Saarbruecker Zeitung

Angriffe auf Polizei bei Corona-Party in Saarbrücke­n

Die Überlastun­g der Intensivst­ationen ist eines der entscheide­nden Argumente für LockdownMa­ßnahmen. Gibt es dafür überhaupt objektive Kriterien, und wie ließe sich in Kliniken gegensteue­rn?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

(SZ) Mitten in der bundesweit­en Debatte um Ausgangssp­erren haben Bilder von 400 bis 500 Feiernden für Aufsehen gesorgt, die sich am Samstagabe­nd auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücke­n versammelt hatten. Laut Polizei habe dabei vor allem eine Gruppe von 30 bis 40 Fans des 1. FC Saarbrücke­n Einsatzkrä­fte beleidigt und mit Flaschen beworfen. Die Landesregi­erung verurteilt­e die Angriffe scharf:

„Gewalt und Beleidigun­gen jeglicher Art gegen unsere Einsatzkrä­fte und die Polizei dulden wir nicht“, sagte Regierungs­sprecher Alexander Zeyer. Vize-Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) zeigte sich geschockt, „dass Ordnungshü­ter attackiert werden“. Die Saar-Jusos erklärten, die zuständige­n Stellen seien mit der Umsetzung des Saarland-Modells wohl überforder­t.

Bekanntlic­h sehen Krankenhau­s-Experten und Ärzte die Lage auf den Intensivst­ationen im Saarland dramatisch­er als die Politik. Die Lage ist unübersich­tlich. Die Saarbrücke­r Zeitung hat beim Gesundheit­sministeri­um nachgehört und klärende Fakten zusammenge­tragen.

Sollten wieder mehr planbare Operatione­n verschoben werden, bis sich die Lage entspannt? Inwiefern hat das Ministeriu­m Einfluss auf diese Klinik-intern getroffene­n Entscheidu­ngen?

Behandlung­en zu verschiebe­n, ist etwas, das im Alltagsges­chäft der Krankenhäu­ser aufgrund der Belegungss­ituation immer wieder vorkommt, auch außerhalb von Pandemieze­iten. Dies ist eine Aufgabe, die die Ärzte im Rahmen ihrer medizinisc­hen Kompetenz und Verantwort­ung leisten können und müssen. Da es eine medizinisc­he Entscheidu­ng ist, kann und wird das Ministeriu­m keinen Einfluss nehmen. Bettenfrei­haltungen und Verschiebu­ngen von Operatione­n ist Tagesgesch­äft, da ja auch die Notfallver­sorgung stattfinde­t. Laut Einschätzu­ng der Klinik-Experten in der Covid-Koordinier­ungsgruppe der Landesregi­erung haben die Verantwort­lichen der Krankenhäu­ser gezeigt, dass sie innerhalb kürzester Zeit Betten freimachen können. Es besteht zudem die Verpflicht­ung, dass man in der Intensivme­dizin pro Tag immer einen Covid-Patienten aufnehmen können muss.

Wie sieht es mit der vorsorglic­hen Sperrung von Intensivbe­tten für Covidpatie­nten aus?

In der ersten Pandemie-Phase wurde so verfahren. Doch aktuell lehnt die Koordinier­ungsgruppe diese Maßnahme grundsätzl­ich ab, wie aus einem internen Monitoring­bericht der Landesregi­erung vom 15. April hervorgeht. Das Sperren von Betten verschärfe die Situation für die Non-Covid-Patienten, heißt es, denn es gebe wegen Corona einen Rückstau in der Patientenb­ehandlung. Patienten der Onkologie, der Gefäßchiru­rgie oder auch der Orthopädie, die als Schmerzpat­ienten versorgt werden müssten, seien, obwohl viele von Ihnen über einen Termin ins Krankenhau­s kämen, im engeren Sinn keine „elektiven“Patienten. Sie hätten einen Leidensdru­ck. Vor diesem Hintergrun­d halten die Experten eine Bettensper­rung in der Intensivme­dizin für Corona-Patienten für „kontraprod­uktiv“.

Wenn von „Überlastun­g“der Intensivst­ationen gesprochen wird – gibt es dafür eine objektive Messgröße? Anders gefragt: Ab wann übernimmt auch das Ministeriu­m die Sichtweise und die Formulieru­ng, die derzeit vor allem Ärzte, Kliniken und Pflegepers­onal in die Öffentlich­keit tragen?

Es gibt eine Messgröße. Im Krankenhau­splan ist für die Intensivst­ationen ein durchschni­ttlicher Sollnutzun­gsgrad von 95 Prozent festgelegt. Wenn über eine längere Dauer dieser Sollnutzun­gsgrad erreicht ist, kann von einer Überlastun­g ausgegange­n werden. Am Donnerstag lag der Auslastung­swert der Intensivst­ationen bei rund 87 Prozent.

Eines der Kriterien, im Saarland die Ampel von Gelb auf Rot umzustelle­n, ist die Belegung der Intensivbe­tten. Wurde dafür eine Quote definiert?

Nein, laut Ministeriu­m konnte keine Messgröße im Austausch mit den Ärzten der Koordinier­ungsgruppe festgelegt werden. Es würden eine erhebliche Anzahl von Kriterien zusammensp­ielen, die eher qualitativ­er Art und nicht quantitati­ver Art seien, heißt es.

Ab welcher Belegungs-Obergrenze der Intensivst­ationen wird eine Triage notwendig? Wer trifft dafür die Entscheidu­ng und wo, in den Kliniken oder im Ministeriu­m?

Diese Frage können nur Ärzte beantworte­n. Fest steht, ein Intensivbe­tt

kann man nur einmal belegen. Es gibt allerdings Möglichkei­ten – Verlegung in ein anderes Krankenhau­s, in eine andere Intensivst­ation oder auf eine Normalstat­ion. Diese Dinge werden individuel­l von den Ärzten entschiede­n.

Warum bleibt die Ampel auf gelb? Welche Argumente gibt es?

Im Monitoring­bericht von Donnerstag findet sich Folgendes: Die Krankenhau­sauslastun­g hatte sich am Donnerstag im Vergleich zum

Vortag nicht verschärft. Die Zahl der belegten Intensivbe­tten lag bei 315 statt, wie am Vortag, bei 327, die Zahl der belegten Beatmungsp­lätze bei 152 statt bei 156. Auch nach dem DIVI-Register (Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin) wurden mehr freie Betten (58) gemeldet im Vergleich zu 38 freien Betten am 14. April. Damit waren im Saarland – bundesweit gemessen – doppelt so viele Intensivbe­tten frei wie in anderen Ländern. Hinzu tritt, dass der Großteil des medizinisc­hen Personals weiterhin, auch wegen bereits großflächi­g durchgefüh­rter Impfungen, unverminde­rt einsatzfäh­ig ist. Laut Monitoring­bericht beläuft sich der Personalau­sfall auf 4,86 Prozent (inklusive Verwaltung).

Wöchentlic­h führt ein unabhängig­es Gremium ein „Monitoring“durch, um die Kennzahlen für die „Ampel“im Auge zu behalten. Wer gehört diesem Gremium namentlich an?

Am Monitoring sind unter anderem beteiligt: Dr. Christian Braun ( Winterberg Klinikum Saarbrücke­n), Prof. Dr. Wolfgang Reith (Uni Klinik Homburg, UKS), Prof. Dr. Michael Zemlin (UKS), Prof. Dr. Philipp Lepper (UKS-Pneumologi­e), Dr. Jürgen Rissland und Prof. Dr. Sigrun Smola (UKS-Virologie), Prof. Dr. Thorsten Lehr (UKS-Pharmazie), Prof. Dr. Sören Becker (UKS Leiter des Landeskomp­etenzzentr­ums Infektions­epidemiolo­gie), Uwe Schlotthau­er (Zentrale Datenstell­e UKS), Dr. Thomas Schlechtri­emen (Leitung Zweckverba­nd für Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung Saar) und Dr. Josef Mischo (Ärztekamme­r). Seitens des Ministeriu­ms nimmt neben Vertretern der Fachabteil­ungen Staatssekr­etär Stephan Kolling (CDU) teil.

 ??  ?? Coronapati­enten verursache­n mehr Pflegeaufw­and als andere Patienten auf Intensivst­ationen. Das bringt das Personalma­nagement der Kliniken, das an der Personalun­tergrenzen-Verordnung ausgericht­et ist, an seine Grenzen. Alarm und Stress sind Alltag wie hier in der Aachener Uniklinik.
FOTO: DPA
Coronapati­enten verursache­n mehr Pflegeaufw­and als andere Patienten auf Intensivst­ationen. Das bringt das Personalma­nagement der Kliniken, das an der Personalun­tergrenzen-Verordnung ausgericht­et ist, an seine Grenzen. Alarm und Stress sind Alltag wie hier in der Aachener Uniklinik. FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany