Premiere am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken: Lohnt sich „Macbeth Underworld“?
Ohne Frage ist „Macbeth underworld“die bislang packendste Produktion der vermaledeiten CoronaSaison am Saarbrücker Theater. Musikalisch wie optisch ein grandioser Spielplatz der Assoziationen – und ein tiefer Blick in Seelenabgründe.
SAARBRÜCKEN Cordhose, Flanellhemd und Kassengestell: Erdkundelehrer laufen so rum. Oder Psychopathen, vertraut man mal den Klischees des Hollywoodkinos. Macbeth nun zählt, Shakespeare-Kundige wissen das, klar zur Kategorie zwei: den Psychos. Und dass er im Saarbrücker Theater so aussieht wie er aussieht, wird kein Zufall sein.
Regisseur Lorenzo Fiorono und Kostümbildnerin Katharina Gault haben ihn bewusst – und uns zum geistigen Anstoß – als Jedermann von heute eingekleidet. Auch seine bösere Hälfte, Lady Macbeth, der die moralischen Anwandlungen ihres Gatten (Peter Schöne bannt mit seinem feinen Bariton, seiner Facettenfülle; was für eine Luxusbesetzung!) völlig fremd sind, schaut eigentlich ganz adrett aus: grünes Kleidchen zu weißen Spitzensöckchen. Ihre rote Mähne aber warnt: Das Weib hat den Teufel im Leib. Zusammen sind die beiden fraglos das Killerpaar der Theaterhistorie. Für die Macht, genauer den schottischen Königsthron, pflastern sie ihren Weg mit Leichen. Und Mylady (die furiose Dshamilja Kaiser schraubt ihren Mezzo immer wieder von schneidend eisig in wollüstig heiße Höhen) reitet triumphierend auf dem Sarg ihres Opfers, entfesselt Eros und Thanatos zugleich. Fürwahr ein Höllenspektakel, dieser „Macbeth underworld“am Saarländischen Staatstheater.
Dabei: Fokussiert man nur mal die
Protagonisten, stößt man zur tieferen Ebene dieser zeitgenössischen Oper vor, unter dem schon comic-haften Mythenthriller. An diesen beiden, an Macbeth und seiner Lady, zeigt sich nämlich ganz real: Das Böse ist immer und überall. Und kommt nicht wie ein Theatergott über uns. Nein, es steckt in uns. Leider wahr, mag man jetzt dazu resignierend sagen. Nur, neu ist diese Erkenntnis ja kaum. Stimmt. Doch Theater darf an genau diesem Punkt nicht lockerlassen. Es muss bohren. Und eben das tut diese Horror-Show mit letztlich hoher Moral.
Shakespeare hat seinen Stoff vor 400 Jahren schon zum zeitlos gültigen Exempel geformt – und einen Bühnen-Evergreen erschaffen. Was wohl anspornt, es immer wieder damit zu versuchen. Librettist Frédéric Boyer und der aus Nancy stammende Komponist Pascal Dusapin sind da nur die vorerst Letzten in einer langen Reihe. 2019 feierte ihr „Macbeth underworld“am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel Uraufführung. Bejubelt. In Deutschland macht nun die Saarbrücker Bühne den Vorreiter und positioniert sich einmal mehr als Haus mit Sinn fürs Moderne.
Boyer bleibt eng an Shakespeares hohem (englischen) Sprachton, aber in anderer, schmalerer Versuchsanordnung: Macbeth samt Lady sind in ihren eigenen Abgründen gefangen. Ihre Untaten suchen sie wieder und wieder heim – und ewig grüßt der Albtraum hier. Shakespeare Ur-Personal löst sich zum Teil gar auf, konzentriert sich mal im Geist (eine dunkelfunkelnde Glanzleistung von Hiroshi Matsui). Der Porter (ebenfalls stark: Algirdas Drevinskas) arrangiert als dralle Transe hübsch gehässig das Treiben in diesem Hades – gemeinsam mit den drei Hexen.
Fiorino macht aus alledem ein Mordsspektakel, öffnet einen Spielplatz
der Assoziationen – mit einer bisweilen auch überwältigenden Bilderflut. Doch an dieser Unterwelt haben Kino-Apokalyptiker sicher ihre höllische Freude; das könnte auch das Set für den nächsten „Mad Max“abgeben. Der Regisseur knallt rein, was geht. Im Totenreich tanzen die Verblichenen mal im Tutu, mal marschieren sie mit schwarzen Stahlhelmen, reißen die Arme hoch zum Hitlergruß. Bald flimmern noch im Hintergrund Bilder von der Landung
in der Normandie. Nicht alles findet da logisch zueinander in diesem Zeiten- und Mythenwirbel. Zumal Macbeth und Mylady ihre Zerstörungswut auch gegen sich selbst richten – auf Puppen-Alter-Egos mit Messer und Baseballschläger losgehen. Manchmal überdreht Fiorino all das zum Splattermovie, zur Gewaltorgie. Aber es fährt einem ähnlich tief in die Glieder wie wenn man Kubricks „A Clockwork Orange“zum ersten Mal sieht.
Kurios dabei: Dusapins Musik treibt gar nicht so ungestüm voran. Der 65-Jährige, der den tosenden Premierenapplaus sichtlich gerührt entgegen nahm, hat mit viel Finesse seine Klangflächen austariert, mit mathematischer Präzision komponiert. Er evoziert schottische Folklore genauso wie Filmmusikklassiker; wenn etwa die Orgel schauert, sitzt man akustisch prompt in Opas Gruselkino. Immer aber tönt es verblüffend emotional. Justus Thorau am Dirigentenpult des Staatsorchesters, das hinter Tüchern direkt auf der Bühne spielen kann, erweist sich als Klangfeinschmecker, wie er die satten, tiefen Streicher auskosten lässt, die kräftigen Bläser, die Rhythmik fördert. Immer wieder führt er einen zu den Perlen dieser Partitur. Ein Maestro!
Weitere Termine: 22. und 24. April. www.staatstheater.saarland