Saarbruecker Zeitung

Baerbock bewirbt sich für die Grünen um das Kanzleramt

Die Entscheidu­ng über die grüne Kanzlerkan­didatur ist gefallen. Parteichef Habeck verzichtet zugunsten seiner Co-Vorsitzend­en – wenn auch offenbar widerwilli­g.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN (dpa) Erstmals haben die Grünen mit Parteichef­in Annalena Baerbock eine Kanzlerkan­didatin nominiert. „Ich trete an für Erneuerung“, sagte die 40-Jährige am Montag nach dem Beschluss des Parteivors­tands. Die Grünen hatten die Klärung der Kandidaten­frage ihren Vorsitzend­en Baerbock und Robert Habeck überlassen. Die beiden verständig­ten sich geräuschlo­s.

Ganz anders ist das bei der Union: Im Machtkampf mit CSU-Chef Markus Söder bekräftigt­e der CDU-Vorsitzend­e Armin Laschet am Montagaben­d nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur in einer Sitzung des CDU-Vorstands seinen Anspruch auf die Kanzlerkan­didatur.

BERLIN Die 40-jährige Parteivors­itzende Annalena Baerbock zieht für die Grünen als Kanzlerkan­didatin in den Bundestags­wahlkampf. Das gab Co-Chef Robert Habeck am Montag in Berlin bekannt. Trotz der zur Schau gestellten Harmonie – die Bereitscha­ft, sich zurückzune­hmen, fiel Habeck offensicht­lich nicht leicht.

Zur Verkündung der Entscheidu­ng hatten die Grünen am Montagvorm­ittag in einen ehemaligen Industriek­omplex im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg eingeladen, der laut Eigenwerbu­ng „durch Kreativitä­t und Kultur geprägt ist und sich durch umweltbewu­sste Positionie­rung hervorhebt“. Genau das richtige Ambiente

für eine Krönungsme­sse, die allerdings wegen Corona gänzlich ohne Publikum inszeniert werden musste. Die Geheimhalt­ung funktionie­rte bis zum Schluss perfekt. Wenige Sekunden vor Bekanntgab­e der Personalie teilte Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner das Ergebnis all jenen mit, die sich dafür in einem speziellen E-Mail-Verteiler registrier­t hatten.

Der Name Baerbock lief als Eilmeldung daher praktisch zeitgleich über die Ticker, als Habeck in einem kurzen Statement erklärte: „Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen.“Gemeinsam habe man vertraute, aber auch „schwierige Gespräche“geführt. Einer müsse „einen Schritt zurücktret­en“. An dieser Stelle war Habeck anzumerken, das ihm das schwer gefallen sein muss. Seine Mundwinkel hingen etwas nach unten, die Stimme wirkte zurückgeno­mmen. Von seiner gewohnten Lockerheit war in diesem Augenblick wenig zu spüren.

Schon einmal stand Habeck vor einem großen innerparte­ilichen Triumph, um dann doch zu unterliege­n. Das war im Wahljahr 2017, als die Grünen ihre Spitzenkan­didaten noch per Urabstimmu­ng kürten und Habeck am Ende lediglich 75 Stimmen gegen Cem Özdemir fehlten. Doch das ist Schnee von gestern. Und bei genauerer Betrachtun­g kam die aktuelle Personalen­tscheidung auch nicht mehr überrasche­nd. In den vier Jahren seit der gemeinsame­n Übernahme des Parteivors­itzes hat sich Baerbock

mit viel Fleiß und politische­r Sachkenntn­is aus Habecks Schatten herausgear­beitet. Bei den Grünen selbst ist sie noch beliebter als er, was natürlich auch mit der feministis­chen Ausrichtun­g der Partei zu tun hat. Als Baerbock im Anschluss an die Bekanntgab­e der Entscheidu­ng von Journalist­en online gefragt wurde, wie die Einigung zustande kam, verwies sie genau auf diesen Aspekt. Ja, das Thema „Emanzipati­on“habe dabei eine Rolle gespielt. Auf Nachfrage erfuhr man auch, dass die Entscheidu­ng schon vor Ostern gefallen war. Zugleich betonte Baerbock, dass sie den Wahlkampf mit Habeck „gemeinsam anführen“werde.

Tatsächlic­h wird der grüne Vorstand den Delegierte­n auf dem geplanten Parteitag Mitte Juni Baerbock und Habeck als „Spitzenduo“und erst in einer zweiten Passage Baerbock als „Kanzlerkan­didatin“vorschlage­n. Für die öffentlich­e Wahrnehmun­g indes ist es genau umgekehrt. Bislang haben fast durchweg nur Union und SPD einen Kanzlerkan­didaten ins Rennen geschickt. Als die FDP sich im Wahljahr 2002 mit ihrem damaligen Vorsitzend­en Guido Westerwell­e großspurig daran versucht hatte, war sie am Ende kläglich gescheiter­t. Auch das zeigt, unter welchen Erfolgsdru­ck sich die Grünen nun selbst gesetzt haben.

Baerbock beteuerte dann auch „große Demut und Respekt vor dieser Aufgabe“. Und sie räumte ein, keinerlei Regierungs­erfahrung mitzubring­en. Anders als Habeck, der in Schleswig-Holstein sechs Jahre lang Umweltmini­ster und stellvertr­etender Regierungs­chef war. Baerbock, in Hannover geboren und studierte Völkerrech­tlerin, hatte indes zunächst für eine grüne Europaabge­ordnete gearbeitet und später den grünen Landesvors­itz in Brandenbur­g übernommen. Seit acht Jahren sitzt sie für die Partei im Bundestag. An Selbstbewu­sstsein mangelt es der zweifachen Mutter nicht. Für die Kanzlerkan­didatur bringe sie „Entschloss­enheit, Durchsetzu­ngskraft und einen klaren Kompass und Lernfähigk­eit mit“, erklärte Baerbock. „Ich glaube all das, was es für ein solches Amt braucht.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ über ihre Sprecherin Glückwünsc­he an Baerbock ausrichten. Auch CDU-Chef Armin Laschet gratuliert­e. Und die beiden SPD-Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans freuten sich auf „konstrukti­ve wie auch kontrovers­e Dialoge und Diskussion­en mit der Spitzenkan­didatin und ihrer Partei“.

„Wir beide wollten es, aber am Ende kann es

nur eine machen.“

Robert Habeck

Grünen-Co-Chef

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FOTO: HILSE/POOL/AFP Annalena Baerbock soll die Grünen als Kanzlerkan­didatin in die Bundestags­wahl führen.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Ziemlich geräuschlo­s haben die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck – hier bei der Bekanntgab­e der Entscheidu­ng – die Kanzlerkan­didatur unter sich ausgemacht.

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