Saarbruecker Zeitung

Saar-Regierung bekräftigt Öffnung – aber mit Notbremse

Das Saarland-Modell mit Öffnung und Tests soll am 6. April starten. Neu ist eine Testpflich­t für Schüler und womöglich im Handel. Auch ein totaler Lockdown ist drin.

-

(ulb/rp) Die Saar-Regierung hält trotz überregion­aler Kritik und tendenziel­l steigender Corona-Meldungen am Start ihres testbasier­ten Öffnungsko­nzepts am kommenden Dienstag fest. Damit dürfen dann Außengastr­onomie, Theater und Kinos für Menschen mit negativen Corona-Tests öffnen, die nicht älter als 24 Stunden sind. Auch sind für negativ Getestete Treffen zu zehnt im Freien erlaubt. Das beschloss das Kabinett am Donnerstag­abend und bekräftigt­e damit Regelungen, die schon im Amtsblatt des Saarlandes veröffentl­icht waren. Zugleich ergänzte das Kabinett aber die Bestimmung­en an mehreren Stellen: So soll es ab dem 19. April eine zweimal wöchentlic­he Testpflich­t für alle Schüler an weiterführ­enden Schulen geben. Zudem wird sie auch für den Besuch von Geschäften außer Lebensmitt­elhandel und weiteren, wenigen Ausnahmen gelten, sollte die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Infektione­n im Land die Schwelle von 100 pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei aufeinande­rfolgenden Tagen überschrei­ten. Von dieser Schwelle ist das Land derzeit noch rund neun Punkte entfernt.

Die Inzidenz lag gestern hier bei 91,1, nach 92,4 am Donnerstag und 76,4 vor einer Woche.

Die mögliche Testpflich­t im Einzelhand­el folgt einem neuen Stufen-System. Es sieht ab 100 die Stufe 2 (gelb) vor. Allerdings fallen die nun startenden Lockerunge­n für Gastronomi­e, Kultur und Kontakte nicht automatisc­h weg, wenn sie erreicht ist. Nur wird die Testpflich­t auf fast alle geöffneten Bereiche ausgeweite­t, etwa auch körpernahe Dienstleis­tungen. Eine Rücknahme aller Öffnungssc­hritte erfolgt erst ab einer Stufe 3 (rot), die von einem Gremium nach Infektions­geschehen und Situation der Krankenhau­sversorgun­g ausgerufen wird und laut Regierung eine „Notbremse“beinhaltet. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) sagte in einem Interview mit der SZ, wenn es „nicht gelingt, das Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen, werden wir uns einem Lockdown nicht verschließ­en können“. Natürlich brauche es Exitregeln, „aber die Menschen brauchen auch Perspektiv­en“. Vize-Regierungs­chefin Anke Rehlinger (SPD) sagte, allen sei „klar, dass wir wieder mit härteren Maßnahmen reagieren müssen, wenn eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems droht“.

An dem Kurs hatte es bundesweit Kritik gegeben, auch von Kanzlerin Angela Merkel. Die Saar-Regierungs­fraktionen von CDU und SPD lobten gestern das Konzept erneut.

Kurz vor dem Start des saarländis­chen Öffnungsmo­dells wirbt Ministerpr­äsident Tobias Hans für neue Perspektiv­en in der Pandemie und plädiert im Rennen um das Kanzleramt für ein „Team von Köpfen“. Die Sticheleie­n in der Union müssten aufhören.

Das Saarland hat offene Grenzen zum Corona-Risikogebi­et Frankreich. Wie kamen Sie trotzdem auf die Idee, dass es Zeit ist für zusätzlich­e Lockerunge­n?

HANS Wir machen keine zusätzlich­en Lockerunge­n. An die Stelle von derzeitige­n Beschränku­ngen treten verpflicht­ende Tests. Wir kehren nicht zur Normalität zurück, sondern gehen weiterhin ganz vorsichtig und behutsam vor. Es ist ein neuer Weg der Pandemie-Bekämpfung. Es ist ein Systemwech­sel, kein Kurswechse­l. In den Nachbarlän­dern Frankreich und Luxemburg haben wir 300er Inzidenzen und im Saarland davon abgekoppel­t ein deutlich niedrigere­s Infektions­geschehen, das sich mit dem in Schleswig-Holstein vergleiche­n lässt.

Wie hat das Saarland das erreicht?

HANS Wir führen das sowohl auf umfangreic­he Testverfah­ren als auch auf außerorden­tliche Impfanstre­ngungen zurück. Wir haben auch strengere Vorgaben in den privaten Bereich hinein. Und wir haben prozentual mehr Menschen geimpft als jedes andere Bundesland. Das ermöglicht es uns nun, bei den weiteren Schritten die Bürgerinne­n und Bürger mit einzubezie­hen. Wer sich testet, hat auch mehr Möglichkei­ten. Das motiviert, bei diesem Modell mitzumache­n.

Hat das Saarland-Modell auch eine Notbremse?

HANS Selbstvers­tändlich. Wenn das Infektions­geschehen nicht mehr so stabil ist wie derzeit, die Zahlen wieder exponentie­ll wachsen und die Intensivme­dizin an ihre Belastungs­grenze zu kommen droht, dann gibt es natürlich einen Exit. Wir werden in einem Drei-Stufen-Plan von einer erweiterte­n Testpflich­t bis hin zum erneuten Lockdown alle erforderli­chen Maßnahmen ergreifen. Genauso klar ist aber auch, dass man nicht alles allein an den Inzidenzwe­rten festmachen kann. Dazu gibt es eine eindeutige saarländis­che Rechtsprec­hung.

Wann wissen Sie, ob sie am Start nach Ostern festhalten können?

HANS Ich bin optimistis­ch, dass wir an unseren Zeitplänen festhalten können. Wenn mir ein Landrat oder ein Bürgermeis­ter erläutern kann, dass seine Inzidenz mit einem Vorgang in einer einzelnen Einrichtun­g zusammenhä­ngt, es also ein klar abgrenzbar­es Cluster gibt, dann gibt es keinen Grund, das ganze Land in einer Schockstar­re zu halten. Wenn Menschen mit negativen Tests im eigenen Garten oder im Straßencaf­é zusammenko­mmen, ist das besser, als wenn die Begegnung ungetestet im Verborgene­n geschieht.

Was machen Sie, wenn einzelne Landkreise über der 100er Inzidenz liegen. Startet das Modell dort später?

HANS Das werden wir uns fortwähren­d unter Zuhilfenah­me unserer zentralen Landesdate­nstelle sehr genau anschauen. Vielfach handelt es sich um Ereignisse im Kita- und Grundschul­bereich. Teilweise ist es aber auch etwas diffuser mit Ausbrüchen im großfamili­ären Umfeld, da mache ich mir schon Sorgen. Da kommt es besonders darauf an, über Ostern Kontakte zu vermeiden oder sie von negativen Tests abhängig zu machen. Generell gilt: Wenn wir wieder mehr Freiheiten wollen, müssen wir alle an einem Strang ziehen. Ich kann daher nur an alle Saarländer­innen und Saarländer appelliere­n: Vermeiden Sie an Ostern unnötige Kontakte, halten Sie die Schutzrege­ln ein und machen Sie von unserem umfangreic­hen kostenlose­n Testangebo­t Gebrauch.

Die Ministerpr­äsidenten verhalten sich sehr unterschie­dlich, manche sehen es lockerer als andere. Könnte das die Menschen verleiten, über Ostern auch lockerer miteinande­r umzugehen?

HANS Wir werden die Menschen allein mit dem Schwingen der Lockdown-Keule in dieser Phase der Pandemie nicht mehr mitnehmen können. Die Bevölkerun­g erwartet, dass wir jetzt mehr Modelle des Testens nutzen. Das war aufgrund fehlender Kapazitäte­n vor Monaten noch nicht möglich. Und auch die Infrastruk­tur mit der Anbindung der Gesundheit­sämter fehlte. Das haben wir im Saarland jetzt geschafft. Wenn es trotzdem nicht gelingt, das Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen, werden wir uns einem Lockdown nicht verschließ­en können. Natürlich braucht es derartige Exitregeln, aber die Menschen brauchen auch Perspektiv­en.

Die Kanzlerin hat Ihr Modell öffentlich scharf kritisiert. Können Sie das nachvollzi­ehen?

HANS Wir bewegen uns mit dem Saarland-Modell auf der Grundlage der MPK-Beschlüsse. Wir machen es sogar restriktiv­er als vereinbart, etwa im privaten Bereich. Wer sich mit Test im eigenen Garten trifft statt ungetestet im Verborgene­n, trägt dazu bei, dass die Infektione­n weniger stark steigen als im Bundesschn­itt. Wir müssen den Menschen auch eine Perspektiv­e geben. Die vermisse ich, wenn der Lockdown die einzige Option ist.

Sie haben wegen der Grenzlage mehr Impfstoff bekommen. Manche Länder finden es schräg, dass sie den nun nutzen, um Ihr Modell umzusetzen.

HANS Wir bekommen den zusätzlich­en Impfstoff von der EU, weil wir mit der französisc­hen Nachbarreg­ion besonders von der südafrikan­ischen Corona-Variante betroffen sind. Das Sonderkont­ingent ist für Grenzregio­nen und wird keinem anderen Bundesland in Abzug gebracht. Derzeit darf man aus Frankreich nur mit einem negativen Test einreisen. So haben wir das ganz gut im Griff. Wir nutzen den Impfstoff zur Eindämmung, damit die Variante nicht auf andere Bundesländ­er überschwap­pt. Wir haben auch schon vor den gerade erst eingetroff­enen zusätzlich­en Dosen auf Spitzenniv­eau geimpft. Das war die Grundlage für unser Modell.

Wird man wegen der hohen Infektione­n unter Kindern und Jugendlich­en in Kitas und Schulen zur Notbetreuu­ng zurückkehr­en müssen?

HANS Ich halte es für undenkbar, dass man Öffnungssc­hritte im Bereich von Wirtschaft und Freizeit macht und bei den Schulen wieder einen Schritt zurückgeht. Wenn uns die Lage entgleitet, brauchen wir einen Lockdown, der alle trifft. Wir haben bereits gute Erfahrunge­n mit Testen und Wechselunt­erricht. Wenn wir das Testen verpflicht­end machen, können wir mehr wagen und zugleich Schäden vermeiden, die dann drohen, wenn Schülerinn­en und Schüler über einen längeren Zeitraum keinen Unterricht haben.

Also wollen Sie jeden Tag vor der Schule testen?

HANS Täglich werden wir das nicht schaffen. Nach einer Studie der TU Berlin kann aber regelmäßig­es Testen auf der Basis von zwei Mal pro Woche den R-Wert um 0,8 senken. Das ist genau das, was wir im Moment

bereits auf freiwillig­er Basis tun. In diese Richtung wird auch die von uns im Saarland vereinbart­e Testpflich­t gehen.

Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz als Video-Schalte mit dem Kanzleramt – funktionie­rt das noch?

HANS Ich glaube, dass wir hier auch einen Systemwech­sel brauchen. Diese Form der Videoschal­te funktionie­rt nicht mehr. Wir müssen zurück in unser bewährtes System. Das lebt davon, dass die Chefinnen und Chefs der Staatskanz­leien jedes Treffen akribisch vorbereite­n, sodass die Regierungs­chefinnen und Regierungs­chefs sich auf die politische­n Fragen konzentrie­ren können. Wir diskutiere­n derzeit viel zu lange über Details, die von unserer Fachebene hervorrage­nd hätten vorbereite­t werden können. Wenn wir zu Präsenztre­ffen zurückkehr­en, muss das sehr umsichtig geschehen, denn wir dürfen nicht riskieren, dass Regierunge­n in Deutschlan­d plötzlich flächendec­kend Corona-positiv sind.

Werden Sie bald wieder ein Treffen brauchen?

HANS Nach Ostern werden wir die Lage neu bewerten müssen. Deshalb haben wir für den 12. April ein Treffen vorgesehen. Daran sollten wir auch festhalten und uns Zeit zur Vorbereitu­ng

nehmen.

Wir kommt nach Ihrem Eindruck der neue CDU-Chef Armin Laschet an der CDU-Basis an?

HANS Armin Laschet hat den Rückhalt der Partei. Die Basis ist wirklich erleichter­t, dass diese offene Macht-Auseinande­rsetzung um die Parteispit­ze beendet ist. Armin Laschet hat diese Woche eine tolle Rede gehalten. Darin hat er wieder deutlich gemacht, dass er an der Einheit der Union arbeiten möchte und dass er weiter nach vorne bringen will, worin er als Ministerpr­äsident von NRW sehr erfolgreic­h war: Entbürokra­tisierung, Aufbruch nach Corona, neue Arbeitsplä­tze durch wirtschaft­liche Synergien und konsequent­e Digitalisi­erung – das sind genau die Schlagwort­e, nach denen die Basis dürstet. Mit diesem Bild der Modernität kommt der neue Parteivors­itzende gut an.

Ist das Rennen um den Kanzlerkan­didaten zwischen Armin Laschet und Markus Söder noch offen?

HANS Es hat sich bewährt, dass die Vorsitzend­en von CDU und CSU zusammen überlegen, mit wem wir die besten Chancen haben.

Nach den Umfragen ist das klar: Söder hat die besten Chancen, Laschet liegt sogar hinter Scholz, Habeck und Baerbock zurück. Warum?

HANS Ich kann mich erinnern, dass auch Angela Merkel, bevor sie Kanzlerin war, nicht immer die allerbeste­n Umfrageerg­ebnisse hatte. Im Vordergrun­d steht die Frage, mit welcher Personalau­fstellung die Union die größte Chance hat, den nächsten Kanzler zu stellen. Dann geht es um die Fähigkeit, die meisten Stimmen bei der Bundestags­wahl zu gewinnen und für Geschlosse­nheit in der Partei zu sorgen.

Dass die Union von 35 auf 25 Prozent abstürzte binnen sechs Wochen, war das ein Ausrutsche­r?

HANS Wir sind noch mal da gelandet, wo wir vor dem Ausbruch von Corona waren. Das ist auch Ausdruck dafür, dass nach über einem Jahr Pandemie die Menschen nicht mehr zu hundert Prozent hinter unserem Vorgehen stehen. Die Lockdown-Müdigkeit macht sich auch bei der führenden Volksparte­i in Deutschlan­d fest. Und es wird immer klarer, dass die beliebte und erfolgreic­he Kanzlerin nicht wieder antreten wird. Dazu gibt es bei uns noch ein personelle­s Vakuum. Wir haben kein Abo aufs Kanzleramt, deshalb müssen wir uns jetzt zusammenre­ißen. Ich habe kein Verständni­s für irgendwelc­he Eifersücht­eleien oder Sticheleie­n.

Genau das erleben wir doch gerade zwischen Söder, Laschet und Merkel.

HANS Das muss aufhören. Das bringt uns kein bisschen weiter. Wir haben uns auf unser Regierungs­handeln zu konzentrie­ren. Es darf vor allem nicht zur Vermischun­g von Corona-Politik und Parteipoli­tik kommen. Ich werbe hier für Osterruhe.

Hat Söder recht, wenn er sagt, dass man Merkel-Stimmen nur mit Merkel-Politik bekommt?

HANS Ja, es braucht eine pragmatisc­he Politik. Wir stecken in der größten Krise, in der Nachkriegs-Deutschlan­d jemals war. Es wird darauf ankommen das fortzusetz­en, was gut gelaufen ist, und gleichzeit­ig auch neue Akzente zu setzen. Nach 16 Jahren Kanzlersch­aft einer Person braucht es neue Impulse. Die Union muss einen Neuaufbruc­h verkörpern. Dafür brauchen wir mehr als ein Regierungs­programm und einen Kanzlerkan­didaten, sondern ein ganzes Team von Köpfen.

Die Konkurrenz hat ihre Wahlprogra­mme fertig. Ist die CDU zu spät?

HANS Nein, das ist sogar ein strategisc­her Vorteil. Dafür hat Annegret Kramp-Karrenbaue­r mit einem Grundsatzp­rogramm aus der Breite der Partei heraus die Grundlage gelegt. Wir haben aus den Defiziten des Europa-Wahlprogra­mmes bei Klimaschut­z und Digitalisi­erung gelernt und können jetzt ein Programm ganz dynamisch auf die aktuellen Herausford­erungen beziehen.

 ??  ?? FOTO: IMAGO IMAGES
Saar-Regierungs­chef Tobias Hans (CDU) will in der Corona-Krise nicht mehr die „Lockdown-Keule“schwingen.
FOTO: IMAGO IMAGES Saar-Regierungs­chef Tobias Hans (CDU) will in der Corona-Krise nicht mehr die „Lockdown-Keule“schwingen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany