Saarlands Sinti und Roma-Verband vor dem Aus
Bisher wurde die Arbeit des Verbandes komplett aus privaten Mitteln finanziert. Dies sei so nun nicht mehr zu stemmen, warnt die Vorsitzende.
Sie sind hier geboren und aufgewachsen – und werden trotzdem wegen ihrer Herkunft diskriminiert. Dies ist auch nach 50 Jahren Bürgerrechtsbewegung und Aufklärungsarbeit noch immer Alltag für viele deutsche Sinti und Roma. Auch für Diana Bastian, die Vorsitzende des saarländischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. Warum das so ist, was Corona damit zu tun hat, und warum die Arbeit des Landesverbandes kurz vor dem Aus steht, darüber haben wir mit Diana Bastian anlässlich des heutigen Welt-Roma-Tages gesprochen.
Vor 50 Jahren trafen sich zum ersten Mal Roma aus verschiedenen Ländern in London zum ersten Welt-Roma-Kongress, der gleichzeitig den Beginn der Roma-Bürgerrechtsbewegung in Europa darstellte. Seit 1990 gibt es zudem den Welt-Roma-Tag, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Wie hat sich die Situation der Roma und Sinti Ihrer Meinung nach seitdem verändert?
BASTIAN In den ersten Jahren hat sich in Deutschland leider nichts getan. Wir hatten damals immer noch das Problem, dass der Holocaust an den Sinti und Roma offiziell nicht anerkannt worden ist. Das hat sich erst 1982 durch die Arbeit der Bürgerrechtsbewegung, des Zentralrates der Deutschen Sinti und Roma und der Holocaust-Überlebenden geändert. Mittlerweile wird in den Bundesländern da sehr viel getan. Das Denkmal, das wir in Berlin bekommen haben, ist ein Meilenstein gewesen, und seit vergangenem Jahr haben wir auch eine unabhängige
Antiziganismusstelle von der Regierung bekommen. Das halte ich für sehr wichtig. Wenn ich mir das aber auf der Europa-Ebene ansehe, ist das alles noch sehr fatal. Vor allem Roma werden sehr stark diskriminiert und leben teilweise in Ghettos. Die Kinder dürfen nicht in die Schulen gehen. Auch vom sozialen Leben werden viele immer noch ausgegrenzt. Da würde ich mir wünschen, dass hier etwas passiert. Wir reden hier immerhin von Europa. Es kann nicht sein, dass Roma hier in manchen Ländern noch vogelfrei sind. Aber auch in Deutschland müssen wir Sinti noch nach wie vor um unsere Rechte kämpfen. Obwohl wir hier schon seit 600 Jahren leben.
Und wie sieht die Situation im Saarland aus?
BASTIAN Wie in jedem Bundesland haben auch hier Sinti und Roma noch immer gegen Diskriminierung zu kämpfen. Das macht auch einen großen Teil der Arbeit in unserem Verband aus. Wir sind die einzige Anlaufstelle für Sinti wie auch für Roma, nicht nur für die deutschen, sondern auch für die zugezogenen. Vor allem die Sprache ist für zugezogene Roma nach wie vor oft eine große Barriere. Viele wissen auch nicht, dass wir in Deutschland eine Schulpflicht haben. Das muss man den Leuten erst plausibel machen. Auch hier ist auf beiden Seiten noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Bei der jüngsten Gedenkfeier für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma warnten Sie, dass die Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma gerade während der Corona-Pandemie wieder zugenommen habe. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
BASTIAN Ich habe oft den Eindruck, dass wir trotz unserer 600-jährigen Geschichte noch immer nicht als Deutsche anerkannt werden und dass das daher kommt. Erst neulich habe ich von einer jungen deutschen Sinti-Familie erfahren, dass sie Hetzbriefe in ihren Briefkasten bekommen hat, in denen sie als „dreckiges Zigeunerpack“beschimpft wurde und dass man sie hier nicht wolle. Die Familie ist tatsächlich wenig später weggezogen und hat ihre Eigentumswohnung verkauft. Jetzt leben sie zwar wieder in Frieden, müssen aber auch wieder ein Stück weit ihre Identität verbergen.
Sie selbst mussten ja auch schon in Ihrer Kindheit Erfahrungen mit Diskriminierung wegen Ihrer Herkunft machen...
BASTIAN In meiner Schulzeit durfte ich nie mit zu meinen Freundinnen kommen. Auch durften die nie zu mir mit nach Hause. Als Kind konnte ich das nie so richtig begreifen, warum das so ist. Ich habe mich ja schon immer als eine Deutsche gesehen. Immerhin hat schon mein Urgroßvater unter Kaiser Wilhelm gedient.
Wie gehen Sie heute mit solchen Anfeindungen um?
BASTIAN Wenn ich heute angefeindet werde, versuche ich erst einmal aufzuklären wer ich bin und was der Wortlaut „Deutscher Sinti“eigentlich bedeutet. Wenn man dann immer noch rassistisch gegen mich hetzt, kann ich es nicht ändern, aber ich habe es zumindest versucht.
Erst kürzlich forderten Sie sowie das Netzwerk für Demokratie und Courage Saar von der Landesregierung eine stärkere Förderung des saarländischen Landesverbandes für Sinti und Roma. Tut sich hier in Ihren Augen im Land zu wenig?
BASTIAN Wir machen das alles ehrenamtlich. Innerhalb der vergangenen vier Jahre ist das Arbeitsfeld aber so umfangreich geworden, dass mein Terminplaner komplett voll ist. Dass ist mittlerweile schon ein Vollzeitjob, der ehrenamtlich nicht mehr zu leisten ist. Der Verband braucht jetzt unbedingt eine feste finanzielle Basis.
Bisher haben Sie die Arbeit des Landesverbandes komplett aus eigener Tasche finanziert. Droht dem Verband jetzt das Aus, wenn das Land hier nicht mehr unterstützt?
BASTIAN Definitiv, ja. Es ist, wie schon gesagt, mittlerweile ein Vollzeitjob. Jeder Fall, der auf meinen Tisch kommt, bedeutet unglaublich viel Bürokratie. Ich sitze manchmal die halbe Nacht, um E-Mails zu beantworten, weil es zeitlich einfach nicht anders machbar ist. Ich bin da einfach an einem Punkt angelangt, an dem ich das privat nicht mehr aus eigenen Mitteln stemmen kann. Ich habe aber auch viel Unterstützung erfahren, was die Verbandsarbeit betrifft. So stehen etwa das Netzwerk für Demokratie und Courage, der Landesjugendring oder das Haus Afrika komplett hinter uns. Und auch aus dem Landtag bekomme ich von vielen gesagt, dass es ganz wichtig ist, dass wir vor Ort bleiben.