Immer mehr Vermisste im Saarland
Die Zahl der Vermissten im Saarland hat sich seit 2011 im Jahresvergleich mehr als verdoppelt. Doch wie viele Menschen kehren wohlbehalten zurück?
Die Zahl der vermissten Menschen im Saarland steigt seit Jahren. Der jüngste Anstieg geht auch auf eine Veränderung in der Statistik-Methode zurück – aber den Grund der Gesamtentwicklung kann sich die Polizei nicht erklären.
SAARBRÜCKEN Ein kreisender Hubschrauber, Polizeihunde im Wald, Feuerwehrleute auf den Wegen und abseits davon – so stellt man sich eine Vermisstensuche vor. Eine geschlossene Reihe von Polizisten, die im Waldboden stochern und jeden Stein rumdrehen, Spürnasen, Wärmebildkameras oder Drohnen. Wer so sucht, der muss auch was finden, denkt man. 96 Menschen werden aktuell im Saarland vermisst, sie werden zum Teil seit Jahren nicht gefunden und das, obwohl der Polizei noch weit mehr als diese beschriebenen Mittel der Nahbereichssuche zur Verfügung stehen.
Nach Angabe von Polizeisprecherin Sarah Sersch sind Suchaktionen in der Nachbarschaft, Befragungen von Freunden und Bekannten, das Verbreiten von Fotos und Suchhinweisen über die Medien Standard, aber bei weitem nicht die einzigen Erkenntnisquellen. Man verwerte auch digitale Spuren, analysiere Handydaten, werte Computer und Bank-Transaktionen aus. „Wir befragen Nahverkehrsunternehmen und
Taxifahrer, peilen Mobiltelefone an, recherchieren in den sozialen Netzwerken bis zu Ermittlungsgesuchen im Ausland über das Bundeskriminalamt.“
Wenn jemand sehr lange vermisst werde, stelle man Spuren sicher, um auch nach Jahren noch eine zuverlässige Identifizierung sicherstellen zu können. Dann würden Röntgenbilder, Zahnabdrücke, Fingerabdrücke oder DNA-Identifizierungsmuster sichergestellt, denn die Suche nach Vermissten ende nie. Selbst wenn ein verschwundener Mensch nach dem Verschollenheitsgesetz juristisch für tot erklärt worden sei (Beispiele sind dort die fiktive Todesfeststellung sechs Monate nach einem Schiffsunglück, drei Monate nach einem Flugzeugabsturz oder zehn Jahre nach einem Vermisstenfall) würde die Polizei weiterhin eine Aufklärung der Hintergründe versuchen. „Jeder unerledigte Vermisstenfall wird einmal jährlich auf Aktualität geprüft. Hierbei werden erneute Recherchen in den polizeilichen Informationssystemen durchgeführt und das Vorliegen neuer Hinweise und Ermittlungsansätze geprüft“, sagt Sersch. Die Akten würden daher automatisch immer wieder durchgegangen.
Die Fachdienststelle habe so viel Arbeit, dass auch für ein Pressegespräch keine Zeit bestanden habe. Die Polizeisprecherin vermittelte daher schriftliche Antworten auf einen von unserer Zeitung eingereichten Fragenkatalog. Darin wollten wir die Zahlen der Vermisstenfälle im Saarland wissen. Die steigen in den letzten Jahren stetig. Waren es 2011 noch 720 Vermisstenfälle, so waren es 2014 schon 1118 und im Jahr 2018 1749. Im Jahr 2019 ging es leicht auf 1730 zurück, im Coronajahr 2020 sanken sie nochmals auf 1539, einen Wert der dennoch alle Jahre vor 2018 übertraf.
Allerdings sei der sprunghafte Anstieg ab 2018 auch auf eine geänderte Statistikmethode zurückzuführen. Bis 2018 seien Menschen, die im Laufe eines Tages wieder gefunden wurden, nicht in die Statistik eingeflossen. Heute sei das anders. Am Trend ändert das aber nichts. Das oft Senioren gesucht werden, fällt der Öffentlichkeit durch die Suchaktionen in den Orten und die Meldungen im Radio auf. „Eine Auswertung der saarländischen Vermisstenfälle der letzten zehn Jahre ergab, dass die Gruppe der Menschen ab 60 Jahren jeweils nur einen geringen und über den recherchierten Zehnjahreszeitraum weitgehend konstanten Anteil (1,5 – 4,5%) aller Vermissten bildet“, sagt Sersch.
„Aus hiesiger Sicht liegen daher keine Hinweise auf einen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen der älter werdenden Gesellschaft und der Zahl der Vermisstenfälle vor“, sagt die Polizeisprecherin dazu. Die allermeisten Vermisstenfälle könnten zeitnah aufgeklärt werden. Von den 12 153 Fällen der letzten zehn Jahre konnten 12 100 geklärt werden, was für die Polizei bedeutet, dass man die Personen angetroffen, ihren Aufenthaltsort ermittelt oder ihren Tod festgestellt hat. 96 offene Fälle gingen bis ins Jahr 1972 zurück. Warum die Zahl der Vermisstenfälle zunimmt, ist bei der Polizei allerdings nicht geklärt. „Wir wissen es einfach nicht“, sagt Sarah Sersch. Auch in der Fachdienststelle habe man keine Erklärung dafür.
„Warum die Zahl der Vermisstenfälle zunimmt, wissen wir einfach nicht.“
Marc Fischer Polizeioberkommisar