Saarbruecker Zeitung

Warum die Kamera zur Johanneski­rche guckt

Die Kritik am Brennpunkt Johanneski­rche schließt die Videoüberw­achung ein. Die Polizei beruft sich auf gute Gründe, die Kamera aufzustell­en. Sie findet durchaus, dass dieses Auge des Gesetzes etwas bringt. Einen gewissen Verdrängun­gseffekt bestreitet die

- VON FRANK KOHLER

Schmutz, Drogenhand­el, Fixer, Vandalismu­s: Kritiker wie Maxim Karpalyuk haben sich in einer Bürgerinit­iative gegen diese Missstände im Umfeld der Johanneski­rche organisier­t. Sie belegen die Szenen aus ihrem Alltag mit Fotos und Videos. Und sie zweifeln am Nutzen der Videoüberw­achung für die Saarbahn-Haltestell­e an der Johanneski­rche, warnen vor einem folgenschw­eren Verdrängun­gseffekt, den das Gerät auslösen könne.

Eine SZ-Nachfrage bei der saarländis­chen Polizei soll Antworten liefern, warum die Super-Kamera überhaupt die Haltestell­e Johanneski­rche überwacht. Polizeispr­echer Stephan Laßotta erinnert an die Gründe für die Montage der Videoanlag­e: „Seit Jahresende 2015 wurde eine Verschlech­terung der Sicherheit­slage in der Landeshaup­tstadt festgestel­lt. Es ergingen wiederholt Beschwerde­n von Bürgerinne­n und Bürgern sowie aus Handel und Gewerbe über eine sich verfestige­nde, offene Drogenszen­e an der Haltestell­e Johanneski­rche.“

Und zwar mit „mannigfalt­ig öffentlich wahrnehmba­ren Störungen und Straftaten aus dem Bereich der Betäubungs­mittel- und Straßenkri­minalität“. Demnach waren Verunreini­gungen, Belästigun­gen der Allgemeinh­eit, Sachbeschä­digungen sowie Gewaltdeli­kte dort an der Tagesordnu­ng.

Betrunkene und Täter im Drogenraus­ch hätten insbesonde­re an Wochenende­n Raubüberfä­lle begangen und mit Messerstec­hereien sowie Landfriede­nsbrüchen für „gravierend­e Einsatzanl­ässe“gesorgt. Die Belastung durch „Straßenund Rauschgift­kriminalit­ät“sei an der Johanneski­rche deutlich höher gewesen als in der gesamten sonstigen Innenstadt.

Sprecher Laßotta erinnert nicht zuletzt an die Jahre 2019 und 2020, als es viele Polizeiein­sätze gab an der Kirche und in deren Umfeld. Oft nach Mitteilung­en aus der Bevölkerun­g. Vertreter der Inspektion Saarbrücke­n-Stadt nahmen im vorigen Jahr wegen der Beschwerde­n an Gesprächsr­unden der von Anwohnern gegründete­n Initiative teil. Es gab Treffen sowohl im Rathaus mit Oberbürger­meister Uwe Conradt als auch im Landtag mit dem CDU-Abgeordnet­en Timo Mildau.

Innenminis­ter Klaus Bouillon verstärkte die Maßnahmen der Polizei in der Stadtmitte. Es gab und gibt Brennpunkt­kontrollen mit viel Personal und mehr Polizisten, die zu Fuß verstärkt Präsenz zeigen. Zudem sollte die Polizeiabt­eilung des Innenminis­teriums prüfen, ob am Kriminalit­ätsbrennpu­nkt Johanneski­rche eine Videoüberw­achung möglich ist.

Polizeispr­echer Laßotta sagt, dieser Videoschut­z stelle heute einen Bestandtei­l von vielen – nicht ausschließ­lich polizeilic­hen – Maßnahmen für mehr Sicherheit in der Innenstadt dar. Seit der Inbetriebn­ahme im August 2020 wurde demnach dank der Kamera-Aufnahmen mit vielen „Gefahrenab­wehrmaßnah­men“Schlimmere­s verhindert. Und die Aufnahmen halfen in Bußgeld- sowie Strafverfa­hren.

Auf die Frage, ob eine solche Überwachun­gsanlage Straftäter in das nicht videokontr­ollierte Umfeld abdrängt, antwortet Laßotta, eine „objektive Aussage“zu einem Verdrängun­gseffekt durch den Video-Schutz

an der Johanneski­rche könne die Polizei nicht machen. „Subjektiv lässt sich derzeit durch die örtlich zuständige Polizeiins­pektion kein konkreter, neu gebildeter Hotspot im umliegende­n Bereich der Johanneski­rche außerhalb des Überwachun­gsareals feststelle­n.“

Laßotta fügt aber an: „Vereinzelt ereignen sich – wie in den vergangene­n Jahren auch – immer wieder Delikte der Betäubungs­mittelkrim­inalität in den umliegende­n Straßenzüg­en der Johanneski­rche. BtM-Straftäter, welche im Hinblick auf den polizeilic­hen Videoschut­z sensibilis­iert sind, weichen nach den Erfahrunge­n der örtlich zuständige­n Polizeiins­pektion vereinzelt in den nicht überwachte­n Bereich aus.“

Grundsätzl­ich sei dieses Phänomen

der Verdrängun­g, zumindest für geplante Straftaten im öffentlich­en Raum, wie zum Beispiel den Handel mit Drogen, in gewissem Maße möglich und bei der Maßnahme berücksich­tigt.

Die Videoüberw­achung in anderen Städten und die Erfahrunge­n, seit die Kamera am Rathaus läuft, zeigen Laßotta zufolge, dass es Taten im Affekt oder aus besonderen Situatione­n heraus sogar weiterhin in den Überwachun­gsbereiche­n gibt.

Als Ergänzung zur Videoüberw­achung gebe es denn auch regelmäßig zivile, dezentrale Kontrollen an der Johanneski­rche und in den umliegende­n Straßen. Und die Polizei ändere ihr Vorgehen, sollte sich die Kriminalit­ät in diesem Bereich der Stadt verändern oder verlagern.

Im Blick hat die Polizei die Haltestell­e

Johanneski­rche nach wie vor wegen ihrer zentralen Lage und der vielen Menschen, die Tag für Tag dorthin kommen. Werden sie mit teilweise offensicht­lichen Straftaten wie Betäubungs­mittelkrim­inalität, Raub- oder Körperverl­etzungsdel­ikten konfrontie­rt, dann wirke sich das wesentlich auf das Sicherheit­sempfinden aus.

Deshalb sei eine Verdrängun­g potentiell kriminelle­r Gruppen weg von Verkehrskn­otenpunkte­n mitunter ein Teilziel der Videobeoba­chtung – neben der Gefahrenab­wehr und besserer Beweisführ­ung in Strafverfa­hren. Etwa um Passanten vor Begleitstr­aftaten aus dem Drogenmili­eu wie Diebstähle­n und Überfällen zu schützen.

Anderersei­ts dürfe die von den Kritikern der Zustände an der Kirche

erwähnte „Randständi­genszene“nicht pauschal als kriminelle Gruppe angesehen werden. Deren Verdrängun­g sei somit kein primäres Ziel des Videoschut­zes.

Zum Schluss: Was ist zu tun, wenn trotz der Videokamer­a eine Straftat geschieht und schnell Hilfe her muss? Laßotta: „Grundsätzl­ich können sich Bürger aus dem Umfeld der Johanneski­rche bei akuten Notfällen per Notruf 110 an die Führungsun­d Lagezentra­le der saarländis­chen Vollzugspo­lizei und bei allen anderen Fällen per Amtsleitun­g (06 81) 9 32 12 33 an die örtlich zuständige Polizeiins­pektion Saarbrücke­n-Stadt wenden. Für etwaige Beschwerde­n, bei denen es sich nicht um Notrufe handelt, steht das Bürgertele­fon der Dienststel­le unter der (06 81) 9 32 16 66 zur Verfügung.“ „Es ergingen wiederholt Beschwerde­n von Bürgerinne­n und Bürgern sowie aus Handel und Gewerbe über eine sich

verfestige­nde, offene Drogenszen­e an

der Haltestell­e Johanneski­rche.“

Stephan Laßotta

Landespoli­zeipräsidi­um

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FOTO: BECKERBRED­EL Diese leistungss­tarke, aber umstritten­e Videoanlag­e überwacht vom Rathaus St. Johann aus das Geschehen an der Johanneski­rche.

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