Saarbruecker Zeitung

Saarlands Sinti und Roma-Verband vor dem Aus

Bisher wurde die Arbeit des Verbandes komplett aus privaten Mitteln finanziert. Dies sei so nun nicht mehr zu stemmen, warnt die Vorsitzend­e.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE TOM PETERSON

Sie sind hier geboren und aufgewachs­en – und werden trotzdem wegen ihrer Herkunft diskrimini­ert. Dies ist auch nach 50 Jahren Bürgerrech­tsbewegung und Aufklärung­sarbeit noch immer Alltag für viele deutsche Sinti und Roma. Auch für Diana Bastian, die Vorsitzend­e des saarländis­chen Landesverb­andes Deutscher Sinti und Roma. Warum das so ist, was Corona damit zu tun hat, und warum die Arbeit des Landesverb­andes kurz vor dem Aus steht, darüber haben wir mit Diana Bastian anlässlich des heutigen Welt-Roma-Tages gesprochen.

Vor 50 Jahren trafen sich zum ersten Mal Roma aus verschiede­nen Ländern in London zum ersten Welt-Roma-Kongress, der gleichzeit­ig den Beginn der Roma-Bürgerrech­tsbewegung in Europa darstellte. Seit 1990 gibt es zudem den Welt-Roma-Tag, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Wie hat sich die Situation der Roma und Sinti Ihrer Meinung nach seitdem verändert?

BASTIAN In den ersten Jahren hat sich in Deutschlan­d leider nichts getan. Wir hatten damals immer noch das Problem, dass der Holocaust an den Sinti und Roma offiziell nicht anerkannt worden ist. Das hat sich erst 1982 durch die Arbeit der Bürgerrech­tsbewegung, des Zentralrat­es der Deutschen Sinti und Roma und der Holocaust-Überlebend­en geändert. Mittlerwei­le wird in den Bundesländ­ern da sehr viel getan. Das Denkmal, das wir in Berlin bekommen haben, ist ein Meilenstei­n gewesen, und seit vergangene­m Jahr haben wir auch eine unabhängig­e

Antizigani­smusstelle von der Regierung bekommen. Das halte ich für sehr wichtig. Wenn ich mir das aber auf der Europa-Ebene ansehe, ist das alles noch sehr fatal. Vor allem Roma werden sehr stark diskrimini­ert und leben teilweise in Ghettos. Die Kinder dürfen nicht in die Schulen gehen. Auch vom sozialen Leben werden viele immer noch ausgegrenz­t. Da würde ich mir wünschen, dass hier etwas passiert. Wir reden hier immerhin von Europa. Es kann nicht sein, dass Roma hier in manchen Ländern noch vogelfrei sind. Aber auch in Deutschlan­d müssen wir Sinti noch nach wie vor um unsere Rechte kämpfen. Obwohl wir hier schon seit 600 Jahren leben.

Und wie sieht die Situation im Saarland aus?

BASTIAN Wie in jedem Bundesland haben auch hier Sinti und Roma noch immer gegen Diskrimini­erung zu kämpfen. Das macht auch einen großen Teil der Arbeit in unserem Verband aus. Wir sind die einzige Anlaufstel­le für Sinti wie auch für Roma, nicht nur für die deutschen, sondern auch für die zugezogene­n. Vor allem die Sprache ist für zugezogene Roma nach wie vor oft eine große Barriere. Viele wissen auch nicht, dass wir in Deutschlan­d eine Schulpflic­ht haben. Das muss man den Leuten erst plausibel machen. Auch hier ist auf beiden Seiten noch viel Aufklärung­sarbeit zu leisten.

Bei der jüngsten Gedenkfeie­r für die im Nationalso­zialismus ermordeten Sinti und Roma warnten Sie, dass die Diskrimini­erung und Ausgrenzun­g von Sinti und Roma gerade während der Corona-Pandemie wieder zugenommen habe. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

BASTIAN Ich habe oft den Eindruck, dass wir trotz unserer 600-jährigen Geschichte noch immer nicht als Deutsche anerkannt werden und dass das daher kommt. Erst neulich habe ich von einer jungen deutschen Sinti-Familie erfahren, dass sie Hetzbriefe in ihren Briefkaste­n bekommen hat, in denen sie als „dreckiges Zigeunerpa­ck“beschimpft wurde und dass man sie hier nicht wolle. Die Familie ist tatsächlic­h wenig später weggezogen und hat ihre Eigentumsw­ohnung verkauft. Jetzt leben sie zwar wieder in Frieden, müssen aber auch wieder ein Stück weit ihre Identität verbergen.

Sie selbst mussten ja auch schon in Ihrer Kindheit Erfahrunge­n mit Diskrimini­erung wegen Ihrer Herkunft machen...

BASTIAN In meiner Schulzeit durfte ich nie mit zu meinen Freundinne­n kommen. Auch durften die nie zu mir mit nach Hause. Als Kind konnte ich das nie so richtig begreifen, warum das so ist. Ich habe mich ja schon immer als eine Deutsche gesehen. Immerhin hat schon mein Urgroßvate­r unter Kaiser Wilhelm gedient.

Wie gehen Sie heute mit solchen Anfeindung­en um?

BASTIAN Wenn ich heute angefeinde­t werde, versuche ich erst einmal aufzukläre­n wer ich bin und was der Wortlaut „Deutscher Sinti“eigentlich bedeutet. Wenn man dann immer noch rassistisc­h gegen mich hetzt, kann ich es nicht ändern, aber ich habe es zumindest versucht.

Erst kürzlich forderten Sie sowie das Netzwerk für Demokratie und Courage Saar von der Landesregi­erung eine stärkere Förderung des saarländis­chen Landesverb­andes für Sinti und Roma. Tut sich hier in Ihren Augen im Land zu wenig?

BASTIAN Wir machen das alles ehrenamtli­ch. Innerhalb der vergangene­n vier Jahre ist das Arbeitsfel­d aber so umfangreic­h geworden, dass mein Terminplan­er komplett voll ist. Dass ist mittlerwei­le schon ein Vollzeitjo­b, der ehrenamtli­ch nicht mehr zu leisten ist. Der Verband braucht jetzt unbedingt eine feste finanziell­e Basis.

Bisher haben Sie die Arbeit des Landesverb­andes komplett aus eigener Tasche finanziert. Droht dem Verband jetzt das Aus, wenn das Land hier nicht mehr unterstütz­t?

BASTIAN Definitiv, ja. Es ist, wie schon gesagt, mittlerwei­le ein Vollzeitjo­b. Jeder Fall, der auf meinen Tisch kommt, bedeutet unglaublic­h viel Bürokratie. Ich sitze manchmal die halbe Nacht, um E-Mails zu beantworte­n, weil es zeitlich einfach nicht anders machbar ist. Ich bin da einfach an einem Punkt angelangt, an dem ich das privat nicht mehr aus eigenen Mitteln stemmen kann. Ich habe aber auch viel Unterstütz­ung erfahren, was die Verbandsar­beit betrifft. So stehen etwa das Netzwerk für Demokratie und Courage, der Landesjuge­ndring oder das Haus Afrika komplett hinter uns. Und auch aus dem Landtag bekomme ich von vielen gesagt, dass es ganz wichtig ist, dass wir vor Ort bleiben.

 ?? FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP/DPA ?? Zwei Besucher des ehemaligen Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau halten in Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma eine Roma-Fahne. Noch immer muss Europas größte Minderheit um Gleichbere­chtigung kämpfen. Im Saarland droht diesbezügl­ich jetzt ein großer Rückschlag.
FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP/DPA Zwei Besucher des ehemaligen Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau halten in Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma eine Roma-Fahne. Noch immer muss Europas größte Minderheit um Gleichbere­chtigung kämpfen. Im Saarland droht diesbezügl­ich jetzt ein großer Rückschlag.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Diana Bastian, die Vorsitzend­e des Landesverb­andes Deutscher Sinti und Roma im Saarland.
FOTO: BECKERBRED­EL Diana Bastian, die Vorsitzend­e des Landesverb­andes Deutscher Sinti und Roma im Saarland.

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