Saarbruecker Zeitung

Wie sich Corona im Saarland auf die Kriminalit­ät auswirkt

Während im Corona-Jahr die Zahl der Straftaten im Saarland insgesamt gesunken ist, stieg die aus dem Bereich der „Straftaten gegen das Leben“um fast 47 Prozent.

- VON MICHAEL KIPP

„Weniger Mobilität, weniger Bewegung, weniger Straftaten“, lautete das Fazit des saarländis­chen Innenminis­ters Klaus Bouillon (CDU) beim Blick auf die polizeilic­he Kriminalst­atistik aus dem Jahr 2020. Die hat er am Mittwoch vorgestell­t. „Wir hatten insgesamt 68 400 Straftaten“, erklärte der Minister. Das sei ein Rückgang von 8,5 Prozent. Und auch die Aufklärung­squote konnten „wir um knapp vier Prozent auf 57,8 Prozent steigern“, lobte Bouillon die saarländis­che Polizei. Wobei auch die weiß, dass der Rückgang der Straftaten „sicherlich der Pandemie geschuldet ist“, wie Bouillon erklärte. Wegen ihr seien vor allem die Zahlen im Bereich der Rohheitsde­likte (Raub, Körperverl­etzung und Nötigung) und der Diebstahls­fälle gesunken. Geschlosse­ne Kneipen und Diskos, keine Großverans­taltungen, keine Partys und Volksfeste – die Tatgelegen­heiten fehlten (wir berichtete­n bereits).

Um 46,7 Prozent gestiegen sind allerdings die Fallzahlen bei den Straftaten gegen das Leben. Mord und Totschlag in der Pandemie allenthalb­en? Die Vizepräsid­entin der saarländis­chen Polizei, Natalie Grandjean,

schlüsselt­e den Anstieg von 14 auf insgesamt 44 Fälle auf: Insgesamt handele es sich um elf Morddelikt­e, davon neun Versuche; 23 Totschlags­delikte, davon 18 Versuche; und acht fahrlässig­e Tötungen „und zwei Mal der Versuch eines Schwangers­chaftsabbr­uchs“, wie Grandjean sagte. Erklärunge­n für den Anstieg seien, dass die Staatsanwa­ltschaft Saarbrücke­n Brandstift­ungen immer öfters als Tötungsdel­ikt werte. Dazu befänden sich viele Altfälle in der 2020-Statistik. Grund: „Es konnten die Ermittlung­en von 16 Fällen, die sich in den Jahren 2013 bis 2019 ereignet haben, 2020 abgeschlos­sen werden. Mord verjährt nicht“, sagte Grandjean.

Auch die „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung“sind von 713 auf 883 um 23,8 Prozent gestiegen. „Eine deutliche Steigerung“, sagte Gerald Stock, Leiter der Direktion Kriminalit­ätsbekämpf­ung beim LKA. Die Zahlen für Vergewalti­gung und sexuelle Nötigung (74) und sexuelle Belästigun­g (149) seien „in etwa gleichgebl­ieben“, führte er weiter aus. Angestiege­n sei hingegen der „sexuelle Missbrauch von Kindern um 33 auf 149 Delikte“, erklärte Stock. Hauptsächl­ich der schwere Missbrauch. „Wir haben auch einen deutlichen Anstieg bei Verbreitun­g, Erwerb und Besitz und Herstellun­g kinderporn­ografische­r Schriften um 56 auf 192 Fälle.“Von den 231 Tatverdäch­tigen seien 109 unter 21 Jahre alt sind, darunter viele Jugendlich­e und Kinder. Sie verschicke­n selbst von sich Nacktfotos – als Mutprobe, als Liebesbewe­is, als Selbstdars­tellung, aus Gruppenzwa­ng oder weil sie erpresst werden.

Die Zahl der Straftaten gegen ältere Menschen ist zwar gestiegen, die Taten waren aber weniger erfolgreic­h. Enkeltrick­s funktionie­ren nur noch selten. „Auch aufgrund der guten Prävention­sarbeit haben wir es geschafft, dass 96 Prozent aller Betrugsver­suche im Versuchsst­adium blieben. Das heißt, die ältere Genetratio­n ist aufmerksam­er denn je. Wir werden die Öffentlich­keitsarbei­t noch verstärken, um diese Dinge zu stabilisie­ren“, sagte Bouillon. Dennoch gab es im vergangene­n Jahr zwei besonders gravierend­e Fälle in diesem Bereich. Einmal erbeuteten die Täter 200 000 Euro, in einem anderen Fall gar 500 000 Euro. Sie hatten an der Haustüre vorgespiel­t, Polizisten zu sein. Sie wüssten, dass ein Raubüberfa­ll geplant sei, und deshalb sollten die Betroffene­n ihre Wertgegens­tände aus ihren

Häusern in Sicherheit bringen: „Wir helfen ihnen dabei.“

Trotz sinkender Zahlen stieg der materielle Schaden der Straftaten im Saarland um 33,2 Prozent auf 83,3 Millionen Euro. „Diese Schäden führen wir insbesonde­re auf den Betrugsber­eich zurück, alleine hier hatten wir einen Anstieg von 14,1 Millionen Euro zu verzeichne­n“, sagte Grandjean. Auch der Betrug bei den Coronahilf­en fiel hier ins Gewicht.

Eine Überraschu­ng sei auf den ersten Blick, dass die Zahlen der häuslichen Gewalt um 1,8 Prozent auf 2937 zurückgega­ngen sind. Damit habe in der Pandemie niemand gerechnet. „Wir gehen schon davon aus, dass die Frauen zum Beispiel in Frauenhäus­ern vorstellig werden, ihre Probleme vortragen. Sie gehen dann aber nicht den nächsten

Schritt zur Polizei. Sie erstatten keine Anzeige“, vermutet Stock. „Das wird wohl erst in den kommenden Monaten passieren.“Grandjean ergänzte, dass „das Dunkelfeld bei etwa 85 Prozent liegt. Meist kommt es erst deutlich nach der Tat zur Anzeige“, weiß sie. Die Auswirkung­en der Pandemie werden sich wohl erst 2021 in der Statistik finden.

Auch die Fallzahlen bei „Cybercrime­s“sind um 21,1 Prozent deutlich zurückgega­ngen: „Wir haben da Wellen. Zum Beispiel die Sextorsion-Welle 2019, in der es um Erpressung im sexuellen Kontext geht. Diese Welle hat vergangene­s Jahr abgenommen“, erklärte Grandjean. Auch Ermittlung­serfolge würden sich in den Zahlen spiegeln. 2019 gab es auch Attacken auf die IT von saarländis­chen Krankenhäu­sern, „die wir 2020 nicht mehr gehabt haben“.

„Weniger Mobilität, weniger Bewegung, weniger Straftaten.“

Klaus Bouillon (CDU)

Innenminis­ter

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FOTO: BECKERBRED­EL Eine 48-jährige Frau wurde im März 2020 in Dudweiler erstochen. Auch diese Tat ging in die Statistik ein.

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