Warum Kretschmann doch wieder auf die CDU setzt
Nach dem grandiosen Wahlsieg dringt der Ministerpräsident auf ein Bündnis mit der CDU. Für junge Grüne ist das eine Provokation.
(dpa) Es fallen tonnenweise Steine von Herzen. Bei der CDU. In Stuttgart und Berlin. Dank Winfried Kretschmann sitzen die Christdemokraten trotz ihrer historischen Wahlpleite wohl weiter mit den Grünen in Baden-Württemberg in der Regierung. Als der CDU-Vorstand und die Kreischefs am Abend dieses denkwürdigen Gründonnerstags virtuell zusammensitzen, gibt es einen Gratulationsreigen für Thomas Strobl. Der 61-jährige CDU-Landeschef berichtet stolz, Kanzlerin Angela Merkel habe ihm drei Worte zukommen lassen: „Macht was draus!“Doch was, muss sich erst noch zeigen. Denn nach heftigem Widerstand seiner Parteibasis ist Kretschmann, einziger grüner Ministerpräsident, mächtig unter Druck, die CDU zu weitgehenden Zugeständnissen zu bewegen.
Knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl tut der 72-jährige Kretschmann der in Umfragen trudelnden Union einen Gefallen, weil er mitten in der Corona-Krise nicht den Koalitionspartner wechseln will. Die CDU ist ihm im Wahlkampf zwar auf den Geist gegangen. Doch das ist fast schon vergessen. Der populäre Landesvater will mit fast 73 Jahren im Autoland, das im Umbruch steckt, nochmal durchstarten. Und für ihn bildet Grün-Schwarz das bürgerliche Baden-Württemberg besser ab als eine Ampel mit SPD und FDP. Strobl erzählt in der Schalte am Donnerstagabend laut Teilnehmern noch, dass Kretschmann ihm am Telefon gesagt habe: „Ohne Dich hätte ich es nicht gemacht.“
In der Tat muss der grüne Altmeister, vor zweieinhalb Wochen noch umjubelter Wahlsieger, am Donnerstag bange Stunden überstehen. Er unterschätzt den Widerstand in seiner Partei gegen ein „Weiter so“mit der Union. Da kann er noch so sehr dafür werben, die CDU habe große Versprechen in der Sondierung gemacht. Vor allem die Jüngeren im Landesvorstand lassen ihn am Morgen auflaufen. Noch bis zum Abend stand die Frage im Raum: Was passiert, wenn der Landesvorstand weiter Grün-Schwarz blockiert und die Ampel will? Nimmt Kretschmann dann seinen Hut?
Das grüne Denkmal wackelt, aber es fällt nicht. Kretschmann erhält nach hektischen Krisenschalten am Ende eine Zweidrittelmehrheit im Vorstand. Ein Rückzug des grünen Übervaters wäre für das Land schwer erklärbar gewesen – und für die Bundes-Grünen ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ein denkbar schlechtes Signal. Schon so müssen die Ökos jetzt Schadensbegrenzung betreiben. Denn für Grün-Schwarz war das ein Fehlstart. Die Grüne Jugend spricht von einem „Aprilscherz“.
Wie kam es zu dem Konflikt? Als die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand am Mittwochabend um 22.45 Uhr die Stuttgarter Regierungszentrale verlassen, sehen sie erschöpft aus. Elf Stunden lang haben sie mit Kretschmann, Fraktionschef Andreas Schwarz und Finanzministerin Edith Sitzmann um die Frage gerungen, wer der richtige Partner für die Koalitionsverhandlungen ist. Detzer (40), die in den Bundestag strebt, gilt als Verfechterin der Ampel, auch weil sie ein Vorbild für den Bund sein könnte. Und der aufstrebende Nachwuchsmann Hildenbrand (33) vom linken Flügel würde die CDU gern „in die Wüste“schicken, wie es nachher heißt. Es fehle an Vertrauen.
Doch am Ende einigt man sich auf eine gemeinsame Empfehlung für den Vorstand, heißt es. Der hat offiziell das letzte Wort. Hauptsache Aufbruch, ist die Losung. Wenn das beim Klimaschutz mit der CDU – wie von ihr demütig zugesagt – künftig besser gehe, sei das schon mal wichtig. Der Eindruck: Kretschmann hat sich schließlich durchgesetzt. Kein Wunder: Er war der Garant für das Traumergebnis von 32,6 Prozent und den Vorsprung von 8,5 Prozentpunkten auf die CDU, die Baden-Württemberg bis 2011 fast sechs Jahrzehnte nach Art der CSU dominiert hatte.
Der wohl konservativste Öko genoss es zwar sichtlich, die Wahl zu haben zwischen Grün-Schwarz und einer Ampel. So mussten die Bewerber in den Sondierungen feste strampeln, um den grünen Ansprüchen zu genügen. Doch mit der
FDP wurde er nicht richtig warm. Sie wollten zwar „Kröten schlucken“, aber nicht zu viele, um den eigenen Parteitag zu überstehen. Nicht wirklich hilfreich waren die jüngsten Äußerungen von FDP-Chef Christian Lindner, der vor einer Ampel im Bund warnte: „Das Programm der Grünen ist tiefrot. Da geht es um Schulden, Steuern und bürokratische Fesseln.“Zwar schränkt er ein, die Kretschmann-Grünen seien anders als die im Bund. Doch das hilft auch nicht wirklich.
Wenige Stunden später ledert FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wieder los wie früher: Die Liberalen seien nicht bereit gewesen, sich den „Regulierungs- und Verbotsvorstellungen der Grünen“völlig zu unterwerfen. „Anders als die FDP hat sich die CDU den Grünen total unterworfen.“Nun wird man schon an diesem Samstag sehen, wozu die Union bereit ist. Dann soll ein Papier für die Koalitionsgespräche entstehen. Strobl sagt: „Wir haben eine gemeinsame Idee für Baden-Württemberg.“Der Grünen-Obere Cem Özdemir ermahnt die CDU dagegen, die vorläufige Zusage der Grünen nicht als „Freibrief“misszuverstehen. Sarah Heim von der Grünen Jugend droht, man werde das weitere Verfahren „kritisch mitbegleiten“.