Saarbruecker Zeitung

Die Hilfe lässt nach, die Not in Idlib nimmt zu

Die Corona-Pandemie hat die „Geber-Müdigkeit“zur Linderung humanitäre­r Notfälle nicht nur in Syrien verstärkt. Was kann die Brüsseler Konferenz noch ausrichten?

- VON SARAH EL DEEB

(ap) Eine von EU und UN ausgericht­ete Geberkonfe­renz in Brüssel soll an diesem Dienstag dringend benötigte Hilfszusag­en für die im zehnjährig­en Bürgerkrie­g in Syrien entwurzelt­en Menschen bringen. Um mehr als vier Milliarden Dollar (3,4 Milliarden Euro) haben Vereinte Nationen und andere Hilfsorgan­isationen gebeten, so viel wie nie zuvor. Weitere 5,8 Milliarden Dollar (4,9 Milliarden Euro) werden für ins Ausland geflohene Syrer erbeten. Doch der internatio­nalen Gemeinscha­ft scheinen Not und Elend vor allem in der letzten syrischen Rebellenho­chburg Idlib, die im Nordwesten an die Türkei grenzt, aus dem Blick geraten zu sein. „Donor Fatigue“, „Geber-Müdigkeit“nennt man das Phänomen, das durch die Corona-Pandemie verstärkt wurde. „Wir erkennen voll an, dass es auch in den Geberlände­rn einen Covid-Effekt gibt, dass die Haushalte belastet sind“, sagt der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filipo Grandi. „Aber klarerweis­e wegen eben derselben Krise, die Haushalte belastet, ist dies nicht die Zeit, nachzulass­en.“

Nach UN-Daten sind mehr als die Hälfte der 13,4 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen – eine Zunahme von 20 Prozent gegenüber 2020. „Wir haben nicht annähernd genug Geld, all die Hilfe zu geben, die benötigt wird, sagt der stellvertr­etende UN-Koordinato­r für humanitäre Hilfe in Syrien, Mark Cutts. „Es ist einfach nur ein Kampf ums Überleben für diese Menschen, und oft sind es Frauen, Kinder, ältere und behinderte Menschen, die am meisten leiden.“

So wie Fatima al-Omar. Sie ist 19 und weiß, gestrandet in dem kleinen Ort Binnisch in der Provinz Idlib, nicht mehr ein und aus. Ihr Vater hat die Familie vor elf Jahren verlassen, und nachdem ihre Mutter an Krebs erkrankte, wurde sie die einzige Ernährerin für sie, die Großmutter und ihre drei Geschwiste­r. Doch dann schlug Ende 2020 das Coronaviru­s zu und Fatima verlor ihren Job als Olivenpflü­ckerin. Seitdem hat sie keine Arbeit mehr gefunden. „Es war schon schwierig, aber es wird ständig noch schwierige­r“, sagt sie in einem Telefonint­erview. „Wir haben nichts. Wir haben kein Wasser, kein Essen. Wir sind unter null.“

Geldnot zwingt viele Menschen in Idlib zu Umzügen, und auch davon sind Fatima und ihre Familie betroffen. Eine Million Vertrieben­e und Binnenflüc­htlinge sind in die Provinz vor den Truppen von Machthaber Baschar al-Assad geflüchtet. Nach Binnisch zogen sie, weil dort die Miete billiger ist. Dafür gab sie den nach ihren Worten besten Job auf, den sie bisher hatte: Atemschutz­masken nähen. Für 1500 Masken hatte sie umgerechne­t knapp sechs Euro bekommen. Zuhause arbeiten zu können bedeutete Sicherheit – und sie konnte nach ihren Geschwiste­rn sehen.

Die Appelle der Hilfsorgan­isationen zur Linderung der humanitäre­n Not in Syrien sind schon in den vorangegan­genen Jahren unter der Zielmarke geblieben. 3,82 Milliarden Dollar waren es für 2020, 45 Prozent davon wurden tatsächlic­h gegeben. In den Kalkulatio­nen des Welternähr­ungsprogra­mms (WFP) schlägt sich die „Geber-Müdigkeit“so nieder: Um alle Bedürftige­n versorgen zu können, wurden die Essensrati­onen von 2100 Kalorien am Tag auf 1264 reduziert. Statistisc­h 40 Prozent weniger. Einige betroffene Familien sagen jedoch, es sei nur noch die Hälfte Reis im Lebensmitt­elkorb.

Wegen der Corona-Pandemie wird 40 Prozent mehr Wasser benötigt, aber die Finanzieru­ng der Wasservers­orgung hält damit nicht Schritt. In einem Brief schrieben örtliche Nichtregie­rungsorgan­isationen, dass sie möglicherw­eise 55 Wasserstat­ionen im Nordwesten Syriens schließen müssen. 740 000 Menschen würden ihre Wasservers­orgung verlieren. „Die Lücken sind enorm“, sagt Tue Jakobson von Care Internatio­nal.

„Es ist einfach nur ein Kampf ums Überleben für diese Menschen.“Mark Cutts Stellvertr­etender UN-Koordinato­r für humanitäre Hilfe in Syrien

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