Eine falsche Burg, die Saar-Geschichte schrieb
Die Wartburg in Saarbrücken war der größte Saal weit und breit, hier wurde die „Saarabstimmung“ausgezählt, gab es Opern und Kino.
(mr) Das Haus steht noch. Seiner alten Funktion ist es allerdings beraubt, und seinen einstigen Art-Deco-Schmuck hat es verloren. Vielleicht ein Grund dafür, dass die Wartburg nicht unter Denkmalschutz steht, auch wenn sich dort Geschichtsträchtiges abspielte. Heute findet man das Haus im Stadtteil St. Johann in der Martin-Luther-Straße 12, die 1951 ihren Namen erhielt. Als es 1927/28 gebaut wurde, entstand das Gemeindehaus für die evangelische Kirchengemeinde St. Johann noch in der östlichen Nauwieser Straße, so der damalige, erst 1951 geänderte Name. Doch wenn ältere Saarbrücker heute von „damals, in der Wartburg“erzählen, dann meinen sie weniger das ganze Gebäude, sondern vor allem den vom Hessenweg aus zu erreichenden Saalbau, über viele Jahre größter Veranstaltungssaal im Saarland.
Hoch aufragend und die Seitenflügel von Zinnen gekrönt, hatte der Saalbau tatsächlich die Anmutung einer Burg – einer Burg allerdings, die im modernen Chic der Zeit mit geometrischen Art-Déco-Elementen verziert war, wenn diese auch alles andere als zierlich waren, sondern sehr klotzig und dominierend. Womöglich war dies und die Monumentalität des Saals eine Vorwegnahme nationalsozialistischer Architektur mit ihrer kantigen, erstickenden Wuchtigkeit. Der Festsaal fasste bis zu 1700 Personen. Allerdings verwischten mehrere Umbauten nach 1945 die meisten Spuren der ersten Gestaltung.
Einige Jahre vor dem Krieg, der auch die Wartburg beschädigt zurückließ, schrieb sie Geschichte: Dort wurden in den Nächten vom 13. zum 15. Januar 1935 die Stimmzettel der „Saarabstimmung“ausgewertet. Alan Rodhe, Präsident der Abstimmungskommission, gab das Ergebnis um 8.15 Uhr in der Wartburg, übertragen vom Rundfunk, bekannt: 90,7 Prozent der 540 000 Wahlberechtigten hatten „heim ins Reich“gewählt, nur 8,8 Prozent den von den Parteien in der „Einheitsfront“propagierten Status Quo, und gerade mal 0,4 Prozent den Anschluss an Frankreich – etwa 8000 Saarländer suchten nun ihr Heil in der Flucht. Die Nazis ließen eine Gedenkplakette in der Wartburg anbringen, auf der es unter anderem heißt: „Der schwedische Präsident der Abstimmungskommission Rodhe verkündete hier in der Morgenfrühe des 15. Januar 1935 das überwältigende Ergebnis, auf Grund dessen das Saargebiet ungeteilt zum deutschen Vaterland zurückkehrte.“
Zum „Vaterland“gehörend, wurde denn auch 1935 bis 1944 der „Reichssender Saarbrücken“in dem Gebäude untergebracht. Nach dem Krieg wurde daraus die Keimzelle des Saarländischen Rundfunks, zunächst als „Radio Saarbrücken“, bei dem noch die französische Besatzungsmacht das Sagen hatte. Die Sendeanstalt des SR blieb dort bis zum Umzug 1961 auf den Halberg.
Der große Saal bekam nun eine Dreifach-Funktion als Sendesaal, für kulturelle Live-Veranstaltungen aller Art genutzt – sogar für Opern, solange das Theater noch zerstört war–, und seit Ende 1945 auch als Kino. Die „Wartburg-Lichtspiele“waren damals das größte Kino in der Region. Ein altes Werbeplakat lässt darauf schließen, dass die Menschen dort gerne den harten Nachkriegs-Alltag für kurze Zeit vergaßen bei seichten Liebesschmonzetten und Komödien.
Es gibt sogar eine literarische Nachkriegsbeschreibung der Wartburg, aus dem Französischen übersetzt von Rainer Freyer, der sich auf seiner Internetseite www.saarnostalgie ausführlich dieser Zeit widmet. Er hat dort einen Abschnitt aus dem autobiografischen Roman „La troisième personne“von François-Régis Bastide wiedergegeben, der ab Ende 1945 im Informationsbüro der französischen Militär-Regierung in Saarbrücken arbeitete. Bastide beschreibt: „Die Wartburg ist ein riesiges Gebäude aus roten Steinen, dessen Architektur ziemlich afrikanisch anmutet. Sie überschaut ein Stadtviertel mit kleinen sumpfigen Schrebergärten, und man weiß nicht genau, ob sie ein Kino, eine Kathedrale, ein Museum, ein Spielkasino oder ein Hallenschwimmbad ist.“Der Saal habe eine „wunderbare Akustik. Die politischen Reden, die lutherischen
Predigten, die Chöre und Orchester haben die Schönheitsfehler ausgebügelt, die der Architekt so breit über sein Werk verstreut hat“.
Die Zeiten des Saals sind lange vorbei. Eine Bank war hier zuhause. Heute haben etliche Firmen Büroräume in der Martin-Luther-Straße 12. Den Namen „Wartburg“hatte die evangelische Gemeinde einst wegen des burgartigen Aussehens in Anlehnung an die Wartburg im thüringischen Eisenach gewählt, in der Luther 1521/22 Schutz fand und das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Man könnte sagen, der Name passte also für einen Veranstaltungssaal, da Luther ja auch der Satz zugeschrieben wird: „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.“