Wie sich Corona im Saarland auf die Kriminalität auswirkt
Während im Corona-Jahr die Zahl der Straftaten im Saarland insgesamt gesunken ist, stieg die aus dem Bereich der „Straftaten gegen das Leben“um fast 47 Prozent.
„Weniger Mobilität, weniger Bewegung, weniger Straftaten“, lautete das Fazit des saarländischen Innenministers Klaus Bouillon (CDU) beim Blick auf die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2020. Die hat er am Mittwoch vorgestellt. „Wir hatten insgesamt 68 400 Straftaten“, erklärte der Minister. Das sei ein Rückgang von 8,5 Prozent. Und auch die Aufklärungsquote konnten „wir um knapp vier Prozent auf 57,8 Prozent steigern“, lobte Bouillon die saarländische Polizei. Wobei auch die weiß, dass der Rückgang der Straftaten „sicherlich der Pandemie geschuldet ist“, wie Bouillon erklärte. Wegen ihr seien vor allem die Zahlen im Bereich der Rohheitsdelikte (Raub, Körperverletzung und Nötigung) und der Diebstahlsfälle gesunken. Geschlossene Kneipen und Diskos, keine Großveranstaltungen, keine Partys und Volksfeste – die Tatgelegenheiten fehlten (wir berichteten bereits).
Um 46,7 Prozent gestiegen sind allerdings die Fallzahlen bei den Straftaten gegen das Leben. Mord und Totschlag in der Pandemie allenthalben? Die Vizepräsidentin der saarländischen Polizei, Natalie Grandjean,
schlüsselte den Anstieg von 14 auf insgesamt 44 Fälle auf: Insgesamt handele es sich um elf Morddelikte, davon neun Versuche; 23 Totschlagsdelikte, davon 18 Versuche; und acht fahrlässige Tötungen „und zwei Mal der Versuch eines Schwangerschaftsabbruchs“, wie Grandjean sagte. Erklärungen für den Anstieg seien, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Brandstiftungen immer öfters als Tötungsdelikt werte. Dazu befänden sich viele Altfälle in der 2020-Statistik. Grund: „Es konnten die Ermittlungen von 16 Fällen, die sich in den Jahren 2013 bis 2019 ereignet haben, 2020 abgeschlossen werden. Mord verjährt nicht“, sagte Grandjean.
Auch die „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“sind von 713 auf 883 um 23,8 Prozent gestiegen. „Eine deutliche Steigerung“, sagte Gerald Stock, Leiter der Direktion Kriminalitätsbekämpfung beim LKA. Die Zahlen für Vergewaltigung und sexuelle Nötigung (74) und sexuelle Belästigung (149) seien „in etwa gleichgeblieben“, führte er weiter aus. Angestiegen sei hingegen der „sexuelle Missbrauch von Kindern um 33 auf 149 Delikte“, erklärte Stock. Hauptsächlich der schwere Missbrauch. „Wir haben auch einen deutlichen Anstieg bei Verbreitung, Erwerb und Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften um 56 auf 192 Fälle.“Von den 231 Tatverdächtigen seien 109 unter 21 Jahre alt sind, darunter viele Jugendliche und Kinder. Sie verschicken selbst von sich Nacktfotos – als Mutprobe, als Liebesbeweis, als Selbstdarstellung, aus Gruppenzwang oder weil sie erpresst werden.
Die Zahl der Straftaten gegen ältere Menschen ist zwar gestiegen, die Taten waren aber weniger erfolgreich. Enkeltricks funktionieren nur noch selten. „Auch aufgrund der guten Präventionsarbeit haben wir es geschafft, dass 96 Prozent aller Betrugsversuche im Versuchsstadium blieben. Das heißt, die ältere Genetration ist aufmerksamer denn je. Wir werden die Öffentlichkeitsarbeit noch verstärken, um diese Dinge zu stabilisieren“, sagte Bouillon. Dennoch gab es im vergangenen Jahr zwei besonders gravierende Fälle in diesem Bereich. Einmal erbeuteten die Täter 200 000 Euro, in einem anderen Fall gar 500 000 Euro. Sie hatten an der Haustüre vorgespielt, Polizisten zu sein. Sie wüssten, dass ein Raubüberfall geplant sei, und deshalb sollten die Betroffenen ihre Wertgegenstände aus ihren
Häusern in Sicherheit bringen: „Wir helfen ihnen dabei.“
Trotz sinkender Zahlen stieg der materielle Schaden der Straftaten im Saarland um 33,2 Prozent auf 83,3 Millionen Euro. „Diese Schäden führen wir insbesondere auf den Betrugsbereich zurück, alleine hier hatten wir einen Anstieg von 14,1 Millionen Euro zu verzeichnen“, sagte Grandjean. Auch der Betrug bei den Coronahilfen fiel hier ins Gewicht.
Eine Überraschung sei auf den ersten Blick, dass die Zahlen der häuslichen Gewalt um 1,8 Prozent auf 2937 zurückgegangen sind. Damit habe in der Pandemie niemand gerechnet. „Wir gehen schon davon aus, dass die Frauen zum Beispiel in Frauenhäusern vorstellig werden, ihre Probleme vortragen. Sie gehen dann aber nicht den nächsten
Schritt zur Polizei. Sie erstatten keine Anzeige“, vermutet Stock. „Das wird wohl erst in den kommenden Monaten passieren.“Grandjean ergänzte, dass „das Dunkelfeld bei etwa 85 Prozent liegt. Meist kommt es erst deutlich nach der Tat zur Anzeige“, weiß sie. Die Auswirkungen der Pandemie werden sich wohl erst 2021 in der Statistik finden.
Auch die Fallzahlen bei „Cybercrimes“sind um 21,1 Prozent deutlich zurückgegangen: „Wir haben da Wellen. Zum Beispiel die Sextorsion-Welle 2019, in der es um Erpressung im sexuellen Kontext geht. Diese Welle hat vergangenes Jahr abgenommen“, erklärte Grandjean. Auch Ermittlungserfolge würden sich in den Zahlen spiegeln. 2019 gab es auch Attacken auf die IT von saarländischen Krankenhäusern, „die wir 2020 nicht mehr gehabt haben“.
„Weniger Mobilität, weniger Bewegung, weniger Straftaten.“
Klaus Bouillon (CDU)
Innenminister