„Die Schweigespirale ist gebrochen“
Der scheidende Chef des Verfassungsschutzes analysiert die größten Gefahren für die Demokratie und die Folgen der Flüchtlingskrise.
Herr Albert, von welcher Seite geht derzeit die größte Gefahr für die Demokratie aus?
ALBERT Die größte Gefahr für die Demokratie kommt im Moment aus dem Rechtsextremismus. Das Gedankengut ist in den letzten Jahren über die sogenannten sozialen Medien in die Mitte der Gesellschaft eingesickert.
Was hat sich genau geändert?
ALBERT Bis vor einigen Jahren musste man, wenn man Kontakt zu Gedankengut wie Demokratie- und Elitenfeindschaft, Rassismus oder Antisemitismus haben wollte, in eine rechtsextremistische Veranstaltung gehen, ein rechtextremistisches Konzert besuchen oder entsprechende Schriften am Kiosk kaufen. Wenn ich heute in sozialen Medien entsprechende Stichworte eingebe, spülen mir die Algorithmen diese Dinge sofort auf mein Handy oder meinen PC. Wenn ich zu erkennen gebe, dass mich das interessiert, bekomme ich umso mehr davon. Ich muss mich nicht mehr aktiv darum bemühen.
Ist der Resonanzboden für dieses Denken in der Mitte der Gesellschaft deutlich größer geworden?
ALBERT Bis vor ein paar Jahren gab es eine Schweigespirale. Jeder wusste: Wenn ich mich rassistisch oder fremdenfeindlich äußere, führt das vor dem Hintergrund unserer Geschichte zur sozialen Isolation. Durch die sozialen Medien ist diese Schweigespirale gebrochen. Man hat das Gefühl: Ich bin nicht mehr allein, es sind ganz viele, die so denken wie ich.
Welche Rolle hat die Flüchtlingskrise von 2015/16 dabei gespielt?
ALBERT Die Flüchtlingskrise hat das gesellschaftliche Klima massiv verändert. Man hatte sich daran gewöhnt, dass der Staat sagt, wir müssen sparen, wir können die Schule nicht renovieren, die Straße nicht reparieren, die Sozialhilfe nicht erhöhen. Das hat man auch eingesehen. Plötzlich hat der Staat für eine Hilfsaktion, die aus meiner Sicht absolut notwendig war, Mittel scheinbar in Hülle und Fülle bereitgestellt. Dadurch entstand in einem großen Teil der Bevölkerung das Gefühl: Der Staat hat für mich und meine Familie nichts übrig, aber für die Fremden wird etwas getan.
Das hat sich ja dann auch im Parteienspektrum abgebildet, mit der AfD. Wird die Partei bald beobachtet?
ALBERT Die AfD ist als Gesamtpartei kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Was Bundesbehörden möglicherweise zur Beobachtung entschieden haben, bisher sind dazu ja nur Presseberichte öffentlich bekannt, werde ich nicht kommentieren.
Was entgegnen Sie auf den Vorwurf der AfD, der Verfassungsschutz werde für den Kampf gegen die AfD instrumentalisiert?
ALBERT Verfassungsschutzbehörden treffen keine politische Entscheidungen. Wir nehmen auch keine Aufträge von Politikern entgegen. Die Festlegung zum Beobachtungsobjekt ist in den Verfassungsschutzgesetzen geregelt. Das Gesetz nennt dafür klare Kriterien. Wenn diese von einer Organisation oder einer Partei erfüllt sind, ist die Beobachtung zwingend erforderlich. Eine Wahl besteht nur bei dem „Wie“der Beobachtung: Wenn sich die Organisation oder Partei nicht verstellt und hinter verschlossenen Türen genau so redet, wie es ihrer Agenda entspricht, wird man auf nachrichtendienstliche Mittel verzichten und sich auf die Auswertung von Internet-Veröffentlichungen
oder Reden beschränken können.
Sie sind ja schon seit 1993 im Geschäft. War der Rechtsextremismus aus Ihrer Sicht immer schon die größte Gefahr für die Demokratie?
erkennen konnten. Das war ein wesentlicher Beitrag zur Verhinderung eines schweren Terroranschlages in Deutschland. Das zweite Beispiel ist die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Radikalisierung wir mitverfolgen konnten. Als wir den Punkt sahen, dass er in den Terrorismus abdriftet, haben wir die Polizei informiert. Dieser ist es gelungen, den Mann festzunehmen, kurz bevor er einen Brandsatz in eine volle Diskothek in Neunkirchen schleudern konnte.
Sie haben selbst öfter in Moscheen mit Salafisten zusammengesessen. Was sollte das bringen?
ALBERT Dadurch ist es uns gelungen, Salafisten, die im Saarland in der großen Mehrheit politische Salafisten sind und Gewalt ablehnen, dafür zu gewinnen, gegen die Internetveröffentlichungen des Islamischen Staates anzupredigen. Es gibt einen messbaren Erfolg: Das Saarland ist das einzige Bundesland, aus dem niemand in den Dschihad nach Syrien oder Irak ausgereist ist. Ich glaube, wir haben auf diesem Weg Vieles verhindert.