Unmut bei Nachbarn wegen Lage an der Johanneskirche
Mitten aus Saarbrücken kommt ein Hilferuf an den Oberbürgermeister Uwe Conradt. Kritiker weisen ihn auf massenhafte Regelverstöße von „Randständigen“hin. Sie betreffen einen der umstrittensten Treffpunkte im Herzen der Landeshauptstadt.
Die Menschen am Zaun der Johanneskirche sind in angeregte Gespräche vertieft. Das ist an diesem Tag nicht das Problem. Vielmehr fällt auf: Bei fast allen hängt direkt an einer der wichtigsten Saarbahn-Haltestellen die Maske unten. Auf den Mundschutz verzichtet etwa jener Mann, der seine Getränkedose wieder und wieder zu den Lippen führt, um sich dann wieder in die Unterhaltung einzuklinken. Auf die Saarbahn wartet er wie alle anderen am Zaun nicht. Der Mann hat hier tagsüber seinen Lebensmittelpunkt. Die Wartehäuschen an der Kirche, sonst willkommene Unterstände für Dauergäste an der Kirche, sind leer. Schon beim nächsten Regen kann das anders sein.
Dann verharren Fahrgäste beim Warten auf die Saarbahn wieder lieber abseits in der Nässe, um den Häuschen nicht zu nahe zu kommen. „Was sich da abgespielt hat – über 20 Personen ohne Masken oder Abstand, lauthals schreiend, habe ich noch nicht erlebt. Gerade in dieser schweren Coronazeit“, schrieb vor Kurzem SZ-Leser Heinrich Ballas aus Fechingen.
In der Nachbarschaft der Haltestelle regt sich seit Wochen Unmut über das, was an der Kirche los ist. Das Umfeld rangiert seit Langem mit dem Bahnhofsvorplatz vorn unter den umstrittenen Treffpunkten in der Landeshauptstadt. Nun gibt die Pandemie Forderungen nach Gegenmaßnahmen neues Gewicht.
Nachbarn warnen im zweiten Corona-Frühjahr vor der Ballung von Problemgruppen inmitten der Landeshauptstadt. Sie tun das in Leserbriefen an die SZ ebenso wie in einem Protestschreiben ins Rathaus. Damit wandten sich Rita Pellecchia
und Maxim Karpalyuk im Namen weiterer Nachbarn und Gewerbetreibenden aus dem Umfeld an Oberbürgermeister Uwe Conradt.
Die Autoren greifen zunächst die Sorge des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans vor der Corona-Ausbreitung als Folge der ansteckenderen britischen Virus-Mutante auf. Doch scheinen diese Sorgen nicht groß genug zu sein, um auch im Herzen der Landeshauptstadt die entsprechenden Schutzmaßnahmen durchzusetzen.
Pellecchia und Karpalyuk klagen über Regelverletzungen, begangen aus einer vielköpfigen Versammlung „der allseits bekannten Szene von Alkoholikern, sonstigen Drogenabhängigen und Dealern“. Betroffen seien sowohl die Wartehäuschen an der Johanneskirche als auch bis zu seiner Schließung der zweite Treffpunkt. Es handelt sich um den derzeit wegen der Anti-Corona-Vorschriften – nach Ansicht der Kritiker viel zu spät – geschlossenen sogenannten Pavillon an der Ecke Johannisstraße/Richard-Wagner-Straße.
Was Ordnungsamt und Polizei gegen Regelverstöße unternehmen, genügt den Erwartungen der Kritiker also bei Weitem nicht. „Halbherzig und ineffektiv“lautet das Urteil. Die Gesellschaft werde mit erheblichen Grundrechtseingriffen belegt, schreiben Pellecchia und Karpalyuk und fragen: „Warum gelten für den sich in der ,offenen Drogenszene’ aufhaltenden Teil der Gesellschaft nicht die gleichen Regeln wie für alle anderen?“Die Verfasser erfülle „mit völligem Unverständnis und Fassungslosigkeit“, dass die öffentlichen Stellen zwar zum Handeln ermächtigt, aber nicht in der Lage seien, Recht und Ordnung an diesem Ort herzustellen.
Das Bild von den an der Johanneskirche nicht zum Handeln fähigen Ordnungskräften will Stadtsprecher Thomas Blug keineswegs stehen lassen. „Unsere Kollegen des Ordnungsamtes kontrollieren natürlich auch die Haltestelle Johanneskirche – wie viele andere Orte in der Innenstadt und die Stadtteile.“
Bereits im Februar hatte er auf Anfrage der SZ angekündigt, die Stadt werde ihre Kontrollen auch im Frühjahr fortführen und gegebenenfalls verstärken, wenn wieder mit mehr Publikum an der Johanneskirche zu rechnen ist.
Der Pavillon, den die Kritiker erwähnen, entstand 2014 als Beschäftigungsprojekt des Jobcenters mit drogenkranken Nutzern an der Ecke Johannisstraße/Richard-Wagner-Straße. Es stimme, schreibt Blug, dass dieser Pavillon aufgrund der aktuellen Corona-Verordnung geschlossen ist. „Wir werden die Lage auf Basis des weiteren
Infektionsgeschehens und der kommenden Verordnungen immer wieder neu bewerten.“
Saarbrücken tue noch mehr, um die Lage zu verbessern. In der kriminologischen Regionalanalyse für die Stadt gehe es unter anderem um Schwerpunkte wie an der Johanneskirche. Die Ergebnisse der Analyse sollen die „objektive Basis sein für konkrete weitere Schritte zur Verbesserung der Sicherheit in Saarbrücken, auch an der Johanneskirche“.
Eine von SZ-Lesern bereits skeptisch betrachtete Maßnahme, die Videoüberwachung an der Haltestelle Johanneskirche, bringt nach Blugs Ansicht durchaus noch Greifbares für die Bürger. „Wir erwarten, dass sich die Sicherheitslage an der Johanneskirche durch die Videoüberwachung objektiv verbessern wird und sich die Menschen auch sicherer fühlen.“Eine Einschränkung macht der Stadtpressesprecher allerdings: „Aussagekräftige Ergebnisse werden wegen der aktuellen Sondersituation aufgrund von Corona voraussichtlich noch etwas auf sich warten lassen.“
„Warum gelten für den sich in der ,offenen
Drogenszene’ aufhaltenden Teil der Gesellschaft nicht die gleichen Regeln wie für
alle anderen?“Maxim Karpalyuk und Rita Pellecchia in ihrem Schreiben an den Saarbrücker
Oberbürgermeister Uwe Conradt