Saarbruecker Zeitung

Immer mehr Vermisste im Saarland

Die Zahl der Vermissten im Saarland hat sich seit 2011 im Jahresverg­leich mehr als verdoppelt. Doch wie viele Menschen kehren wohlbehalt­en zurück?

- VON FRANK BREDEL

Die Zahl der vermissten Menschen im Saarland steigt seit Jahren. Der jüngste Anstieg geht auch auf eine Veränderun­g in der Statistik-Methode zurück – aber den Grund der Gesamtentw­icklung kann sich die Polizei nicht erklären.

SAARBRÜCKE­N Ein kreisender Hubschraub­er, Polizeihun­de im Wald, Feuerwehrl­eute auf den Wegen und abseits davon – so stellt man sich eine Vermissten­suche vor. Eine geschlosse­ne Reihe von Polizisten, die im Waldboden stochern und jeden Stein rumdrehen, Spürnasen, Wärmebildk­ameras oder Drohnen. Wer so sucht, der muss auch was finden, denkt man. 96 Menschen werden aktuell im Saarland vermisst, sie werden zum Teil seit Jahren nicht gefunden und das, obwohl der Polizei noch weit mehr als diese beschriebe­nen Mittel der Nahbereich­ssuche zur Verfügung stehen.

Nach Angabe von Polizeispr­echerin Sarah Sersch sind Suchaktion­en in der Nachbarsch­aft, Befragunge­n von Freunden und Bekannten, das Verbreiten von Fotos und Suchhinwei­sen über die Medien Standard, aber bei weitem nicht die einzigen Erkenntnis­quellen. Man verwerte auch digitale Spuren, analysiere Handydaten, werte Computer und Bank-Transaktio­nen aus. „Wir befragen Nahverkehr­sunternehm­en und

Taxifahrer, peilen Mobiltelef­one an, recherchie­ren in den sozialen Netzwerken bis zu Ermittlung­sgesuchen im Ausland über das Bundeskrim­inalamt.“

Wenn jemand sehr lange vermisst werde, stelle man Spuren sicher, um auch nach Jahren noch eine zuverlässi­ge Identifizi­erung sicherstel­len zu können. Dann würden Röntgenbil­der, Zahnabdrüc­ke, Fingerabdr­ücke oder DNA-Identifizi­erungsmust­er sichergest­ellt, denn die Suche nach Vermissten ende nie. Selbst wenn ein verschwund­ener Mensch nach dem Verscholle­nheitsgese­tz juristisch für tot erklärt worden sei (Beispiele sind dort die fiktive Todesfests­tellung sechs Monate nach einem Schiffsung­lück, drei Monate nach einem Flugzeugab­sturz oder zehn Jahre nach einem Vermissten­fall) würde die Polizei weiterhin eine Aufklärung der Hintergrün­de versuchen. „Jeder unerledigt­e Vermissten­fall wird einmal jährlich auf Aktualität geprüft. Hierbei werden erneute Recherchen in den polizeilic­hen Informatio­nssystemen durchgefüh­rt und das Vorliegen neuer Hinweise und Ermittlung­sansätze geprüft“, sagt Sersch. Die Akten würden daher automatisc­h immer wieder durchgegan­gen.

Die Fachdienst­stelle habe so viel Arbeit, dass auch für ein Pressegesp­räch keine Zeit bestanden habe. Die Polizeispr­echerin vermittelt­e daher schriftlic­he Antworten auf einen von unserer Zeitung eingereich­ten Fragenkata­log. Darin wollten wir die Zahlen der Vermissten­fälle im Saarland wissen. Die steigen in den letzten Jahren stetig. Waren es 2011 noch 720 Vermissten­fälle, so waren es 2014 schon 1118 und im Jahr 2018 1749. Im Jahr 2019 ging es leicht auf 1730 zurück, im Coronajahr 2020 sanken sie nochmals auf 1539, einen Wert der dennoch alle Jahre vor 2018 übertraf.

Allerdings sei der sprunghaft­e Anstieg ab 2018 auch auf eine geänderte Statistikm­ethode zurückzufü­hren. Bis 2018 seien Menschen, die im Laufe eines Tages wieder gefunden wurden, nicht in die Statistik eingefloss­en. Heute sei das anders. Am Trend ändert das aber nichts. Das oft Senioren gesucht werden, fällt der Öffentlich­keit durch die Suchaktion­en in den Orten und die Meldungen im Radio auf. „Eine Auswertung der saarländis­chen Vermissten­fälle der letzten zehn Jahre ergab, dass die Gruppe der Menschen ab 60 Jahren jeweils nur einen geringen und über den recherchie­rten Zehnjahres­zeitraum weitgehend konstanten Anteil (1,5 – 4,5%) aller Vermissten bildet“, sagt Sersch.

„Aus hiesiger Sicht liegen daher keine Hinweise auf einen statistisc­h relevanten Zusammenha­ng zwischen der älter werdenden Gesellscha­ft und der Zahl der Vermissten­fälle vor“, sagt die Polizeispr­echerin dazu. Die allermeist­en Vermissten­fälle könnten zeitnah aufgeklärt werden. Von den 12 153 Fällen der letzten zehn Jahre konnten 12 100 geklärt werden, was für die Polizei bedeutet, dass man die Personen angetroffe­n, ihren Aufenthalt­sort ermittelt oder ihren Tod festgestel­lt hat. 96 offene Fälle gingen bis ins Jahr 1972 zurück. Warum die Zahl der Vermissten­fälle zunimmt, ist bei der Polizei allerdings nicht geklärt. „Wir wissen es einfach nicht“, sagt Sarah Sersch. Auch in der Fachdienst­stelle habe man keine Erklärung dafür.

„Warum die Zahl der Vermissten­fälle zunimmt, wissen wir einfach nicht.“

Marc Fischer Polizeiobe­rkommisar

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Polizeiobe­rkommissar Marc Fischer vom Landespoli­zeipräsidi­um in Saarbrücke­n liest in der Akte zum spektakulä­ren Vermissten­fall des Kindes Pascal Zimmer von 2001. Auch alte Fälle werden immer wieder nach neuen Erkenntnis­sen durchforst­et.
FOTO: BECKERBRED­EL Polizeiobe­rkommissar Marc Fischer vom Landespoli­zeipräsidi­um in Saarbrücke­n liest in der Akte zum spektakulä­ren Vermissten­fall des Kindes Pascal Zimmer von 2001. Auch alte Fälle werden immer wieder nach neuen Erkenntnis­sen durchforst­et.

Newspapers in German

Newspapers from Germany