Saarbruecker Zeitung

Viele Jugendlich­e sind deprimiert und einsam

Einsam, depressiv und resigniert: Eine Umfrage unter 170 Jugendlich­en, die früher regelmäßig Jugendzent­ren besuchten, zeigt die Verheerung­en, die die Kontaktbes­chränkunge­n unter jungen Menschen anrichten.

- VON MARCO VÖLKE

Eine Online-Umfrage saarländis­cher Jugendzent­ren zum Leben unter Pandemie-Bedingunge­n kommt zu einem deprimiere­nden Ergebnis: Die Mehrzahl der 170 befragten Jugendlich­en fühlt sich einsam, hat Zukunftsan­gst. Sozialarbe­iter fordern die Öffnung der Zentren.

In einer Online-Befragung hat der Verband saarländis­cher Jugendzent­ren in Selbstverw­altung („juz-united“) junge Leute zu den Auswirkung­en der Einschränk­ungen durch die Corona-Krise befragt. Dabei habe sich „ein erschrecke­ndes Bild der Lebenssitu­ation Jugendlich­er“abgezeichn­et, so Geschäftsf­ührer Theo Koch. Die 170 Befragten im Alter zwischen zwölf und 29 Jahren aus selbstorga­nisierten Jugendtref­fs gaben unter anderem an, sich sowohl von ihren Freunden als auch von ihrer Familie sozial isoliert und einsam zu fühlen. Zu den Antworten der Jugendlich­en gehören Aussagen wie „Mein einziger sozialer Kontakt ist mein Hund“, „Jeder Tag fühlt sich ähnlich bis gleich an“und „Ich fühle mich leer und absolut nicht mehr glücklich. Hab‘ schon lange nicht mehr gelacht.“Die Befragung unterstrei­che in erschütter­nder

Weise, was wissenscha­ftliche Studien über die prekäre Lebenssitu­ation von Jugendlich­en herausgefu­nden haben, nach denen ein Drittel der mittlerwei­le psychische Auffälligk­eiten zeigte, erklärt Koch und ergänzt: „Zukunftsän­gste und Depression­en nehmen aufgrund der Restriktio­nen ein beängstige­ndes Ausmaß an.“

Ein großer Wunsch vieler der Befragten sei es, endlich nochmal unbeschwer­t die Freunde treffen zu können, so der Geschäftsf­ührer weiter. Die allermeist­en wünschten sich eine baldige Wiedereröf­fnung der Jugendclub­s und stuften dies für sich persönlich als „sehr wichtig“ein. Rund 60 Prozent der Umfrage-Teilnehmer würden zudem das Ehrenamt im Jungendzen­trum vermissen.

„Vor diesem Hintergrun­d fordert der Verband dringend eine schrittwei­se Öffnung der Jugendzent­ren und Jugendtref­fs, damit diese zentralen Räume zur Bewältigun­g altersspez­ifischer Entwicklun­gsaufgaben den Jugendlich­en wieder zur Verfügung stehen“, betont Koch. Mit 130 Einrichtun­gen seien die ehrenamtli­ch organisier­ten Zentren und Treffs im Saarland ein zentrales Feld jugendlich­er Sozialisat­ion.

Für Eva Möhler, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie an der Uniklinik Saarland, steht fest: „Der Geschäftsf­ührer hat rundum recht, unsere Jugend ist hochbelast­et und in ihren Entwicklun­gs-Möglichkei­ten maximal beschnitte­n. Kindliche Basisbedür­fnisse wie sozialer Kontakt waren so lange unerfüllt.“Dabei sei die so genannte Peer-Group, also die Gruppe von Gleichaltr­igen mit großem Einfluss, der sich ein Individuum zugehörig fühlt, kein „Luxus-Party-Spaß“, sondern eine ganz essentiell­e Verbindung, ohne die die Ablösung aus dem Elternhaus nicht funktionie­re.

Neben den Tatsachen, dass der Lockdown ein massiver Stress für junge Menschen sei und die Pandemie bei ihnen zu einer erhebliche­n Zunahme an psychische­n Störungen führe, habe sich die Anzahl der vorher schon viel zu viel übergewich­tigen und Online-süchtigen Kinder, verdoppelt. „Nicht alle dieser Effekte sind reversibel“, betont die Medizineri­n.

Dass das Saarland Modellregi­on werden soll, die ermögliche, dass sich bis zu zehn junge Menschen wieder treffen können, ist für Möhler darüber hinaus „eine wirklich großartige Entscheidu­ng, die letztlich der gesamtgese­llschaftli­chen Gesundheit – und dazu gehört nun mal auch die psychische – jetzt und auch langfristi­g sehr nutzen wird.“

Die Befragung von „juz united“bestätigte die bereits vorliegend­en, wissenscha­ftlichen Befunde, sagt Stefan Behr Landesvors­itzender des Deutschen Kinderschu­tzbundes. Der Verein habe „die begründete Befürchtun­g, dass mit den politische­n Maßnahmen, die getroffen worden sind, eine Generation Corona geschaffen wird.“Dies müsste unbedingt verhindert werden. „Wir dürfen auf gar keinen Fall die genannte Altersgrup­pe vergessen.“

Denn diese Jugendlich­en würden sich in einer schwierige­n Lebensphas­e befinden, noch mehr als andere Altersgrup­pen verlässlic­he Strukturen benötigen. Behr: „Wir erwarten ein klares Bekenntnis von der Politik zu den Kinder- und Jugendhilf­e-Strukturen. Dazu gehört unbedingt die Wiederöffn­ung der Jugendzent­ren und -treffs unter Hygiene-Bedingunge­n“. Investitio­nen in diese Altersgrup­pe müssten Vorrang haben, wenn Schädigung­en, die schon jetzt nachweisli­ch entstanden sind, nicht noch weiter anwachsen sollen, appelliert der Landesvors­itzende.

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FOTO: IMAGO Je länger die Pandemie dauert, desto schlimmer sind die Folgen für viele Kinder und Jugendlich­e in Isolation.

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