Saarbruecker Zeitung

Tausende versuchen die Flucht über den Ärmelkanal

Immer mehr Migranten wagen die gefährlich­e Überfahrt im Schlauchbo­ot von Frankreich Richtung Großbritan­nien. Das hat auch mit dem Brexit zu tun.

- VON KNUT KROHN

Menschensc­hmuggler haben auch in Zeiten der Corona-Pandemie Hochkonjun­ktur. Das zeigen die neusten Zahlen des französisc­hen Zentralbür­os für Migration und irreguläre Einwanderu­ng (Ocriest). Nach Angaben der Behörde wurden im Jahr 2020 rund 600 „geglückte Überfahrte­n“von Frankreich nach Großbritan­nien über den Ärmelkanal registrier­t, fast 700 Versuche konnten die Einsatzkrä­fte verhindern. In mehreren Hundert Fällen wurden Boote, Motoren oder Schwimmwes­ten entdeckt, die die Schleuser am Strand von Dünkirchen und Calais versteckte hatten. Nach Aussagen von Xavier Delrieu, Chef von Ocriest, wurden allein im Norden Frankreich­s 267 kleinere Schmuggler­netzwerke aufgedeckt. 980 Schleuser, Fälscher und Personen, die den Migranten Unterschlu­pf anbieten, konnten im Zuge der Ermittlung­en festgenomm­en werden. Nach Schätzunge­n haben fast 10 000 Menschen die gefährlich­e Überfahrt in Angriff genommen.

Wollten die Migranten in den vergangene­n Jahren vor allem versteckt auf Lastwagen und Zügen den Kanal überqueren, habe die Anzahl von Versuchen mit Schlauchbo­oten seit Ende 2018 rapide zugenommen, erklärt Xavier Delrieu. Diese Entwicklun­g hänge wahrschein­lich mit dem Brexit und der Pandemie zusammen, zwei Faktoren, die einen wesentlich­en Einfluss auf den Straßen- und Bahnverkeh­r zwischen Frankreich und Großbritan­nien hätten. Zudem seien auch die Kontrollen an den Häfen und in den Bahnhöfen verstärkt worden.

Die Überfahrt in kleinen Booten sei für die Migranten sehr gefährlich, für die Schleuser aber außerorden­tlich einträglic­h, erklärt Delrieu. Ein Schlauchbo­ot koste sie rund 5000 Euro und werde mit 15 bis 20 Menschen besetzt, von denen jeder knapp 3000 Euro für einen Platz bezahlt habe. Die Menschen seien sich der großen Gefahren oft nicht bewusst. Allein die Chance, auf der vielbefahr­enen Wasserstra­ße in der Nacht oder im Nebel von einem großen Frachtschi­ff erfasst zu werden, sei enorm groß. Häufig würden die Boote von den Schleusern auch einfach nicht mit genügend Treibstoff oder defekten Motoren ausgerüste­t.

Im Kampf gegen die illegalen Überfahren wurde auch die Kooperatio­n der Sicherheit­skräfte zwischen den beiden Staaten noch einmal verstärkt. Vor einigen Monaten sei eine neue französisc­h-britische Einheit eingericht­et worden, die auch verstärkt mit Europol zusammenar­beite. Ziel sei es, die Arbeit der Schleuser zu erschweren, deren Hintermänn­er oft in den Niederland­en, Belgien oder auch in Deutschlan­d säßen.

Auf der anderen Seite des Kanals will Großbritan­nien im Kampf gegen die illegale Einwanderu­ng zudem seine Gesetzgebu­ng deutlich verschärfe­n. Den Plänen zufolge sollen künftig Menschen, die auf illegalen Wegen einreisen, nicht die gleichen Chancen auf Asyl bekommen wie jene, die über legale Prozesse ins Land kommen. Die konservati­ve Innenminis­terin Priti Patel war in den vergangene­n Monaten schon mehrfach damit aufgefalle­n, brachiale Maßnahmen wie etwa Kriegsschi­ffe vor der Küste Englands in Erwägung zu ziehen. Hilfsorgan­isationen kritisiert­en die neuen Pläne als „unmenschli­ch“und als Zwei-Klassen-System des Asylrechts.

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