Saarbruecker Zeitung

Showdown im Wirecard-Ausschuss

Kommende Woche müssen mehrere Bundesmini­ster vor dem Gremium Rede und Antwort stehen. Vor allem für Vizekanzle­r Olaf Scholz könnte es ungemütlic­h werden.

- VON THERESA MÜNCH

(dpa) Noch ist kein Schuldiger verurteilt, der wohl größte Wirtschaft­sskandal der deutschen Nachkriegs­geschichte nicht aufgeklärt. Im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags zum mutmaßlich­en Milliarden­betrug beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard kommt es in der kommenden Woche trotzdem zum Höhepunkt: Es geht um die Frage, wer die politische Verantwort­ung trägt für die schier unglaublic­hen Vorgänge und Versäumnis­se rund um das Fintech-Unternehme­n, auf das man in Deutschlan­d einst so stolz war. Auf der Zeugenlist­e stehen zwei der größten Namen, die die Bundespoli­tik zu bieten hat: der Vizekanzle­r und die Kanzlerin.

Der Fall an sich ist eigentlich schon spektakulä­r genug: Ein dubioses Finanz-Startup, das innerhalb kürzester Zeit zum internatio­nalen Börsenlieb­ling wächst – dabei aber verschweig­t, dass wohl ein erhebliche­r Teil der Bilanzsumm­e frei erfunden ist. Als die Scharade platzt, löst sich ein Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro in Luft auf, Tausende Kleinanleg­er verlieren ihre Ersparniss­e.

Rund 300 Stunden lang hat der Untersuchu­ngsausschu­ss Zeugen zu dem Fall befragt, oft bis in die frühen Morgenstun­den. Nicht alle trugen zur Aufklärung bei – Ex-Wirecard-Chef Markus Braun etwa, der in Untersuchu­ngshaft sitzt und sich auf sein Schweigere­cht berief.

Klar wurde aber: Wirtschaft­sprüfer von EY setzten jahrelang ihren Stempel unter Abschlüsse des Konzerns, obwohl sie keine Bankbelege für angebliche Milliarden­summen auf Treuhandko­nten hatten. Die Finanzaufs­icht Bafin wollte Wirecard vor vermeintli­chen Attacken von Leerverkäu­fern schützen, verbot Spekulatio­nen auf fallende Kurse – und sendete damit das Signal an den Markt, bei Wirecard sei alles in Ordnung. Eine Geldwäsche­aufsicht gab es praktisch nicht, weil Zuständigk­eiten ungeklärt waren.

Die Abgeordnet­en sind überzeugt: Hier wurde ein System betrogen, das geradezu dazu aufrief. Dazu kamen namhafte Lobbyisten. Ex-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg setzte sich bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für Wirecard ein, ein früherer Geheimdien­stkoordina­tor im Kanzleramt, ein Ex-Polizeiprä­sident in Bayern.

Wer ist politisch verantwort­lich dafür, dass bei Aufsicht und Kontrolle der Wirecard AG so viel schief lief? Die Zeugenlist­e dazu liest sich wie das Who-is-Who des Bundeskabi­netts: am Dienstag Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär (CSU), am Mittwoch Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) und Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies, am Donnerstag Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) und am Freitag Kanzlerin Merkel.

Vor allem dem SPD-Kanzlerkan­didaten Scholz wird die Befragung kein halbes Jahr vor der Bundestags­wahl nicht gelegen kommen.„Die festgestel­lten Versäumnis­se laufen an einer zentralen Stelle zusammen, das ist die Bafin, und damit stellt sich auch die Frage der politische­n Verantwort­ung von Olaf Scholz und von seinen Staatssekr­etären“, sagt Finanzpoli­tiker Matthias Hauer (CDU). Das Finanzmini­sterium hat die Aufsicht über die Bafin. Hauer kritisiert aber auch Scholz persönlich, wenn er sagt: „Wir erleben einen Finanzmini­ster, der bei der Aufklärung auf der Bremse steht. Wir bräuchten eigentlich jemand, der aufs Gaspedal tritt.“

Altmaier muss sich der Befragung stellen, weil sein Ministeriu­m für die Wirtschaft­sprüferkam­mer Apas zuständig ist. Merkel wird befragt, weil sie sich – wohl beeinfluss­t von zu Guttenberg – bei einer China-Reise für Wirecard einsetzte.

Es geht um die Frage, wer die politische Verantwort­ung trägt.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Bundesfina­nzminister Olaf Scholz’ Aussage vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss wird mit besonderer Spannung erwartet. Sein Ministeriu­m trägt die Aufsicht über die in die Kritik geratene Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundesfina­nzminister Olaf Scholz’ Aussage vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss wird mit besonderer Spannung erwartet. Sein Ministeriu­m trägt die Aufsicht über die in die Kritik geratene Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin.

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