Immer mehr Bauern im Saarland geben Höfe auf
Viele Menschen wollen, dass es den Tieren in den landwirtschaftlichen Betrieben besser geht. Doch ausgerechnet der Wunsch nach mehr Tierwohl könnte ungewollte Folgen haben.
Zwischen 2010 und 2020 haben 215 Landwirte im Saarland aufgegeben. Die Landwirtschaftskammer erwartet, dass sich das Höfesterben fortsetzt. Seit über 40 Jahren könnten Landwirte keine kostendeckenden Preise mehr erzielen.
Bauern klagen und jammern – und demonstrieren. Gerne zu Tausenden mit ihren Traktoren in Berlin oder Brüssel oder vor Supermärkten. Diese Bilder prägen das Bild von Landwirten in der Öffentlichkeit. Irgendwie scheint immer Krise zu sein. Stimmt, sagen Vertreter der Branche. „Wir haben das Problem, dass seit über 40 Jahren die Preise nicht kostendeckend sind. Weder bei Milch noch bei Fleisch“, sagt Robert Zimmer, Direktor der Landwirtschaftskammer des Saarlandes, die in Bexbach ihren Sitz hat. Hinzu kommt der Druck aus Politik und Öffentlichkeit hin zu einer Agrarwende, die nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Folge: Viele Bauern geben ihre Höfe auf. Zwischen 2010 und 2020 taten dies 215 Landwirte im Saarland. 1104 Betriebe gibt es noch. So die vorläufigen Daten des Statistischen Amtes von der jüngsten Landwirtschaftszählung. Über 16 Prozent der Bauern zogen einen Schlussstrich. Franz-Josef Eberl, Präsident der saarländischen Landwirtschaftskammer, erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Schaut man in die Statistik genauer hinein, ist im Saarland der Rückgang bei Höfen mit Tierhaltung großteils noch deutlicher. Um mehr als ein Viertel weniger geht es. Die Zahl der Milchkuh-Betriebe sank um mehr als ein Drittel, die der Schweinehalter um mehr als die Hälfte, die der Geflügel-Höfe um zehn Prozent, wie aus den Ergebnissen der Landwirtschaftszählung 2020 hervorgeht. Der Viehbestand nahm um rund 14 Prozent ab. Nur beim Geflügel gingen die Zahlen nach oben – um über ein Drittel auf 221 000.
Das Problem der Tierhalter: Sie verdienen kaum Geld. Beispiel Milchbauern: Zwischen 2010 und 2020 gab es im Saarland der Landwirtschaftszählung zufolge nur zwei Jahre, in denen die Bauern mindestens 40 Cent pro Liter bekamen und somit die Kosten gedeckt waren. Diese 40 Cent, die ökonomisch im Durchschnitt mindestens nötig sind, werden unter anderem damit kalkuliert, dass sich der Landwirt einen Arbeitslohn in einer Höhe zahlt, als wenn er einen Facharbeiter fest einstellen würde – plus einen Betriebsleiterzuschlag, erläutert Zimmer. In der Realität arbeiten die Bauern für viel weniger. Das bedeutet: Viele Betriebe überleben zwar, auch wenn der Milchpreis niedriger ist, aber nur durch „Selbstausbeutung“, sagt Zimmer. Hinzu komme, dass oft über die EU-Flächenprämie die unrentable Viehhaltung quersubventioniert werde.
Eberl sieht die Politik gefordert. „Der Staat muss steuernd eingreifen“und für finanzielle Unterstützung sorgen, sagt der Landwirtschaftskammerpräsident. Nur dann sei zu stemmen, was Öffentlichkeit und Politik von Landwirten erwarten: mehr auf Tierwohl in den Ställen zu achten, Klimaschutz zu betreiben, weniger Gülle auszubringen und am besten keine Gifte gegen Unkräuter und Schadinsekten zu spritzen. In der jetzigen Situation hätten viele Bauern „das Gefühl, sie schaffen das alles nicht“, sagt Eberl.
In der Politik tut sich inzwischen etwas. Zumindest beim Thema Tierwohl. Dass die Tierhalter finanzielle Hilfen brauchen, um den Umbau für mehr Platz, Luft und Licht in den Ställen zu bezahlen, ist für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) klar. „Für mich geht es nicht um das Ob, wir reden über das Wie“, sagte sie Anfang März bei der Präsentation einer Studie über Möglichkeiten, Milliarden für deutlich mehr Tierschutz zu mobilisieren und die Bauern nicht allein auf den Kosten sitzen zu lassen.
Der Studie zufolge hat das für die Verbraucher im wahrsten Sinn des Wortes einen Preis. Um den Finanzierungsbedarf von 4,2 Milliarden Euro abzudecken, müssten Lebensmittel etwa durch eine Abgabe teurer werden: Fleisch um 47 Cent pro Kilo, Käse und Butter 18 Cent pro Kilo mehr, Milch um etwa zwei Cent pro Liter und Eier pro Stück um ebenfalls zwei Cent. Im Raum stehen eine Tierwohl-Abgabe, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent oder eine Art Tierwohl-Soli bei der Einkommensteuer. Jeder Finanzierungsvorschlag
hat seine Tücken. Konfliktfelder liegen etwa im EU-Beihilferecht, oder in dem Verbot, Anbieter aus der EU zu benachteiligen, oder im bürokratischen Aufwand. In die Debatte war Bewegung gekommen, seit eine Expertenkommission um den früheren Agrarminister Jochen Borchert (CDU) vor gut einem Jahr ein Konzept vorgelegt hat. Landwirtschaftsministerin Klöckner will über die nächsten Schritte nun parteiübergreifend im Bundestag und mit den Ländern sprechen. Offen ist, ob es vor der Bundestagswahl noch entscheidende Fortschritte geben wird.
„Es ist kompliziert“, sagt Eberl. „Doch die Landwirte brauchen Perspektiven.“Sie stellten sich die Frage: „Höre ich auf, oder baue ich – fürs Tierwohl?“Und damit sich viele fürs Weitermachen entscheiden, müssen aus seiner Sicht einige Fragen beantwortet werden: „nicht von uns Bauern, sondern von der Politik“, sagt Eberl. Welche Standards sollen fürs Tierwohl erfüllt werden? Wie wird das Baurecht angepasst, sodass Um- oder Ersatzbauten von Ställen – schneller – möglich werden? Wie werden die Vorschriften für die Luftreinhaltung verändert, sodass es überhaupt erlaubt ist, Tieren mehr Auslauf im Freien zu ermöglichen? Solche Themen „sind Wellenberge für die Landwirte“, sagt Eberl. An der Klärung dieser Fragen kann sich entscheiden, ob ein Bauer weitermacht oder aufgibt. Die Anfang März vorgestellte Studie macht dazu Lösungsvorschläge. Doch in Gesetze gegossen sind sie noch lange nicht.
Auch wenn irgendwie eine Tierwohl-Abgabe eingeführt wird, ist damit der Trend zu weniger und größeren Bauernhöfen nicht gebrochen. „Tierwohl-Investitionen gehen nur mit Wachstum“, sagt Eberl. Der Umoder
Neubau kleiner Ställe lohne sich nicht, auch wenn eine Abgabe oder Steuer Entlastung schafft. Der Kammerpräsident geht deshalb davon aus, dass die Zahl der Tierhalter weiter sinkt und auch weniger Vieh gehalten wird. Der Wachstums-Druck läuft allerdings quer zu der vielfach besonders von den Grünen und Umweltschutzverbänden erhobenen Forderung nach einer Abkehr von der Industrialisierung der Landwirtschaft.
Noch etwas kommt aus Sicht der Kammer hinzu, was die Umsetzung der Tierwohl-Pläne für die Bauern ökonomisch erschwert. Nur 30 Prozent der Milch lande im deutschen Einzelhandel. 70 Prozent gingen an die Lebensmittelindustrie oder in den Export, sagt Kammerdirektor Zimmer. „Wir brauchen eine flächendeckende Tierwohl-Strategie und nicht nur eine für die 30 Prozent, die im Handel landen.“Und eigentlich müsste das Tierwohl europaweit geregelt werden, sagt Eberl. Andernfalls landeten die deutschen Regelungen vor dem Europäischen Gerichtshof, so Zimmer. Und „sie enden wie die Pkw-Maut“von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) – im Aus.