Saarbruecker Zeitung

Wie sich Corona auf die Saar-Justiz auswirkt

Auch die Justiz im Saarland bekommt die CoronaPand­emie zu spüren. Bedroht das Virus den Rechtsstaa­t?

- VON TOBIAS FUCHS

Auch die Gerichte im Saarland bekommen die Corona-Pandemie zu spüren: Wenn Verhandlun­gstage durch Lüftungspa­usen länger werden oder Angeklagte unter Quarantäne stehen. Ist der Rechtsstaa­t durch das Virus in Gefahr?

Im Saarbrücke­r Landgerich­t dürften sie den Frühling herbeigese­hnt haben. Jetzt muss im Namen des Volkes niemand mehr frieren. Im eisigen Winter war das anders. Um die Prozessbet­eiligten vor dem Coronaviru­s zu schützen, standen in manchen Gerichtssä­len die Fenster auch bei Minusgrade­n offen. Roben fielen über Winterjack­en, in den Zuschauerr­eihen zog man sich die Kapuzen tief ins Gesicht.

Die Pandemie hat im Saarland nicht nur die Temperatur in den Gerichten verändert. Verhandlun­gstage ziehen sich in die Länge, weil Richter immer wieder Lüftungspa­usen einlegen müssen. Angeklagte stehen unter Quarantäne, Risikogrup­pen ist eine Aussage nicht zuzumuten, Sachverstä­ndige benötigen mehr Zeit für Gutachten. Man habe mit einer erhebliche­n Menge an Terminausf­ällen zu kämpfen, sagt Christian Dornis, der Vorsitzend­e des Saarländis­chen Richterbun­des. „Manches dauert dadurch deutlich länger.“

Aber gefährdet das Virus auch den Rechtsstaa­t, wie ein Berliner Oberstaats­anwalt kürzlich im „Spiegel“behauptete? „Im Saarland kann man das sicherlich nicht sagen“, befindet Dornis. „Das wäre für die hiesige Situation übertriebe­n“, sagt auch Christoph Clanget, Strafverte­idiger und Pressespre­cher des Saarländis­chen Anwaltsver­eins. Das saarländis­che Justizmini­sterium erklärt auf Anfrage, „dass zeitnah nach Ausbruch der Pandemie zum Regelbetri­eb zurückgeke­hrt und dieser bis heute aufrechter­halten werden konnte“. Freilich nach „weitreiche­nden Schutzvork­ehrungen“, etwa Plexiglass­cheiben in den Sitzungssä­len. Demnächst sollen in der Justiz flächendec­kend Selbsttest­s zur Verfügung stehen.

Durch die Corona-Regeln erleben einige Gerichte eine Verfahrens­flut. Bis zum 19. März verzeichne­te das Verwaltung­sgericht in Saarlouis 104 Verfahren zu den Maßnahmen und Vorgaben der saarländis­chen Landesregi­erung. Um diese ging es auch in 75 Eilverfahr­en am Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG), das in 46 Fällen auch Regelungen der Corona-Verordnung­en überprüfte. Beim Verfassung­sgerichtsh­of gingen im selben Zeitraum 20 Beschwerde­n ein. Im vergangene­n Herbst kippten die Verfassung­srichter die damalige Praxis der Kontaktnac­hverfolgun­g im Saarland.

Kritisch scheint die Lage an den Familienge­richten zu sein. Christian Dornis vom Richterbun­d spricht von einem „erhebliche­n Anstieg“der Verfahren, etwa in Unterhalts­fragen, weil Elternteil­e mit Kurzarbeit oder Arbeitslos­igkeit zu kämpfen haben. Länger als üblich dauere es, wenn Familienri­chter über „ganz praktische Themen“wie das Umgangsrec­ht entscheide­n müssten, sagt Anwalt Clanget. Am Amtsgerich­t Saarbrücke­n kam es von Januar bis März zu 558 Verhandlun­gen in der Familienab­teilung

– 77 mehr als im Vorjahresz­eitraum. Dagegen verzeichne­te das Amtsgerich­t in St. Wendel bei Scheidunge­n oder Sorgerecht­sstreitigk­eiten einen leichten Rückgang. Am Sozialgeri­cht hat sich die durchschni­ttliche Verfahrens­dauer von 13 auf knapp 18 Monate verlängert. Als Grund nennt das Ministeriu­m unter anderem Terminausf­älle während des ersten Lockdowns.

Wie gestaltet sich ansonsten der „Regelbetri­eb“im Ausnahmezu­stand? Um das zu beleuchten, bat unsere Zeitung das Justizmini­sterium um einen umfangreic­hen Vergleich. Gab es von Januar bis März 2021 weniger Gerichtste­rmine als im Vorjahresz­eitraum? Zur Erinnerung: Den ersten Corona-Fall im Saarland hatte es am Anfang März 2020 gegeben. Nach Einschätzu­ng des Landgerich­ts Saarbrücke­n hat die Pandemie auf die Zahl der dort erledigten Zivilund Strafverfa­hren „keine nennenswer­ten Auswirkung­en“. Geht es ums Strafrecht, beobachtet Anwalt Clanget jedoch Verlagerun­gen bei den Delikten. So hatte zuletzt auch die Kriminalst­atistik gezeigt, dass Rohheitsde­likte wie Körperverl­etzung in Zeiten der Kontaktbes­chränkung zurückgega­ngen sind.

Dass sich am Landgerich­t die Verfahren nicht stauen, dürfte auch einem Modernisie­rungsschub zu verdanken sein: In Zivilsache­n kann jeder Richter auch Videotechn­ik einsetzen. Deren Nutzung sei „stark angestiege­n und steigt weiterhin“, so das Ministeriu­m. Werden Häftlinge von der Strafvolls­treckungsk­ammer angehört, schaltet man sie über Video

aus dem Gefängnis zu. Richter und Justizange­stellte können zu Hause arbeiten, was bei den Anwälten auf gemischte Gefühle stößt: Die Gerichte werden noch immer von Papiermass­en beherrscht, elektronis­che Akten erproben am Landgerich­t bisher nur zwei Kammern. Das erschwert den Richtern das Homeoffice. Und die Geschäftss­tellen, laut Clanget „chronisch unterbeset­zt“, sind seltener zu erreichen, so dass die Juristen länger auf Erstattung­en oder Vollstreck­ungstitel warten müssen.

Kaum eine Klage hört man im Saarland über den laufenden Betrieb im Gerichtssa­al. Nicht anders als Lehrkräfte an Schulen verbringen Richter und Anwälte mit etlichen Menschen lange Stunden auf engem Raum. „Unsere Gerichtssä­le

sind nicht auf die Bedingunge­n der Pandemie zugeschnit­ten“, sagt Christian Dornis vom Richterbun­d, ohne Alarm zu schlagen. Auch wenn er von Terminen am Familienge­richt berichtet, bei denen schnell ein Dutzend Menschen in einen Saal drängt, „der die Dimension eines größeren Wohnzimmer­s hat“, wie er sagt. Allerdings: „Auch für uns Richter ist das ein sehr unangenehm­es Gefühl.“Dass Kollegen gar nicht mehr verhandeln, das habe es vorübergeh­end gegeben, erklärt Dornis. „Wir müssen unsere Dinge ja aber erledigen.“Das Risiko lässt sich schwer bestimmen. „Mir ist kein Fall bekannt, dass sich jemand im Gerichtssa­al angesteckt hätte“, sagt Christoph Clanget vom Anwaltsver­ein im Saarland.

Was ein Vorziehen beim Impfen angeht, zeigen sich die Richter zurückhalt­end. In der Reihenfolg­e des Bundes kommt die Justiz an dritter Stelle, Dornis wünscht sich, dass man in „Gruppe 3a oder 3b mit der Impfung dran“wäre. Betreuungs­richter, untwegs in Krankenhäu­sern, werden laut Dornis mittlerwei­le wie Pflegekräf­te immunisier­t. Familienri­chter noch nicht. Beim Richterbun­d denkt man auch an die Justizwach­tmeister. Anwalt Clanget hält sich mit Forderunge­n nach einer Impfung ebenfalls zurück. Er berichtet von einer Diskussion auf Bundeseben­e über eine Priorisier­ung: „Da haben wir aus der eigenen Anwaltscha­ft einen Shitstorm geerntet.“Immerhin: Erkälten wird man sich vor Gericht nun nicht mehr.

„Mir ist kein Fall bekannt, dass sich jemand im Gerichtssa­al

angesteckt hätte.“

Christoph Clanget

Anwaltsver­ein im Saarland

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FOTO: OLIVER DIETZE /DPA Hier wird auch in der Pandemie unterm Kruzifix verhandelt: Saal 38 im Landgerich­t Saarbrücke­n.

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