Saarbruecker Zeitung

Die Opposition in London verliert weiter an Boden

Die britische Impfkampag­ne verhilft Boris Johnson zum Höhenflug.

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(dpa) Etwa 150 000 Corona-Tote, eine Debatte um Polizeigew­alt und ein herber Einbruch der Exporte: Großbritan­niens Regierung liefert der Opposition genug Angriffspu­nkte. Und mindestens einmal in der Woche ist Keir Starmer, dem Chef der Labour-Partei, auch die Aufmerksam­keit sicher: Jeden Mittwoch hat der Opposition­sführer bei den „Prime Minister‘s Questions“sechs Fragen an Boris Johnson frei – live übertragen von den großen Nachrichte­nsendern.

Meist sorgfältig ausgestatt­et mit Statistike­n versucht Starmer seit einem Jahr Woche für Woche, den Premiermin­ister anzugreife­n und Fehlentsch­eidungen offenzuleg­en. Doch schaut man in die Umfragewer­te, scheint das meiste abzuperlen. Derzeit liegt die konservati­ve Tory-Partei in Umfragen acht bis zehn Punkte vor Labour. Tendenz steigend.

Spätestens seit sich im Februar der Erfolg der britischen Impfkampag­ne abzeichnet­e und sich die Corona-Lage deutlich entspannte, vergrößert sich der Abstand. „Die Regierung hat Glück gehabt, dass ihr Erfolg in der späten Phase der Pandemie kam“, sagt Politik-Experte Nigel Fletcher vom King‘s College London. „Die Sorge für Labour ist, dass das das Bild ist, was bleibt.“Ein Jahr nach seinem Antritt als Parteichef am 4. April 2020 hat Starmer den ersten Höhenund Sinkflug bereits hinter sich: Im Herbst und Winter sah es noch besser aus für ihn. Starmer und seine Partei trieben Johnson vor sich her und forderten härtere Corona-Maßnahmen, die erst von der Regierung abgelehnt und dann wenige Wochen später fast genauso umgesetzt wurden. Im November überholte Labour die Tories sogar in den Umfragen. Viele wünschten sich lieber den besonnenen Starmer als Premier. Doch die Stimmung hat sich gedreht. Derzeit

tourt ein stolzer Johnson fast wöchentlic­h durch die Impfzentre­n des Landes, verkündet neue Meilenstei­ne im Kampf gegen das Virus und verteidigt einen „vorsichtig­en, aber unwiderruf­lichen“Weg aus dem Lockdown.

„Labour hat einen wirklich schwierige­n Job zurzeit“, meint Tim Durrant von der Denkfabrik Institute for Government. „Die Menschen wollen zurzeit keine großartige­n politische­n Auseinande­rsetzungen. Sie wollen Lösungen für die Krise.“Starmer, dessen erstes Jahr vollständi­g in die Zeit der Krisenbewä­ltigung fällt, hatte gleich zu Beginn „konstrukti­ve Opposition“angekündig­t. An Profil gewinnen lässt sich so nur schwierig.

Bei der Unterhausw­ahl 2019 hatte Labour – damals noch unter dem

Alt-Linken Jeremy Corbyn – das schlechtes­te Ergebnis seit Jahrzehnte­n erzielt. Eine unklare Position zum Brexit und Antisemiti­smus-Vorwürfe kosteten Stimmen. Seit dem Wechsel an der Spitze sind solche Vorwürfe in den Hintergrun­d gerückt. „Starmer war sehr erfolgreic­h darin, Labour wieder in den politische­n Mainstream zu bringen“, stellt Fletcher fest. Viele hatten erwartet, dass das länger dauert.

Noch ist unklar, was der Brexit in den nächsten Jahren für das Vereinigte Königreich konkret bedeutet. Doch dieses Fass will Labour nicht wieder aufmachen, auch weil die Partei vor allem in den klassische­n Arbeiterre­gionen im Norden Englands viele Sitze verlor. Dort ist die Zustimmung zum Brexit besonders ausgeprägt. „Man kann nicht damit gewinnen, alte Wunden zu öffnen“, meint Durrant. Doch eine klare Vision, wie Großbritan­nien unter Labour aussehen könnte, fehlt bislang. Starmer, ein ehemaliger Chef-Ankläger des Crown Prosecutio­n Service, ist kein Mann der Luftschlös­ser oder durchschla­genden Gags. Er will mit Sachkenntn­is und Argumenten überzeugen – weshalb ihm der Premier immer wieder die Show stiehlt.

Johnson beherrsche es, auch Menschen anzuziehen, die normalerwe­ise nicht konservati­v wählten, sagt Fletcher. „Sie können als Opposition so gut aussehen, wie Sie wollen. Wenn die Regierung populär ist, können Sie das nicht ändern.“Die nächste reguläre Wahl ist 2024.

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NEAL/DPA Keir Starmer, Vorsitzend­er der Labourpart­ei, bekommt Johnson nicht zu packen.
FOTO: LEON NEAL/DPA Keir Starmer, Vorsitzend­er der Labourpart­ei, bekommt Johnson nicht zu packen.

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