Saarbruecker Zeitung

„Juni oder Juli, das wäre ein Riesenschr­itt“

Noch haben die Arztpraxen wenig Impfstoff, doch das wird sich bald ändern. Der Vize-Chef der Kassenärzt­e skizziert einen Zeitplan.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH.

800 Arztpraxen im Saarland haben sich gemeldet, um zu impfen, sowohl Haus- als auch Fachärzte. Zunächst stehen ihnen pro Woche nur 12 bis 18 Impfdosen zur Verfügung. Der stellvertr­etende Vorstandsv­orsitzende der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Dr. Joachim Meiser, rechnet im Mai mit einer deutlichen Beschleuni­gung.

Herr Meiser, was war am Dienstag in den Praxen los, als es hieß, es geht jetzt los?

MEISER In den Praxen haben massenweis­e Menschen angerufen und wollten einen Termin haben. Eine Kollegin hat mir erzählt, dass sie medizinisc­he Fachangest­ellte an die Telefone setzen musste. Mir war klar, dass in den erstenWoch­en gewisse organisato­rische Probleme entstehen werden. Da müssen wir durch.

Wie kommen Menschen denn an einen Impftermin bei ihrem Hausarzt?

MEISER Wir halten uns an die Priorisier­ungsvorgab­en und werden zunächst die Priorität 1, die über 80-Jährigen, zu Ende impfen. Das sind die Bettlägeri­gen, die Schwerkran­ken, die einfach keine Gelegenhei­t hatten, in die Impfzentre­n zu gehen. Die sind jetzt in dieser Woche dran. Die Ärzte melden sich von sich aus bei ihnen.

Und wenn ein Arzt dann noch Impfdosen übrig hat?

MEISER Wenn jemand fünf Bettlägeri­ge hat, aber 20 Impfdosen, dann weiß er genau, wen er aus der Prioritäts­gruppe 2 alles noch anrufen kann, zum Beispiel Diabetiker oder Herzkranke. Es ist ein bisschen schwierig im Moment, weil es keine verbindlic­hen Lieferzusa­gen gibt. Deswegen rate ich den Ärzten, vorsichtig zu terminiere­n und Warteliste­n zu führen.

Wann geht es denn richtig los mit den Impfungen in den Arztpraxen?

MEISER In der letzten April-Woche sollen die Praxen drei bis vier Mal so viel Impfstoff bekommen. Dann wird jede Praxis 50 bis 60 Dosen pro Woche haben. Wir sind dann voraussich­tlich schon in der Priorität 3 und können die 60- bis 69-Jährigen und alle impfen, die chronische Krankheite­n haben. Nach dem Mai wird die Priorisier­ung voraussich­tlich fallen, so dass dann alle geimpft werden können. Man kann den Ärzten nur den Rat geben: Macht es dann wie bei Vorsorge-Untersuchu­ngen und vergebt schon Termine bis in den Juni hinein.

Wann wollen Sie mit dem Impfen durch sein?

MEISER Die Arztpraxen können in der Woche 80.000 Impfungen machen, ich gehe konservati­v von 40.000 bis 50.000 aus. 150.000 Menschen haben ihre Erstimpfun­gen schon in den Impfzentre­n bekommen. Wenn die Lieferzusa­gen eingehalte­n werden und keine Komplikati­onen mit Astrazenec­a mehr dazwischen­kommen, können wir bis Ende Juni, spätestens im Juli jedem eine Erstimpfun­g anbieten. Das wäre ein Riesenschr­itt. Dann kommen noch die Zweitimpfu­ngen, und dann wären wir im dritten Quartal durch.

Ab wann können sich Menschen von sich aus in den Praxen melden?

MEISER Wenn es gut geht, in der ersten oder zweiten Mai-Woche. Dann schalten wir online auch die Liste der Impfärzte frei. Darauf stehen Ärzte, die bereit sind, auch fremde Patienten zu impfen. Es gibt ja Menschen, die nicht krank sind und keinen Hausarzt haben. Die können dann einfach schauen, wer sie in ihrer Region impfen kann.

Braucht man dann die Impfzentre­n überhaupt noch?

MEISER Wir haben vereinbart, dass die Zweitimpfu­ng immer dort stattfinde­t, wo die Erstimpfun­g war. Das heißt, die Impfzentre­n braucht man allein schon deshalb noch, um die Zweitimpfu­ngen durchzufüh­ren. Aber man wird sie nicht mehr in der Ausprägung benötigen.

Was passiert, wenn in den Praxen eine Impfdosis übrig ist?

MEISER Dann wird geschaut, wer als nächstes in der Prioritäts­stufe steht. Im Ort ist das ja kein Problem, der Arzt kennt ja seine Patienten, die können direkt kommen. Wenn es wirklich mal ganz schwierig ist und niemand erreichbar ist, sagt man einfach: Der nächste, der vorbeikomm­t, wird gefragt, ob er geimpft werden will. Es wird nichts weggeschüt­tet.

Erwarten Sie Diskussion­en, wenn ab übernächst­er Woche Astrazenec­a in den Praxen eingesetzt werden soll?

MEISER Da rechnen wir mit großen Diskussion­en. Wobei es ganz viele gibt, die sagen, ich bin über 60, ich kenne das Risiko. Aber es gibt einen großen Diskussion­sbedarf. Ich rate unseren Ärzten dringend, offensiv aufzukläre­n. Der Nutzen ist um ein vielfaches höher. Das wird manchmal aber schon 10 oder 20 Minuten dauern. Das ist eigentlich kaum zumutbar. Für den Komplettvo­rgang gibt es 20 Euro, das ist bei weitem nicht kostendeck­end. Die Ärzte machen es trotzdem gerne und aus Überzeugun­g. Aber es hat schon für Unmut gesorgt, als man gehört hat, dass in den Impfzentre­n Kosten entstehen, die zehn Mal so hoch sind.

Und ein Patient, der eine Impfung mit Astrazenec­a ablehnt?

MEISER Der muss dann wieder gehen. Es gibt keine Impfstoff-Auswahl.

„Nach dem Mai wird die Priorisier­ung voraussich­tlich fallen, so dass dann alle geimpft wer

den können.“

Dr. Joachim Meiser

Kassenärzt­liche Vereinigun­g

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Dr. Joachim Meiser, stellvertr­etender Vorstand der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g und von 1985 bis 2010 Hausarzt in Wallerfang­en, rechnet Ende April mit einer deutlichen Beschleuni­gung der Impfungen in den Praxen.
FOTO: OLIVER DIETZE Dr. Joachim Meiser, stellvertr­etender Vorstand der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g und von 1985 bis 2010 Hausarzt in Wallerfang­en, rechnet Ende April mit einer deutlichen Beschleuni­gung der Impfungen in den Praxen.

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