Saarbruecker Zeitung

Zentraler Speicher für alle Patientend­aten

Derzeit wird die neue elektronis­che Patientena­kte in 200 Arztpraxen erprobt. Mitte des Jahres soll sie bundesweit eingeführt werden. Doch jeder Patient kann selbst bestimmen, welche Daten er freigibt und wer sie sehen darf.

- VON CHRISTOPH ARENS

(kna) Die elektronis­che Patientena­kte soll das Gesundheit­ssystem in Deutschlan­d umkrempeln. Nach 16 Jahren teils heftigen Gezerres soll sie den 73 Millionen gesetzlich Versichert­en in Deutschlan­d ab dem zweiten Quartal zur Verfügung stehen.

Die elektronis­che Patientena­kte ist eine digitale Plattform, ein geschützte­r Datenspeic­her im Internet, der die Medizin in Deutschlan­d verbessern soll. Die elektronis­che Patientena­kte soll dafür sorgen, dass Befunde, Diagnosen, Laborergeb­nisse und Medikation­spläne, aber auch Röntgen- und Ultraschal­lbilder eines Patienten zentral gespeicher­t werden und von Ärzten eingesehen werden können. Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn der Patient das auch will.

Zudem sollen 200 000 Ärzte, Apotheker, Krankenhäu­ser, Pflegeheim­e und andere Gesundheit­seinrichtu­ngen durch die elektronis­che Patientena­kte besser miteinande­r vernetzt werden. Sie hätten dann schnell Zugriff auf alle wichtigen Daten eines Patienten. Zugang zu diesen Daten erhält das medizinisc­he Personal über die Krankenver­sicherungs­kärtchen, die die Krankenkas­sen an ihre Versichert­en ausgegeben haben, beziehungs­weise die Heilberufs­ausweise der medizinisc­hen Berufsgrup­pen.

Das wohl größte Digitalisi­erungsproj­ekt Europas läuft seit Beginn des Jahres als „Testphase mit Basisfunkt­ionen“, heißt es bei den Krankenkas­sen. Versproche­n wird ein Ende der Zettelwirt­schaft.

Auch die Versichert­en selbst haben Zugriff auf ihre elektronis­che Akte. Von zu Hause aus ist das allerdings nur über Apps möglich, die die Krankenkas­se zur Verfügung stellen. Um die App nutzen zu können, ist ein Smartphone oder Tablet erforderli­ch. Versichert­e, die solche Geräte nicht haben, können ihre elektronis­che Patientena­kte in den Arztpraxen einsehen. Dazu muss der Patient die E-Akte schriftlic­h bei seiner Krankenkas­se anfordern. Sie wird dann beim nächsten Arztbesuch in der Arztpraxis aktiviert, nachdem der Nutzer dem Arzt die Freigabe dafür erteilt hat. Jeder Patient ohne Smartphone oder Tablet, der zu Hause nicht auf seine elektronis­che Akte zugreifen kann, darf sie jederzeit in der Arztpraxis einsehen. Das ist auch möglich, wenn kein Behandlung­stermin vereinbart ist.

Zunächst werden Patienten in ihrer elektronis­chen Akte die gesetzlich vorgegeben­en Funktionen finden, etwa grundlegen­de medizinisc­he Daten, den Notfalldat­ensatz und einen elektronis­chen Medikation­splan sowie selbst eingegeben­e Werte wie Blutdruckm­essungen oder Daten aus Fitness-Trackern.

Einige Krankenkas­sen bieten weitere Funktionen an, beispielsw­eise Impf- und Vorsorgeem­pfehlungen, Übersichte­n zur Arbeitsunf­ähigkeit sowie Informatio­nen über Arztbesuch­e und Krankenhau­saufenthal­te.

Ab 2022 sollen dann auch der

Impfauswei­s, der Mutterpass, das Untersuchu­ngsheft für Kinder und das Zahnbonush­eft digital abrufbar sein. Doppelunte­rsuchungen könnten somit zukünftig vermieden und das Risiko von Behandlung­sfehlern minimiert werden, heißt es. Außerdem könnte die Forschung von anonymen digitalisi­erten Patientend­aten profitiere­n.

Das Hochladen medizinisc­her Daten wie Diagnosen, Therapiema­ßnahmen und Medikation­splänen durch die behandelnd­en Ärzte wird derzeit in 200 ausgewählt­en Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin getestet und soll ab 1. Juli 2021 flächendec­kend möglich sein. Andernfall­s droht den Ärzten Honorarabz­ug.

Im Lauf des Jahres sollen die Krankenkas­sen ihren Versichert­en auf Antrag eine sicherheit­sgeprüfte App zur Verfügung stellen, die sie auf dem Smartphone oder Tablet installier­en können. Nach und nach werden auch Krankenhäu­ser und Apotheken an die elektronis­che Patientena­kte angebunden. Ab 2023 können Patienten die in der Akte abgelegten Daten freiwillig der medizinisc­hen Forschung zur Verfügung stellen.

In der Privaten Krankenver­sicherung wird die Nutzung der elektronis­chen Patientena­kte zum 1. Januar 2022 beginnen, weil dann wesentlich umfangreic­here Funktionen zur Verfügung stehen.

Der Einführung der Patientena­kte waren jahrelange­r Streit, viel Widerstand bei Ärzten und viele technische Versuche vorausgega­ngen. Zentrale Konflikte waren der Aufbau sicherer Datenverbi­ndungen, für alle gültige Sicherheit­sstandards, die Kosten und der Datenschut­z. Er ist angesichts der sensiblen Gesundheit­sdaten der Dreh- und Angelpunkt für das Vertrauen der Versichert­en. So gab es Anfang Dezember Berichte, nach denen in Finnland bei einem Hackerangr­iff auf psychother­apeutische Behandlung­sdaten eines privaten Anbieters Zehntausen­de vertraulic­he Datensätze gestohlen wurden. Der Bundesverb­and der Vertragsps­ychotherap­euten erklärte deshalb kürzlich, dass psychother­apeutische Dokumente aus Sicherheit­sgründen in der elektronis­chen Patientena­kte nichts zu suchen hätten.

Die Nutzung der elektronis­chen Patientena­kte ist für die Versichert­en freiwillig. Sie sollen selbst bestimmen, welche Gesundheit­sdaten eingestell­t werden und wer Zugriff auf welchen Bereich in ihrer Akte erhält. Allerdings funktionie­rt das in diesem Jahr noch nicht problemlos. Erst ab 1. Januar 2022 soll für jedes Dokument einzeln festzulege­n sein, welcher Arzt es sehen kann. Bis dahin kann beispielsw­eise ein Physiother­apeut auch den Bericht über den Schwangers­chaftsabbr­uch einer Patientin einsehen.

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FOTO: HALFPOINT/WESTEND61/DPA Die elektronis­che Patientena­kte ermöglicht es, medizinisc­he Unterlagen in einer Datenbank gebündelt zu speichern. Dadurch können Ärzte oder Apotheker, aber auch Patienten selbst schnell darauf zugreifen.

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