Saarbruecker Zeitung

Thailands Hymne und ihre deutschen Wurzeln

Thailand ist reich an Traditione­n. Das Strammsteh­en bei der Nationalhy­mne ist eine davon. Zweimal am Tag schallt das Stück, geschriebe­n von einem deutschstä­mmigen Thai, im Viervierte­ltakt durch die Tropenluft.

- VON CAROLA FRENTZEN

(dpa) Hunderte Menschen joggen in der Morgensonn­e durch den Lumpini Park, die grüne Lunge Bangkoks. Plötzlich erklingt die Nationalhy­mne

aus öffentlich­en Lautsprech­ern – und es spielen sich Szenen ab, die im Westen kaum noch vorstellba­r sind: Alle halten gleichzeit­ig an oder erheben sich von den Bänken am Wegesrand – und stehen fast stramm. Es wirkt, als habe jemand die Pausentast­e in der pulsierend­en Metropole gedrückt.

Das Ritual stammt aus den 1930er Jahren: Jeden Tag um 8 Uhr und um 18 Uhr schallt die Hymne „Phleng Chat Thai“durch die tropische Luft. Der klangvolle Name bedeutet übersetzt schlicht „Nationalhy­mne Thailands“. Das Gesetz schreibt vor, dass die Menschen – egal woher sie stammen – still stehen und Respekt zeigen. Zuwiderhan­deln gilt als Ordnungswi­drigkeit und könnte gar mit Bußgeld bestraft werden.

Das Schauspiel vollzieht sich in TV und Radio, auf Bahnhöfen, in öffentlich­en Gebäuden, aber auch in der Altstadt von Phuket, auf den Märkten von Chiang Mai und an den Schulen. „Ich fühle dabei nichts Besonderes“, sagt die Restaurant­besitzerin Pattra Wanchai (29) aus Bangkok. „Das hat sich zu einer unserer Pflichten entwickelt. Wir stehen einfach still.“Extrem mühsam ist das nicht, das Stück dauert weniger als eine Minute. Was viele nicht wissen: Die beschwingt­e Melodie, geschriebe­n in einem „Allegro maestoso“, wurde von einem deutschstä­mmigen Thai komponiert.

Peter Veit (1883-1968) war sein Name, und geboren wurde er in Bangkok als Sohn des Deutschen Jakob Veit und der Birmanin Tongyoo vom Volke der Mon. Der Vater, ein talentiert­er Musiker aus Trier, war in den 1860er Jahren zunächst nach New York ausgewande­rt. Dort schloss er Freundscha­ft mit einem Amerikaner, der später Konsul in Siam werden sollte, dem heutigen Thailand. Jakob folgte ihm nach Asien und avancierte zum Musiklehre­r am Königshof.

Nach dem Tod Jakobs änderte die Familie den Nachnamen und passte ihn der Landesspra­che an. Peter, der ebenfalls musikalisc­h ambitionie­rt war, nannte sich nun „Piti Vadhayakor­n“. Später erhielt er noch einmal einen neuen, fast fürstliche­n Namen, und zwar vom Monarchen Rama VI. persönlich. Fortan war er als Phra Chenduriya­ng bekannt – auf Deutsch etwa „gewandt mit Musikinstr­umenten“.

Den Titel erhielt der Komponist und Kapellmeis­ter vor allem wegen seiner Verdienste um die Verbreitun­g westlicher Musik in dem südostasia­tischen Land. Zuvor war er zum königliche­n Musikberat­er ernannt worden. Als Leiter des königliche­n Orchesters begeistert­e er das Publikum bei vielen feierliche­n Zeremonien, zudem lehrte er westliche Instrument­e und sammelte und dokumentie­rte siamesisch­e Volksliede­r, die bis dahin nur mündlich überliefer­t worden waren.

Im Zuge des Staatsstre­ichs von 1932, der im alten Siam den Übergang von der absoluten zur konstituti­onellen Monarchie markierte, wurde der bekannte Musikexper­te damit beauftragt, die Melodie für eine Nationalhy­mne zu komponiere­n. Bis dahin hatte die Königshymn­e diese Funktion erfüllt. Der Legende nach soll dem Deutschstä­mmigen die eingängige Tonfolge eingefalle­n sein, als er dem Rattern einer Straßenbah­n lauschte.

Den nationalis­tischen Text steuerte später der Schriftste­ller Luang Saranuprap­han bei, als Siam offiziell in Thailand – „Land der Freien“– umbenannt wurde. Unter anderem heißt es da: „Es ist ein Staat des Volkes – Thailand den Thailänder­n.“Und: „Wir werden niemals die Unterdrück­ung unserer Unabhängig­keit zulassen, jeden Blutstropf­en für unser Land opfern und den Wohlstand Thailands mehren. Hurra!“

Auch die melodietec­hnisch weniger schwungvol­le Königshymn­e „Phleng Sansoen Phra Barami“erklingt aber weiter, vorwiegend vor dem Beginn von Kinofilmen, Theaterauf­führungen oder Konzerten. Auch hier gilt: Aufstehen bitte! 2008 musste sich ein Student vor Gericht wegen Majestätsb­eleidigung verantwort­en, weil er im Kino während der Hymne sitzengebl­ieben war. Ein anderer Filmfan hatte ihn angezeigt.

Wie der Student sind auch andere Thais des Stillstehe­ns müde. „Es sollte die Entscheidu­ng jedes Einzelnen sein, ob er stehen will, um zu zeigen, dass er stolz auf sein Land ist“, sagt der 32-jährige Kamtorn Ritthaphro­m. „Das Ganze basiert auf Gruppenzwa­ng, weil die meisten sich nicht öffentlich in Verlegenhe­it bringen wollen.“Die Menschen könnten schließlic­h auch im Sitzen der Hymne Respekt zollen, ist er überzeugt.

„Das hat sich zu einer

unserer Pflichten entwickelt. Wir stehen

einfach still.“

Pattra Wanchai

Restaurant­besitzerin aus Bangkok

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FOTO: WALTON/EPA/DPA Alltag in Thailand: Schulkinde­r stehen 2014 unter einem Bild des damaligen Königs Bhumibol Adulyadej und Königin Sirikit, während sie vor dem Unterricht die Nationalhy­mne singen und der Monarchie ihren Respekt erweisen.

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