Angriffe auf Polizei bei Corona-Party in Saarbrücken
Die Überlastung der Intensivstationen ist eines der entscheidenden Argumente für LockdownMaßnahmen. Gibt es dafür überhaupt objektive Kriterien, und wie ließe sich in Kliniken gegensteuern?
(SZ) Mitten in der bundesweiten Debatte um Ausgangssperren haben Bilder von 400 bis 500 Feiernden für Aufsehen gesorgt, die sich am Samstagabend auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken versammelt hatten. Laut Polizei habe dabei vor allem eine Gruppe von 30 bis 40 Fans des 1. FC Saarbrücken Einsatzkräfte beleidigt und mit Flaschen beworfen. Die Landesregierung verurteilte die Angriffe scharf:
„Gewalt und Beleidigungen jeglicher Art gegen unsere Einsatzkräfte und die Polizei dulden wir nicht“, sagte Regierungssprecher Alexander Zeyer. Vize-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) zeigte sich geschockt, „dass Ordnungshüter attackiert werden“. Die Saar-Jusos erklärten, die zuständigen Stellen seien mit der Umsetzung des Saarland-Modells wohl überfordert.
Bekanntlich sehen Krankenhaus-Experten und Ärzte die Lage auf den Intensivstationen im Saarland dramatischer als die Politik. Die Lage ist unübersichtlich. Die Saarbrücker Zeitung hat beim Gesundheitsministerium nachgehört und klärende Fakten zusammengetragen.
Sollten wieder mehr planbare Operationen verschoben werden, bis sich die Lage entspannt? Inwiefern hat das Ministerium Einfluss auf diese Klinik-intern getroffenen Entscheidungen?
Behandlungen zu verschieben, ist etwas, das im Alltagsgeschäft der Krankenhäuser aufgrund der Belegungssituation immer wieder vorkommt, auch außerhalb von Pandemiezeiten. Dies ist eine Aufgabe, die die Ärzte im Rahmen ihrer medizinischen Kompetenz und Verantwortung leisten können und müssen. Da es eine medizinische Entscheidung ist, kann und wird das Ministerium keinen Einfluss nehmen. Bettenfreihaltungen und Verschiebungen von Operationen ist Tagesgeschäft, da ja auch die Notfallversorgung stattfindet. Laut Einschätzung der Klinik-Experten in der Covid-Koordinierungsgruppe der Landesregierung haben die Verantwortlichen der Krankenhäuser gezeigt, dass sie innerhalb kürzester Zeit Betten freimachen können. Es besteht zudem die Verpflichtung, dass man in der Intensivmedizin pro Tag immer einen Covid-Patienten aufnehmen können muss.
Wie sieht es mit der vorsorglichen Sperrung von Intensivbetten für Covidpatienten aus?
In der ersten Pandemie-Phase wurde so verfahren. Doch aktuell lehnt die Koordinierungsgruppe diese Maßnahme grundsätzlich ab, wie aus einem internen Monitoringbericht der Landesregierung vom 15. April hervorgeht. Das Sperren von Betten verschärfe die Situation für die Non-Covid-Patienten, heißt es, denn es gebe wegen Corona einen Rückstau in der Patientenbehandlung. Patienten der Onkologie, der Gefäßchirurgie oder auch der Orthopädie, die als Schmerzpatienten versorgt werden müssten, seien, obwohl viele von Ihnen über einen Termin ins Krankenhaus kämen, im engeren Sinn keine „elektiven“Patienten. Sie hätten einen Leidensdruck. Vor diesem Hintergrund halten die Experten eine Bettensperrung in der Intensivmedizin für Corona-Patienten für „kontraproduktiv“.
Wenn von „Überlastung“der Intensivstationen gesprochen wird – gibt es dafür eine objektive Messgröße? Anders gefragt: Ab wann übernimmt auch das Ministerium die Sichtweise und die Formulierung, die derzeit vor allem Ärzte, Kliniken und Pflegepersonal in die Öffentlichkeit tragen?
Es gibt eine Messgröße. Im Krankenhausplan ist für die Intensivstationen ein durchschnittlicher Sollnutzungsgrad von 95 Prozent festgelegt. Wenn über eine längere Dauer dieser Sollnutzungsgrad erreicht ist, kann von einer Überlastung ausgegangen werden. Am Donnerstag lag der Auslastungswert der Intensivstationen bei rund 87 Prozent.
Eines der Kriterien, im Saarland die Ampel von Gelb auf Rot umzustellen, ist die Belegung der Intensivbetten. Wurde dafür eine Quote definiert?
Nein, laut Ministerium konnte keine Messgröße im Austausch mit den Ärzten der Koordinierungsgruppe festgelegt werden. Es würden eine erhebliche Anzahl von Kriterien zusammenspielen, die eher qualitativer Art und nicht quantitativer Art seien, heißt es.
Ab welcher Belegungs-Obergrenze der Intensivstationen wird eine Triage notwendig? Wer trifft dafür die Entscheidung und wo, in den Kliniken oder im Ministerium?
Diese Frage können nur Ärzte beantworten. Fest steht, ein Intensivbett
kann man nur einmal belegen. Es gibt allerdings Möglichkeiten – Verlegung in ein anderes Krankenhaus, in eine andere Intensivstation oder auf eine Normalstation. Diese Dinge werden individuell von den Ärzten entschieden.
Warum bleibt die Ampel auf gelb? Welche Argumente gibt es?
Im Monitoringbericht von Donnerstag findet sich Folgendes: Die Krankenhausauslastung hatte sich am Donnerstag im Vergleich zum
Vortag nicht verschärft. Die Zahl der belegten Intensivbetten lag bei 315 statt, wie am Vortag, bei 327, die Zahl der belegten Beatmungsplätze bei 152 statt bei 156. Auch nach dem DIVI-Register (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin) wurden mehr freie Betten (58) gemeldet im Vergleich zu 38 freien Betten am 14. April. Damit waren im Saarland – bundesweit gemessen – doppelt so viele Intensivbetten frei wie in anderen Ländern. Hinzu tritt, dass der Großteil des medizinischen Personals weiterhin, auch wegen bereits großflächig durchgeführter Impfungen, unvermindert einsatzfähig ist. Laut Monitoringbericht beläuft sich der Personalausfall auf 4,86 Prozent (inklusive Verwaltung).
Wöchentlich führt ein unabhängiges Gremium ein „Monitoring“durch, um die Kennzahlen für die „Ampel“im Auge zu behalten. Wer gehört diesem Gremium namentlich an?
Am Monitoring sind unter anderem beteiligt: Dr. Christian Braun ( Winterberg Klinikum Saarbrücken), Prof. Dr. Wolfgang Reith (Uni Klinik Homburg, UKS), Prof. Dr. Michael Zemlin (UKS), Prof. Dr. Philipp Lepper (UKS-Pneumologie), Dr. Jürgen Rissland und Prof. Dr. Sigrun Smola (UKS-Virologie), Prof. Dr. Thorsten Lehr (UKS-Pharmazie), Prof. Dr. Sören Becker (UKS Leiter des Landeskompetenzzentrums Infektionsepidemiologie), Uwe Schlotthauer (Zentrale Datenstelle UKS), Dr. Thomas Schlechtriemen (Leitung Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Saar) und Dr. Josef Mischo (Ärztekammer). Seitens des Ministeriums nimmt neben Vertretern der Fachabteilungen Staatssekretär Stephan Kolling (CDU) teil.