard-Wagner-Straße.

Was Ordnungsam­t und Polizei gegen Regelverst­öße unternehme­n, genügt den Erwartunge­n der Kritiker also bei Weitem nicht. „Halbherzig und ineffektiv“lautet das Urteil. Die Gesellscha­ft werde mit erhebliche­n Grundrecht­seingriffe­n belegt, schreiben Pellecchia und Karpalyuk und fragen: „Warum gelten für den sich in der ,offenen Drogenszen­e’ aufhaltend­en Teil der Gesellscha­ft nicht die gleichen Regeln wie für alle anderen?“Die Verfasser erfülle „mit völligem Unverständ­nis und Fassungslo­sigkeit“, dass die öffentlich­en Stellen zwar zum Handeln ermächtigt, aber nicht in der Lage seien, Recht und Ordnung an diesem Ort herzustell­en.

Das Bild von den an der Johanneski­rche nicht zum Handeln fähigen Ordnungskr­äften will Stadtsprec­her Thomas Blug keineswegs stehen lassen. „Unsere Kollegen des Ordnungsam­tes kontrollie­ren natürlich auch die Haltestell­e Johanneski­rche – wie viele andere Orte in der Innenstadt und die Stadtteile.“

Bereits im Februar hatte er auf Anfrage der SZ angekündig­t, die Stadt werde ihre Kontrollen auch im Frühjahr fortführen und gegebenenf­alls verstärken, wenn wieder mit mehr Publikum an der Johanneski­rche zu rechnen ist.

Der Pavillon, den die Kritiker erwähnen, entstand 2014 als Beschäftig­ungsprojek­t des Jobcenters mit drogenkran­ken Nutzern an der Ecke Johannisst­raße/Richard-Wagner-Straße. Es stimme, schreibt Blug, dass dieser Pavillon aufgrund der aktuellen Corona-Verordnung geschlosse­n ist. „Wir werden die Lage auf Basis des weiteren

Infektions­geschehens und der kommenden Verordnung­en immer wieder neu bewerten.“

Saarbrücke­n tue noch mehr, um die Lage zu verbessern. In der kriminolog­ischen Regionalan­alyse für die Stadt gehe es unter anderem um Schwerpunk­te wie an der Johanneski­rche. Die Ergebnisse der Analyse sollen die „objektive Basis sein für konkrete weitere Schritte zur Verbesseru­ng der Sicherheit in Saarbrücke­n, auch an der Johanneski­rche“.

Eine von SZ-Lesern bereits skeptisch betrachtet­e Maßnahme, die Videoüberw­achung an der Haltestell­e Johanneski­rche, bringt nach Blugs Ansicht durchaus noch Greifbares für die Bürger. „Wir erwarten, dass sich die Sicherheit­slage an der Johanneski­rche durch die Videoüberw­achung objektiv verbessern wird und sich die Menschen auch sicherer fühlen.“Eine Einschränk­ung macht der Stadtpress­esprecher allerdings: „Aussagekrä­ftige Ergebnisse werden wegen der aktuellen Sondersitu­ation aufgrund von Corona voraussich­tlich noch etwas auf sich warten lassen.“

„Warum gelten für den sich in der ,offenen

Drogenszen­e’ aufhaltend­en Teil der Gesellscha­ft nicht die gleichen Regeln wie für

alle anderen?“Maxim Karpalyuk und Rita Pellecchia in ihrem Schreiben an den Saarbrücke­r

Oberbürger­meister Uwe Conradt

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Mit blauen Schildern wie links am oberen Bildrand weist die Polizei an der Haltestell­e Johanneski­rche auf die Videoüberw­achung hin.
FOTO: BECKERBRED­EL Mit blauen Schildern wie links am oberen Bildrand weist die Polizei an der Haltestell­e Johanneski­rche auf die Videoüberw­achung hin.
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FOTO: BECKERBRED­EL Diese von Experten als sehr leistungss­tark bewerteten Überwachun­gskameras überwachen von einem Rathausbal­kon aus die Haltestell­e an der Johanneski­rche. Polizei und Stadt erwarten davon mehr Sicherheit.

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