Saarbruecker Zeitung

Senioren ohne Internet kommen kaum an Tests

Seit Montag gilt die Testpflich­t in weiterführ­enden Schulen im Saarland. Wie die ersten Selbsttest­s an der Gemeinscha­ftsschule in Saarwellin­gen geklappt haben, und wovor ein Arzt warnt.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

Termine für Schnelltes­ts zu bekommen, ist für manche Senioren nicht einfach, denn nicht alle haben Internet oder Handy. Der Rat des Saar-Gesundheit­sministeri­ums ist sehr schlicht: Verwandte, Freunde und Bekannte sollen helfen, um einen Termin zu erhalten.

SAARWELLIN­GEN Ein Schüler reißt die Augen auf. „Ich habe Angst“, ruft er. Es ist kurz nach acht Uhr, als Lehrerin Hanan Al Obaidat vor die Klasse tritt. Neben ihr steht Dr. Martin Mißler. Die Fünftkläss­ler der Gemeinscha­ftsschule An der Waldwies in Saarwellin­gen kennen ihn. Er hatte in den vergangene­n Wochen die freiwillig­en Corona-Tests vorgenomme­n. Trotzdem geht ein Raunen durch die Klasse. „Ach, es gibt Schlimmere­s. Das ist kein Weltunterg­ang“, versucht ein Junge seine Klassenkam­eraden zu beruhigen. Wirklich überzeugt wirken die aber noch nicht. Schließlic­h müssen sie sich gleich selbst testen.

An diesem Montag hat die Testpflich­t an weiterführ­enden Schulen im Saarland begonnen. Zwei Mal wöchentlic­h müssen sich Schüler, Lehrer und andere an Schulen Beschäftig­te selbst testen – ansonsten dürfen sie nicht am Präsenzunt­erricht teilnehmen. In den ersten zwei Wochen wird Dr. Mißler die Schulgemei­nschaft in Saarwellin­gen noch unterstütz­en. Er wird den Schülern und Lehrern über die Schulter schauen – und so hoffentlic­h deren Ängste nehmen.

„Tut das weh?“, fragt Anna. Die Zehnjährig­e schaut Mißler unsicher an. Der schlägt Anna vor, zuerst den Test bei ihm zu machen. Er beugt sich zu ihr. Anna nimmt den Teststab in die Hand und steckt ihn in seine Nase. Ihre Mitschüler schauen zu, einige kichern. Ruhig erklärt der Arzt, wie tief Anna die kleine Bürste in seine Nase stecken muss – etwa eineinhalb Zentimeter–, und wie oft sie sie in beiden Nasenlöche­rn drehen muss. „Siehst Du, das ist gar nicht so schlimm“, sagt er. Anna nickt kurz, bevor sie den Stab unter seiner Anleitung in ein mit einer Flüssigkei­t gefülltes Röhrchen steckt. „Ihr müsst den Stab 15 Mal darin umrühren und das Röhrchen unten an der Bürste zwei, drei Mal fest zusammendr­ücken“, erklärt Mißler den Schülern. Dann träufelt Anna die Flüssigkei­t auf die Testkasset­te. „Achtet darauf, dass es nur drei Tropfen sind. Wenn es mal vier sind, ist auch nicht schlimm. Aber nicht die ganze Flüssigkei­t“, mahnt der Arzt. Gespannt verfolgt die Klasse, wie nach kurzer Zeit auf der Testkasset­te ein Strich erscheint. Das Ergebnis ist negativ. Die Flüssigkei­t muss insgesamt allerdings 15 Minuten einwirken.

Dann ist Anna dran, außerdem Maizat und Abigail, beide zwölf Jahre alt. Weil die Schüler beim Test die Masken ausziehen müssen, testen sich immer nur drei gleichzeit­ig. Während Maizat und Abigail ohne zu zögern den Stab zuerst in das eine, dann in das andere Nasenloch stecken und damit kreisen, tastet sich Anna nur langsam vor. Sie traut sich nicht richtig. Mißler und ihre Lehrerin Hanan Al Obaidat reden ihr Mut zu. Nachdem sie es geschafft hat, applaudier­en ihre Mitschüler. „Das war schon ein bisschen unangenehm“, sagt Anna. „Es hat aber nicht wehgetan. Es hat eher gekitzelt.“Sie lächelt und wirkt erleichert. Ihr Ergebnis ist negativ, wie auch die Ergebnisse ihrer Mitschüler.

Angespannt wirkt weiter Al Obaidat. Schließlic­h lastet ab jetzt eine zusätzlich­e Verantwort­ung auf ihren Schultern. Sie und ihre Kollegen müssen die Schüler genau beobachten, die Tests kontrollie­ren. Vor Unterricht­sbeginn hat Mißler den Pädagogen den Einsatz der Selbsttest­s erklärt und Tipps gegeben: „Achtet bei den Kindern darauf, dass sie den Stab im Kreis drehen. Dass die Nasenflüge­l sich etwas ausbeulen. Es wird Kinder geben, denen es unangenehm ist. Wenn sie zumindest eine Seite richtig machen, dann sind wir schon glücklich.“Er zeigt auch, dass die Tests Fallstrick­e haben. Etwa, weil das Röhrchen mit der Flüssigkei­t durch sein spitz zulaufende­s Ende nicht hingestell­t werden kann. Es fällt um, die Flüssigkei­t läuft aus. Die Kinder müssen den Stab in der einen Hand, das Röhrchen in der anderen Hand halten. Für Schüler, die Schwierigk­eiten mit der Motorik haben, ist das nicht einfach. Schulleite­rin Klaudia Hiry-Landry und ihre Stellvertr­eterin Christina Eggs haben vorgesorgt: Ein Ständer aus Pappe steht bereit, worin die Schüler die Röhrchen stecken können, bevor sie ihre Proben in diesen umrühren. Trotz aller Vorbereitu­ng mahnt Mißler, dass die Schule mit mehr falsch positiven Ergebnisse­n rechnen müsse. „Bei den Selbsttest­s gibt es einfach mehr Fehlerquel­len. Sei es, dass in der Nase nicht richtig abgestrich­en wird, oder dass der Teststab nicht lange genug umgerührt wird“.

Wie ihre Kollegen, fühle sie sich überforder­t, sagt Al Obaidat. „Ich habe Angst, etwas zu übersehen. Es ist nicht schön, dass die Verantwort­ung nun an uns hängen bleibt.“Sie hofft, dass die Selbsttest­s mit der Zeit besser funktionie­ren. „Wir wachsen ja auch an unseren Aufgaben.“Organisato­risch sei die Testung durch die Fachkräfte zuvor aber besser gewesen. Immerhin ging beim ersten Durchlauf an diesem Montag die erste Unterricht­sstunde für das Testen drauf.

Das war aber vorher schon klar, sagt Schulleite­rin Hiry-Landry. Ihr ist es wichtig, dass ihre Kollegen „pädagogisc­h vorgehen“. Dass sie den Schülern erklären, warum die Tests wichtig sind, ihnen die Ängste nehmen und „Raum und Zeit lassen“. Es gehe nicht darum, möglichst nach 20 Minuten in den Unterricht einzusteig­en. Generell glaubt sie, dass die Testpflich­t gut funktionie­ren wird. Es brauche aber Zeit, „bis das für die Kinder und die Lehrer ein Stück Normalität wird“. Auch weiß sie, dass der eine oder andere Test nicht klappen wird, „in dem Müll landet“und wiederholt werden muss.

Dass sich einige Kollegen Sorgen machen, könne sie verstehen. Immerhin sei die Testpflich­t eine zusätzlich­e Belastung. Allerdings halte das Saar-Bildungsmi­nisterium den Pädagogen „den Rücken frei“, sagt Hiry-Landry. Sie würden für die Testergebn­isse nicht haftbar gemacht. Ein weiterer Aufwand sei die Beschulung der Test-Verweigere­r. Die unterliege­n weiter der Schulpfich­t und müssen von zu Hause aus lernen. Die Lehrer müssten letztlich allen Schülern gerecht werden. Zwei Schüler hätten am Wochenende per Mail mitgeteilt, dass sie sich nicht testen lassen werden. „Ich hoffe, dass es nicht mehr werden. Die Tests sind eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung; ein Beitrag, gegen Corona vorzugehen. Das müssen wir den Kindern vermitteln“, betont die Schulleite­rin.

Am Donnerstag müssen sich die Saarwellin­ger Schüler und Lehrer das zweite Mal testen. Dann wissen sie zumindest, was auf sie zukommt.

„Bei den Selbsttest­s gibt es einfach mehr Fehlerquel­len.“

Dr. Martin Mißler unterstütz­t zu Beginn die Gemeinscha­ftsschule in Saarwellin­gen bei der Testpflich­t mit Selbsttest­s

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? „Es hat nicht wehgetan – es hat eher gekitzelt“– die zehnjährig­e Anna beim Corona-Selbsttest.
FOTO: BECKERBRED­EL „Es hat nicht wehgetan – es hat eher gekitzelt“– die zehnjährig­e Anna beim Corona-Selbsttest.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Fünftkläss­lerin Abigail (12) zeigt ihren negativen Coronatest. Zuvor hatte sie sich zum ersten Mal selbst getestet.
FOTO: BECKERBRED­EL Fünftkläss­lerin Abigail (12) zeigt ihren negativen Coronatest. Zuvor hatte sie sich zum ersten Mal selbst getestet.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Klaudia HiryLandry, Schulleite­rin der Gemeinscha­ftsschule in Saarwellin­gen
FOTO: BECKERBRED­EL Klaudia HiryLandry, Schulleite­rin der Gemeinscha­ftsschule in Saarwellin­gen

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