Wie sich Corona auf die Saar-Justiz auswirkt
Auch die Justiz im Saarland bekommt die CoronaPandemie zu spüren. Bedroht das Virus den Rechtsstaat?
Auch die Gerichte im Saarland bekommen die Corona-Pandemie zu spüren: Wenn Verhandlungstage durch Lüftungspausen länger werden oder Angeklagte unter Quarantäne stehen. Ist der Rechtsstaat durch das Virus in Gefahr?
Im Saarbrücker Landgericht dürften sie den Frühling herbeigesehnt haben. Jetzt muss im Namen des Volkes niemand mehr frieren. Im eisigen Winter war das anders. Um die Prozessbeteiligten vor dem Coronavirus zu schützen, standen in manchen Gerichtssälen die Fenster auch bei Minusgraden offen. Roben fielen über Winterjacken, in den Zuschauerreihen zog man sich die Kapuzen tief ins Gesicht.
Die Pandemie hat im Saarland nicht nur die Temperatur in den Gerichten verändert. Verhandlungstage ziehen sich in die Länge, weil Richter immer wieder Lüftungspausen einlegen müssen. Angeklagte stehen unter Quarantäne, Risikogruppen ist eine Aussage nicht zuzumuten, Sachverständige benötigen mehr Zeit für Gutachten. Man habe mit einer erheblichen Menge an Terminausfällen zu kämpfen, sagt Christian Dornis, der Vorsitzende des Saarländischen Richterbundes. „Manches dauert dadurch deutlich länger.“
Aber gefährdet das Virus auch den Rechtsstaat, wie ein Berliner Oberstaatsanwalt kürzlich im „Spiegel“behauptete? „Im Saarland kann man das sicherlich nicht sagen“, befindet Dornis. „Das wäre für die hiesige Situation übertrieben“, sagt auch Christoph Clanget, Strafverteidiger und Pressesprecher des Saarländischen Anwaltsvereins. Das saarländische Justizministerium erklärt auf Anfrage, „dass zeitnah nach Ausbruch der Pandemie zum Regelbetrieb zurückgekehrt und dieser bis heute aufrechterhalten werden konnte“. Freilich nach „weitreichenden Schutzvorkehrungen“, etwa Plexiglasscheiben in den Sitzungssälen. Demnächst sollen in der Justiz flächendeckend Selbsttests zur Verfügung stehen.
Durch die Corona-Regeln erleben einige Gerichte eine Verfahrensflut. Bis zum 19. März verzeichnete das Verwaltungsgericht in Saarlouis 104 Verfahren zu den Maßnahmen und Vorgaben der saarländischen Landesregierung. Um diese ging es auch in 75 Eilverfahren am Oberverwaltungsgericht (OVG), das in 46 Fällen auch Regelungen der Corona-Verordnungen überprüfte. Beim Verfassungsgerichtshof gingen im selben Zeitraum 20 Beschwerden ein. Im vergangenen Herbst kippten die Verfassungsrichter die damalige Praxis der Kontaktnachverfolgung im Saarland.
Kritisch scheint die Lage an den Familiengerichten zu sein. Christian Dornis vom Richterbund spricht von einem „erheblichen Anstieg“der Verfahren, etwa in Unterhaltsfragen, weil Elternteile mit Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Länger als üblich dauere es, wenn Familienrichter über „ganz praktische Themen“wie das Umgangsrecht entscheiden müssten, sagt Anwalt Clanget. Am Amtsgericht Saarbrücken kam es von Januar bis März zu 558 Verhandlungen in der Familienabteilung
– 77 mehr als im Vorjahreszeitraum. Dagegen verzeichnete das Amtsgericht in St. Wendel bei Scheidungen oder Sorgerechtsstreitigkeiten einen leichten Rückgang. Am Sozialgericht hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer von 13 auf knapp 18 Monate verlängert. Als Grund nennt das Ministerium unter anderem Terminausfälle während des ersten Lockdowns.
Wie gestaltet sich ansonsten der „Regelbetrieb“im Ausnahmezustand? Um das zu beleuchten, bat unsere Zeitung das Justizministerium um einen umfangreichen Vergleich. Gab es von Januar bis März 2021 weniger Gerichtstermine als im Vorjahreszeitraum? Zur Erinnerung: Den ersten Corona-Fall im Saarland hatte es am Anfang März 2020 gegeben. Nach Einschätzung des Landgerichts Saarbrücken hat die Pandemie auf die Zahl der dort erledigten Zivilund Strafverfahren „keine nennenswerten Auswirkungen“. Geht es ums Strafrecht, beobachtet Anwalt Clanget jedoch Verlagerungen bei den Delikten. So hatte zuletzt auch die Kriminalstatistik gezeigt, dass Rohheitsdelikte wie Körperverletzung in Zeiten der Kontaktbeschränkung zurückgegangen sind.
Dass sich am Landgericht die Verfahren nicht stauen, dürfte auch einem Modernisierungsschub zu verdanken sein: In Zivilsachen kann jeder Richter auch Videotechnik einsetzen. Deren Nutzung sei „stark angestiegen und steigt weiterhin“, so das Ministerium. Werden Häftlinge von der Strafvollstreckungskammer angehört, schaltet man sie über Video
aus dem Gefängnis zu. Richter und Justizangestellte können zu Hause arbeiten, was bei den Anwälten auf gemischte Gefühle stößt: Die Gerichte werden noch immer von Papiermassen beherrscht, elektronische Akten erproben am Landgericht bisher nur zwei Kammern. Das erschwert den Richtern das Homeoffice. Und die Geschäftsstellen, laut Clanget „chronisch unterbesetzt“, sind seltener zu erreichen, so dass die Juristen länger auf Erstattungen oder Vollstreckungstitel warten müssen.
Kaum eine Klage hört man im Saarland über den laufenden Betrieb im Gerichtssaal. Nicht anders als Lehrkräfte an Schulen verbringen Richter und Anwälte mit etlichen Menschen lange Stunden auf engem Raum. „Unsere Gerichtssäle
sind nicht auf die Bedingungen der Pandemie zugeschnitten“, sagt Christian Dornis vom Richterbund, ohne Alarm zu schlagen. Auch wenn er von Terminen am Familiengericht berichtet, bei denen schnell ein Dutzend Menschen in einen Saal drängt, „der die Dimension eines größeren Wohnzimmers hat“, wie er sagt. Allerdings: „Auch für uns Richter ist das ein sehr unangenehmes Gefühl.“Dass Kollegen gar nicht mehr verhandeln, das habe es vorübergehend gegeben, erklärt Dornis. „Wir müssen unsere Dinge ja aber erledigen.“Das Risiko lässt sich schwer bestimmen. „Mir ist kein Fall bekannt, dass sich jemand im Gerichtssaal angesteckt hätte“, sagt Christoph Clanget vom Anwaltsverein im Saarland.
Was ein Vorziehen beim Impfen angeht, zeigen sich die Richter zurückhaltend. In der Reihenfolge des Bundes kommt die Justiz an dritter Stelle, Dornis wünscht sich, dass man in „Gruppe 3a oder 3b mit der Impfung dran“wäre. Betreuungsrichter, untwegs in Krankenhäusern, werden laut Dornis mittlerweile wie Pflegekräfte immunisiert. Familienrichter noch nicht. Beim Richterbund denkt man auch an die Justizwachtmeister. Anwalt Clanget hält sich mit Forderungen nach einer Impfung ebenfalls zurück. Er berichtet von einer Diskussion auf Bundesebene über eine Priorisierung: „Da haben wir aus der eigenen Anwaltschaft einen Shitstorm geerntet.“Immerhin: Erkälten wird man sich vor Gericht nun nicht mehr.
„Mir ist kein Fall bekannt, dass sich jemand im Gerichtssaal
angesteckt hätte.“
Christoph Clanget
Anwaltsverein im Saarland