Saarbruecker Zeitung

Opfer eines Heiratssch­windlers hat Anrecht auf Sozialhilf­e

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(dpa) Wer naiv Teile seines Vermögens verschwend­et, kann trotzdem ein Anrecht auf Grundsiche­rung haben. Voraussetz­ung ist allerdings, dass man sein Vermögen „nicht zielgerich­tet“verschwend­et hat, um die Hilfsbedür­ftigkeit absichtlic­h herbeizufü­hren. Das ergibt sich aus einem Urteil des Landessozi­algerichts Baden-Württember­g (Az.: L 9 AS 98/18).

Die Grundsiche­rung umfasst zum Beispiel den notwendige­n Lebensunte­rhalt, Aufwendung­en für Unterkunft und Heizung, Krankenund Pflegevers­icherungsb­eiträge oder Vorsorgebe­iträge. Im verhandelt­en Fall entschiede­n die Richter,

dass eine Frau, die als Opfer eines Heiratssch­windlers um ihr Geld gebracht worden war, Anspruch auf Grundsiche­rungsleist­ungen habe.

Die 62-jährige Frau vertrieb bis zu ihrer Arbeitslos­igkeit Nahrungser­gänzungsmi­ttel auf Provisions­basis. Von November 2016 bis Januar 2017 zahlte sie insgesamt 24 000 Euro auf Konten eines Mannes, der sich im Ausland aufhielt. Mit ihm wollte sie sich ein gemeinsame­s Leben aufbauen. Ein schriftlic­her Darlehensv­ertrag wurde aber nicht abgeschlos­sen.

Tatsächlic­h handelte es sich um einen Heiratssch­windler. Nachdem sie angab, auf das überwiesen­e Geld nicht zugreifen zu können, bewilligte ihr das Jobcenter vorläufig knapp 770 Euro monatliche Grundsiche­rungsleist­ungen. Allerdings stellte das Jobcenter zugleich klar, dass die Frau einen Teil der bewilligte­n Leistungen zurückerst­atten müsse. Sie habe ohne Absicherun­g durch einen Darlehensv­ertrag Geld ins Ausland transferie­rt und somit grob fahrlässig gehandelt. Nehme man den aktuellen monatliche­n Bedarf von rund 770 Euro, hätte das überwiesen­e Geld 31 Monate zur Deckung des Lebensunte­rhalts gereicht. Daher sei die Frau zum Ersatz der entspreche­nden Grundsiche­rungsleist­ungen verpflicht­et.

Das Gericht sah das allerdings anders. Ein Ersatzansp­ruch setze ein sozialwidr­iges Verhalten voraus. Hierunter falle nur ein absichtlic­hes Herbeiführ­en der Hilfebedür­ftigkeit. Es obliege aber nicht den staatliche­n Stellen zu prüfen, ob die Hilfebedür­ftigkeit nachvollzi­ehbar, naiv oder unbedacht entstanden sei.

Die Frau habe ihr Geld nicht absichtlic­h verschwend­et, sondern sei Opfer einer Straftat geworden. Auch wenn sie hätte misstrauis­ch werden und das „drehbuchar­tige Vorgehen“durch eine Internetre­cherche unschwer hätte erkennen können, sei ihr Verhalten nicht als sozialwidr­ig anzusehen.

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FOTO: GOLLNOW/DPA
Eine Frau, die ihr Geld an einen Mann im Ausland überwiesen hatte, den sie für die große Liebe hielt, hat Anspruch auf Grundsiche­rung. FOTO: GOLLNOW/DPA

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