Der Winter geht nicht einfach spurlos vorüber
Der Winter hat im Nationalpark Spuren hinterlassen. So mancher Baum hat im Schnee Äste verloren. Förster Konrad Funk war aber auch unter den Fährtenlesern.
Schnee hatten wir vergangenen Winter reichlich. Ein wohl letztes kurzes Gastspiel gab der Winter noch vor wenigen Tagen. Der Schnee hat nicht nur dem Fotografen-Auge gut getan, denn er hat wirre Strukturen geglättet, menschliche Spuren, Schmutz und Unrat bedeckt. Wie ein weißes Leinentuch hat er alles sorgsam umhüllt. Ruhe ist dabei eingekehrt. Aber was da flockend weich und leicht daher kam, hat selbst auch Spuren im Nationalpark hinterlassen. Die Mächtigkeit von bis zu 50 Zentimeter Schnee, teils Regen, Vereisung und Sturm haben eine schwer zu tragende Last für den Wald gebracht. Fichtenwipfel, welche die Nase allzu hoch getragen haben, sind gebrochen und haben sich wie Geschosse in den Boden gebohrt. Birken und Weichhölzer wurden gebogen, bis sie zum Teil auch gebrochen sind. Ast-Abrisse hat es aber auch bei den Laubbäumen wie Eichen und Buchen gegeben. Wege waren zugefallen und unpassierbar geworden, vor der Gefährlichkeit wurde gewarnt.
Nie kann man Spuren im Wald besser lesen als im Schnee. Bei Haarwild wie Fuchs, Marder und Wildkatze spricht man von Spuren, bei Schalenwild wie Reh, Wildschwein und Hirsch von Fährten. Auf den ersten
Schnee verhalten sich Wildtiere in der ersten Nacht zunächst abwartend. Erst nach der Folgenacht verrät der Schnee uns, wer hier alles unterwegs war. Der Fuchs schnürt und setzt dabei in einer Linie einen Abdruck vor den anderen. Beim Hasen sehen wir zwei Abdrücke in einer Linie und zwei quergestellt davor. Die beiden vorderen, querstehenden stammen von den übergreifenden Hinterläufen, die Abdrücke in Längsrichtung stammen von den Vorderläufen. Der kleinste Schalenabdruck stammt unverwechselbar vom Reh, bei Wildschwein und Hirsch muss man aufpassen. Die Größe ist je nach Alter fast gleich, doch drückt Schwarzwild die beiden Geäfterschalen (siehe Foto) deutlich ab. Beim Rotwild sitzen die Geäfterschalen höher am Lauf was bedeutet, dass sie nicht im Abdruck zu sehen sind. Kindern bei einer Waldwanderung erkläre ich diesen kleinen Unterschied im Vergleich mit Mutters Stöckelschuhen. Demnach hinterlassen, eher lustig anmutend, Wildschweine sichtbar abgebildete „Stöckel“hinter den vorderen Schalen im Schnee, Rotwild nur die beiden vorderen Schalen.
Über breite, offene Waldwege marschieren die Sauen vorsichtig, meist eine hinter der anderen im Gänsemarsch. Hier kommt man beim Spurenlesen nicht weit. Geht man nur wenige Schritte in den Bestand vor oder zurück, so löst sich der Klumpen, den man auf dem Weg vor sich hatte, schnell auf, und die einzelnen Fährten sind gut zu betrachten. Jetzt kann man auch alle zählen. Unweit einer stark befahrenen Straße liegt ein Reh, es ist nicht an Hunger sondern durch einen nächtlichen Autounfall zu Tode gekommen. Schnee bedeckt es fast bis zur völligen Unkenntlichkeit. Dem scharfen Bussard-Auge ist es aber nicht entgangen. Für ihn bedeutet so ein Stück Fallwild reichlich Nahrung. Bald schon gesellen sich Krähen und Elstern hinzu, auch sie wollen etwas davon abbekommen. Dem Kolkraben, den man überall im Nationalpark gut hören kann, ist das auch nicht entgangen, er aber ist viel vorsichtiger als seine schwarzen Kollegen. Nach der Mahlzeit gibt es auch hier viele Spuren im Schnee.
Spurensuche, die im Schnee bestens funktioniert, geht auch ohne Schnee, auf nassen, lehmigen Böden an Böschungen und auf fein abgesandeten Wegen. Spurensuche im Wald endet für richtige Indianer also nicht mit der Schneeschmelze.
Den Wildtieren hat der Schnee nicht viel ausgemacht. Reh, Wildschwein und Hirsch haben von ihren Fettreserven gezehrt, die sie sich im Herbst bei der guten Eichenund Buchenmast angefuttert hatten. Ihr Stoffwechsel wird im Winter heruntergefahren, große Futtermengen brauchen und möchten sie dann gar nicht. Ruhe ist viel wichtiger, und hier können alle dazu beitragen. Bei hohen Schneelagen sollte man Bereiche meiden, in die sich das Wild tagsüber zurückgezogen hat. Es unnötig auf die Läufe und zur Flucht zu bewegen, schadet ihm erheblich.
Der Schnee ist gegangen und doch fielen an den vergangenen kalten Tagen im April immer noch weiße Flocken. Der „Hunsbuckel“wehrt sich hartnäckig gegen den Frühling – auch dann noch, wenn sich in den Tal-Lagen die Frühblüher schon zeigen.