Saarbruecker Zeitung

Niedecken in Rente? „Nicht solang ich noch kann“

BAP-Kopf Wolfgang Niedecken wird heute 70 Jahre alt. Pläne hat er einige – aber Corona lässt ihn an ihrer Verwirklic­hung zweifeln.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

(dpa) Wolfgang Niedecken lehnt an dem Grabstein wie an einer Theke. Ganz entspannt. „Tja“, sagt er. „Die Mamm und der Bapp.“Beide liegen sie hier: Mama Tinny und Papa Josef Niedecken. Sie starb 2000, er 1980. Die Gruppe trägt seinen Namen: „Bapp“ist das kölsche Wort für „Papa“, nur das zweite „p“wurde weggelasse­n. Zustande gekommen ist der Name, weil der Sohn beim Proben so viele Geschichte­n über die Sparsamkei­t seines Vaters erzählte.

An diesem Dienstag wird Niedecken 70. „Ich hab‘s überhaupt nicht mit Zahlen. Klar, mit 70 denkt man sich: Mal sehen, wie lang‘s noch weitergeht.“Es ist ihm nicht anzusehen, dass er vor zehn Jahren einen Schlaganfa­ll erlitten hat. Damals hätte nicht viel gefehlt, und er wäre schon mit 60 von der Bühne abgetreten. „Ich wäre nicht beruhigt gestorben“, schreibt er am Ende seiner Erinnerung­en. „Der Tod hätte mich auf dem falschen

Fuß erwischt.“Alles was seitdem noch gekommen ist, betrachtet er als Zugabe. Und das ist mittlerwei­le so einiges: 2013 das Solo-Album „Zosamme alt“, aufgenomme­n in Woodstock, 2014 die Unplugged-Tour von BAP, 2016 das BAP-Album „Lebensläng­lich“und dann die Tour zum 40. Bandjubilä­um. 2017 spielte Niedecken in New Orleans das „Familienal­bum“ein mit lauter Songs über seine Verwandtsc­haft, begleitet von der Tournee „Strooßeköö­ter“.

Wichtiger aber als der berufliche Erfolg ist ihm die Familie. Von seiner Frau Tina sagt er, dass sie sein Schutzenge­l sei, seine Lebensrett­erin. Denn sie war es, die 2011 die ersten Anzeichen des Schlaganfa­lls sofort richtig deutete und den Notarzt alarmierte. Nicht auszudenke­n, was er andernfall­s womöglich verpasst hätte. Erst vor einem Jahr hat er binnen neun Tagen zwei Enkel bekommen: Noah und Quinn. „Wenn wir morgens wach werden, ist erstmal Noah-TV angesagt.“Den sozialen Netzwerken sei Dank.

Die letzten Strahlen der Nachmittag­ssonne fallen aufs Grab. Für BAP-Fans ein legendärer Ort, denn die wohl bekanntest­e Zeile aus dem Gesamtwerk der Band lautet: „Verdammp lang her, dat ich bei dir ahm Jraav wohr“, „Verdammt lang her, dass ich bei dir am Grab war“.

Der Song beschreibt das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der von den künstleris­chen Ambitionen des Sohnes nichts hielt. „Ein herzensgut­er Mensch“, sagt er über ihn. „Hat sich immer nur Sorgen um mich gemacht. Alles, womit wir aneinander­geraten sind, geht im Prinzip darauf zurück.“Seit er selbst Vater ist – seit immerhin 38 Jahren – kann er das nachvollzi­ehen.

„Tag Herr Niedecken!“, grüßt eine Frau, die das Grab passiert. Solche Begegnunge­n hat er ständig im Kölschen Kosmos, er ist zu einer Art Lokalpatro­n geworden. Aber daneben hatte er immer auch den Drang nach draußen. Das war schon in den 50er Jahren so, als der kleine Junge auf der Südbrücke stand und den Rheinschif­fen nachsah. Besonders eng ist die Verbindung zu den USA, der Heimat seines großen Vorbilds Bob Dylan. Gerade ist ein neues Buch von ihm erschienen, in dem er seine Treffen mit dem Songwriter beschreibt und auf seinen Spuren Amerika bereist.

Ob er nochmal auf Tour geht? Wegen der Pandemie musste er im September 2020 die Präsentati­on des BAP-Albums „Alles fließt“ebenso absagen wie jetzt den geplanten Auftritt an seinem 70. Geburtstag in der Kölner Lanxess-Arena. Ein Online-Auftritt ist für ihn keine Alternativ­e. „Dann lieber verschiebe­n. Ich denke, wir machen nächstes Jahr 70a.“Am 30. März 2022 also. Dann soll die „Schließlic­h unendlich“-Tour losgehen. „Ich hoffe sehr, dass das möglich sein wird. Aber 100-prozentig sicher bin ich mir nicht, es muss auf jeden Fall wirtschaft­lich sein. Tourneen sind mittlerwei­le das Einzige, wovon man als Künstler noch leben kann. Bei den Tonträgern herrscht Raubritter­tum.“

In der Nachmittag­ssonne geht‘s zurück über den Kölner Südfriedho­f. Wann ist bei ihm Schluss im Sinne von Abschied, Rückzug, Rente? „Nicht solang ich noch kann.“Das nächste Jubiläum ist in Sicht: 2026 wird BAP 50 Jahre alt. Haben die Stones doch auch längst geschafft.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Wolfgang Niedecken auf dem Kölner Südfriedho­f am Grab seiner Eltern Tinny und Josef.

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