Tobias Hans bremst – aber er bleibt auf Kurs
Tobias Hans (CDU) versucht beim Saarland-Modell ein interessantes Manöver: eine sanfte Notbremsung, ohne den Kurs zu wechseln. Der Ministerpräsident und seine Stellvertreterin Anke Rehlinger (SPD) mussten darauf reagieren, dass der politische und mediale Druck in den vergangenen Tagen übergroß geworden war – und weil tendenziell steigende Corona-Zahlen eine Strategie, die vor allem nach Öffnung klingt, schwer vermittelbar machten. Hans unternimmt aber keine Vollbremsung, sondern versucht, im Prinzip bei dem von ihm so genannten „Saarland-Modell“zu bleiben, und gleichzeitig das Signal zu senden: Wir nehmen die Lage ernst.
Das ist nicht nur Gesichts-wahrend, sondern prinzipiell richtig, weil die Philosophie, durch Anreize für Tests asymptomatisch Infizierte aufzuspüren, Sinn macht. Und weil es immer schwerer wird, zu argumentieren, dass Menschen, die nachweisen, mit großer Sicherheit nicht ansteckend zu sein, die gleichen Einschränkungen hinnehmen müssen wie alle anderen. Es geht ja nicht darum, die Leute einzusperren, sondern das Virus. ber Politik muss auch erkennen, wo die Wand steht, geAgen
die man zu laufen droht. Jeder Strategiewechsel bei Corona wird an den Infektionszahlen gemessen – egal, ob er für ihre Steigerung wirklich verantwortlich ist oder diese auf einer grundlegenden Dynamik beruht. „Infektionszahlen im Saarland gehen hoch, Saarland-Modell gescheitert“– diese Botschaft möchte sich kein Politiker antun, auch wenn sie verkürzt wäre. Ganz gebannt ist die Gefahr einer solchen Wahrnehmung indessen noch nicht, wenn nächste Woche die Bundespresse sich die neuen Freiheiten im Land ansieht. Ein Bild wird es ja geben: Saarländer in der Außengastronomie.
Die Veränderungen machen aber inhaltlich Sinn. Es war schon fragwürdig, künftig im Saarland für fast alle Aktivitäten strenge Tests zu verlangen, aber nicht im Einzelhandel, der die Menschen in die Citys lockt. Dass das Saarland hier durch einen Gerichtsbeschluss seit Wochen eine ungewöhnliche Libertinage pflegt – ohne Tests, Termine und Anmeldung – ist offenbar bundesweit noch gar keinem aufgefallen, der zuletzt über das Saarland hergefallen ist. Ob die Einschränkung für den Handel, die Hans jetzt durch ein Ampel-System vorbereitet, in Berlin die Kritiker beindrucken wird, bleibt da fraglich. Stark wirkt aber sicher der Beschluss, endlich eine Testpflicht an Schulen einzuführen, auch wenn die Ankündigung, die Klassen bald wieder ganz zurückzuholen, für Stirnrunzeln sorgen könnte. Mehr Gewicht dürfte im Urteil von Angela Merkel und Co. der Mechanismus bekommen, der nun in das Saar-Modell eingebaut wurde: Die Ampel, die ab einer Inzidenz von 100 auf Gelb schaltet und bei Rot harte Schritte vorsieht, ist ein Bekenntnis zum Prinzip der Notbremse. So bleibt die Option, letztlich Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. Und diese ist richtig: Selbst Boris Palmer schließt einen abendlichen harten Lockdown für die Modellstadt Tübingen nicht mehr aus. Es ist ja auch kein Widerspruch, Getesteten bei Tageslicht mehr Freiheit im organisierten Rahmen zu gewähren und unkontrollierte Kontakte in Innenräumen am späten Abend zu kappen.
Dass eine solche Entscheidung nicht an einem Inzidenzwert allein festgemacht wird, sondern erst nach Evaluation der Daten erfolgt, ist vernünftig. Nach aller Logik nimmt die Zahl erfasster Infektionen zu, wenn etwa an Schulen asymptomatisch Infizierte aufgespürt werden, die vor Wochen in keiner Statistik aufgetaucht wären. Die Regierung behält zudem einen Handlungsspielraum. Prinzipiell hat sie sich aber gewissen Automatismen verschrieben, die ihr unangenehme Entscheidungen abnehmen.
Es bleibt aber dabei: Bei Corona braucht es neue Ansätze. Und die können nicht erst in der Breite umgesetzt werden, wenn sie über Monate in kleinem Rahmen getestet wurden, wie mancher Wissenschaftler es gerne hätte. Die Krise ist jetzt. Der Wert der Maßnahmen gegen die Seuche richtet sich dabei nicht nach ihrer Härte. Die Medizin wird nicht besser, nur weil sie schlecht schmeckt. Es geht auch nicht um die quasi-religiöse Selbstgeißelung einer Gesellschaft, um das Virus wie einen Götzen zu besänftigen. Freiheit ist nicht böse.
Es darf daher keine Beweislastumkehr geben: Alternativen, die das Leben erleichtern, müssen nicht zeigen, dass sie die Inzidenz sogar senken. Nein: Der Lockdown muss besser sein, um gerechtfertigt zu werden. Es braucht daher Phantasie und ein ständiges Ringen um neue Wege. Selbst wenn Deutschland und auch das Saarland in den nächsten Wochen noch mal den Hammer rausholen müssen: Es ist richtig, dass hierzulande die Alternative nicht aus dem Blick gerät, auch nach Kritik von ganz oben.