Von Taktikern, Polterern und Lichtgestalten
Streit um die K-Frage wie zwischen Laschet und Söder hat es in der Bundesrepublik immer gegeben – nicht nur in der Union. Ein Blick zurück.
Der Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen CDUChef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder stellt die Union gerade auf eine harte Probe. Von Sticheleien bis hin zur Feldschlacht ist die Rede – dabei haben die Schwesterparteien schon ganz andere Zeiten hinter sich. Um das Spitzenamt wurde in der Geschichte der Bundesrepublik immer mit harten Bandagen gekämpft, nicht nur hinter den Kulissen. Auch die SPD war in historische Duelle involviert, und nicht immer ging es gut aus für den jeweils gekürten Kanzlerkandidaten.
Besonders spannend wurde es immer dann, wenn die SPD an der Macht war und die Union einen Herausforderer an den Start bringen musste. Den Bundestagswahlen von 1976 und 1980 etwa gingen harte Wahlkämpfe voraus, die sich – genau wie heute – vor allem zwischen dem CSU-Chef und dem CDU-Vorsitzenden abspielte. Franz Josef Strauß, damals auch bayerischer Ministerpräsident, machte nie einen Hehl daraus, die Kanzlerkandidatur innerhalb der Union für sich entscheiden zu wollen. Er scheute nicht davor zurück, seinen Rivalen auch vor einem größeren Publikum zu diskreditieren. „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür“, polterte Strauß schon im November 1976 vor dem Landesausschuss der Jungen Union Bayern – ein paar Wochen, nachdem Kohl gegen Helmut Schmidt (SPD) die Bundestagswahl nur ganz knapp verloren hatte.
Entschieden wurde das Duell zwischen dem taktierenden Pfälzer und dem impulsiven Bayer dann vier Jahre später. Während Strauß an seinem Machtanspruch festhielt („Es ist mir egal, wer unter mir Bundeskanzler wird.“), gab Kohl mitten im Showdown nach – und verzichtete auf die Kanzlerkandidatur. Es folgte ein bemerkenswert scharfer Wahlkampf zwischen Strauß und dem SPD-Kanzler Schmidt. „Strauß war ein wilder Stier, der alle Gatter durchbrechen wollte“, schrieben die Zeitungen. Sein aggressiv-egozentrisch geführter Wahlkampf scheiterte aber.
Mehr als 20 Jahre nach der StraußKohl-Ära befanden sich CDU und CSU mit der neuen Parteivorsitzenden Angela Merkel in einer ähnlichen Lage: Es galt, den populären SPD-Kanzler Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl 2002 zu stürzen. Merkel, die den durch die Spendenaffäre angeschlagenen Wolfgang Schäuble 2000 an der CDU-Spitze abgelöst hatte, hätte einen Zugriff auf die Kanzlerkandidatur gehabt – verzichtete aber.
Bei dem legendären „Wolfratshauser Frühstück“teilte Merkel ihrem Rivalen Edmund Stoiber (CSU) unter vier Augen in seiner Wohnung mit, dass es für die Union besser sei, wenn er antrete. Dass sie dem von sich so überzeugten CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt ließ, hatte auch den Vorteil, damit zugleich den Parteikollegen Friedrich Merz aus dem Weg zu räumen, der ebenfalls Kanzlerkandidat werden wollte. Merkels Vorgehen erinnerte an Kohls taktisch kluge Entscheidung für Strauß 1980. Auch CSU-Politiker Stoiber verlor die Wahl gegen Schröder – und die CDU-Vorsitzende Merkel konnte drei Jahre später, bei der vorgezogenen Wahl 2005, groß auftrumpfen.
Legendär sind auch die Machtkämpfe in der Geschichte der SPD. In den 90er-Jahren versuchten die Sozialdemokraten zunächst vergeblich, den Einheitskanzler Kohl von der Macht zu verdrängen. Drei Männer kristallisierten sich heraus: der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping und die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und dem Saarland, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Die Troika war geboren. Zu dritt brachten die SPD-Politiker Kohl 1994 tatsächlich an den Rand einer Niederlage. Danach entspann sich allerdings ein vierjähriger Machtkampf von Shakespeare’schen Ausmaßen.
Der erste Höhepunkt erfolgte 1995 auf dem SPD-Parteitag in Mannheim. Mit einer fulminanten Rede begeisterte der Saarländer Lafontaine die Delegierten und stürzte Scharping nur einen Tag später völlig überraschend bei der Wahl zum Vorsitzenden. Doch damit war nur Scharping erledigt. Wer von den beiden Übriggebliebenen für die Partei 1998 antreten sollte, war längst nicht ausgemacht. Im Grunde entschieden die heimischen Wähler Schröders in Niedersachsen den schwelenden Machtkampf. Mit dem noch heute gültigen Rekordergebnis von 47,9 Prozent bei den Landtagswahlen am 1. März marschierte der Ministerpräsident durch. Tatsächlich schaffte es Gerhard Schröder, den CDU-Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, nach 16 Regierungsjahren zu schlagen.
Den Machtkampf mit Oskar Lafontaine erledigte der Niedersachse nur wenige Monate nach Amtsantritt. Via Bild-Zeitung rüffelte der SPD-Kanzler die linken Träume (Reichensteuer, gerechte Weltwährungsordnung) seines einstigen Mitstreiters aus dem Saarland. Lafontaine trat von allen Ämtern zurück. „Schlechtes Mannschaftsspiel“, war sein schmaler Kommentar.
Selbst die Lichtgestalt der Sozialdemokratie, Willy Brandt, musste einst etliche Stationen und Machtkämpfe durchlaufen, bis er den Weg als erster Sozialdemokrat ins Kanzleramt schaffte. Geschickt schaffte es die „graue Eminenz“der SPD, Herbert Wehner, den aufstrebenden Brandt gegen den Parteivorsitzenden der Genossen, Erich Ollenhauer, 1961 zum Kanzlerkandidaten und später zum SPD-Chef durchzusetzen. Und als es 1969 für ein sozial-liberales Bündnis reichte, setzte Brandt die neue Kombination gegen den Willen Wehners und des damaligen Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt durch.
„Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, er ist total unfähig.“
CSU-Chef Franz Josef Strauß im November 1976