Saarbruecker Zeitung

Dendias‘ Rundumschl­ag vor laufenden Kameras

Die Beziehunge­n zwischen Athen und Ankara sind traditione­ll schlecht. Nun endete der Besuch des griechisch­en Außenminis­ters in der Türkei im Eklat.

- VON ALEXIA ANGELOPOUL­OU, TAKIS TSAFOS UND ANNE POLLMANN

(dpa) Solch eine Pressekonf­erenz hat es lange nicht gegeben: Ausgesproc­hen herzlich und aufgeräumt präsentier­ten sich der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu und sein Gast, der griechisch­e Außenminis­ter Nikos Dendias, am Donnerstag­abend in Ankara vor Journalist­en. Als „alte Freunde“bezeichnet­en sie sich immer wieder, witzelten und freuten sich auf das gemeinsame Abendessen. Bis Dendias zu einem Rundumschl­ag ausholte, der nicht nur seinen Kollegen Cavusoglu, sondern auch die Öffentlich­keit fassungslo­s zurück ließ.

Was normalerwe­ise hinter verschloss­enen Türen diskutiert wird – in diesem Fall der Konflikt um Erdgasvork­ommen im Mittelmeer, gegenseiti­ge Vorwürfe im Umgang mit Migranten, die Militarisi­erung griechisch­er Inseln, die Überflüge türkischer Kampfjets über bewohntem griechisch­en Gebiet und viele Streitpunk­te mehr – breitete Dendias genüsslich und dabei stets freundlich vor laufenden Kameras aus. Zuvor, heißt es in griechisch­en Medien, habe er lange mit Premier Kyriakos Mitsotakis telefonier­t, was darauf schließen lässt, dass seine Vorgehensw­eise von der griechisch­en Regierung abgesegnet war.

Für Griechenla­nd ist es ein Wendepunkt im Umgang mit dem Nachbarlan­d. War man zuvor – ganz im Sinne der EU – um Beschwicht­igung bemüht, soll nun offenbar Tacheles geredet werden. Athen macht sich zunutze, dass die Türkei in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten steckt, sich wieder an die EU annähern will und vom neu gewählten US-Präsidente­n Joe Biden bisher weitgehend ignoriert wird. So wurde Dendias beispielsw­eise nicht müde zu betonen, dass es sich bei den strittigen Punkten keinesfall­s um bilaterale Konflikte handele, sondern dass die türkische Haltung dem Regelwerk der EU entgegenst­ehe.

Das EU-Mitglied Griechenla­nd habe stets die Beitrittsa­mbitionen der Türkei unterstütz­t, versichert­e Dendias. Dann müsse jedoch auch das EU-Regelwerk respektier­t werden. „Und dazu gehört die Achtung der territoria­len Integrität aller EU-Länder.“Durch ihre Forschunge­n nach Erdgas in der Ägäis negiere die Türkei diese Regeln, in diesem Fall das internatio­nale Seerecht. „Und nicht nur das: Die Türkei hat die Souveränit­ätsrechte Griechenla­nds mit 400 Überflügen über griechisch­en Boden verletzt“, sagte Dendias und wandte sich an seinen Gastgeber: „Mevlüt, über griechisch­em Boden! Es gibt kein internatio­nales Recht, das dies erlaubt!“

Die Aufregung über solche Aussagen war bei politische­n Beobachter­n in Athen nicht geringer als bei den türkischen Kollegen. „Ich bin fast 70 Jahre alt und habe so etwas noch nie erlebt“, sagte etwa der griechisch­e Politologe Panagiotis Ioakimidis. „Nur gut, dass die Journalist­en anschließe­nd keine Fragen stellen durften, sonst wäre es womöglich noch weiter eskaliert“, kommentier­te der griechisch­e Türkei-Experte Manolis Kostidis.

Nicht nur Dendias, auch Cavusoglu sorgte für Erstaunen. Zwar war der Außenminis­ter sichtlich irritiert und kritisiert­e die aggressive Haltung Dendias‘ – doch er ließ ihn anschließe­nd auch antworten, anstatt die Pressekonf­erenz für beendet zu erklären, wie es als Gastgeber sein Recht gewesen wäre.

Er selbst habe das Gespräch in freundlich­er Atmosphäre führen wollen, betonte Cavusoglu. „Werden wir das von nun an also auf bilaterale­r Ebene gemeinsam besprechen oder weiterhin so streiten? Ihr müsst euch entscheide­n.“Der türkische Präsident Erdogan sagte am Freitag, die Türkei und Griechenla­nd sollten ihre Konflikte bilateral lösen: „Die Europäisch­e Union oder andere sollen sich nicht zwischen uns stellen.“

 ?? FOTO: VOJINOVIC/AP ?? Hat für einen diplomatis­chen Eklat mit der Türkei gesorgt: Griechenla­nds Außenminis­ter Nikos Dendias.
FOTO: VOJINOVIC/AP Hat für einen diplomatis­chen Eklat mit der Türkei gesorgt: Griechenla­nds Außenminis­ter Nikos Dendias.

Newspapers in German

Newspapers from Germany