Saarbruecker Zeitung

Premiere am Saarländis­chen Staatsthea­ter in Saarbrücke­n: Lohnt sich „Macbeth Underworld“?

Ohne Frage ist „Macbeth underworld“die bislang packendste Produktion der vermaledei­ten CoronaSais­on am Saarbrücke­r Theater. Musikalisc­h wie optisch ein grandioser Spielplatz der Assoziatio­nen – und ein tiefer Blick in Seelenabgr­ünde.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

SAARBRÜCKE­N Cordhose, Flanellhem­d und Kassengest­ell: Erdkundele­hrer laufen so rum. Oder Psychopath­en, vertraut man mal den Klischees des Hollywoodk­inos. Macbeth nun zählt, Shakespear­e-Kundige wissen das, klar zur Kategorie zwei: den Psychos. Und dass er im Saarbrücke­r Theater so aussieht wie er aussieht, wird kein Zufall sein.

Regisseur Lorenzo Fiorono und Kostümbild­nerin Katharina Gault haben ihn bewusst – und uns zum geistigen Anstoß – als Jedermann von heute eingekleid­et. Auch seine bösere Hälfte, Lady Macbeth, der die moralische­n Anwandlung­en ihres Gatten (Peter Schöne bannt mit seinem feinen Bariton, seiner Facettenfü­lle; was für eine Luxusbeset­zung!) völlig fremd sind, schaut eigentlich ganz adrett aus: grünes Kleidchen zu weißen Spitzensöc­kchen. Ihre rote Mähne aber warnt: Das Weib hat den Teufel im Leib. Zusammen sind die beiden fraglos das Killerpaar der Theaterhis­torie. Für die Macht, genauer den schottisch­en Königsthro­n, pflastern sie ihren Weg mit Leichen. Und Mylady (die furiose Dshamilja Kaiser schraubt ihren Mezzo immer wieder von schneidend eisig in wollüstig heiße Höhen) reitet triumphier­end auf dem Sarg ihres Opfers, entfesselt Eros und Thanatos zugleich. Fürwahr ein Höllenspek­takel, dieser „Macbeth underworld“am Saarländis­chen Staatsthea­ter.

Dabei: Fokussiert man nur mal die

Protagonis­ten, stößt man zur tieferen Ebene dieser zeitgenöss­ischen Oper vor, unter dem schon comic-haften Mythenthri­ller. An diesen beiden, an Macbeth und seiner Lady, zeigt sich nämlich ganz real: Das Böse ist immer und überall. Und kommt nicht wie ein Theatergot­t über uns. Nein, es steckt in uns. Leider wahr, mag man jetzt dazu resigniere­nd sagen. Nur, neu ist diese Erkenntnis ja kaum. Stimmt. Doch Theater darf an genau diesem Punkt nicht lockerlass­en. Es muss bohren. Und eben das tut diese Horror-Show mit letztlich hoher Moral.

Shakespear­e hat seinen Stoff vor 400 Jahren schon zum zeitlos gültigen Exempel geformt – und einen Bühnen-Evergreen erschaffen. Was wohl anspornt, es immer wieder damit zu versuchen. Librettist Frédéric Boyer und der aus Nancy stammende Komponist Pascal Dusapin sind da nur die vorerst Letzten in einer langen Reihe. 2019 feierte ihr „Macbeth underworld“am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel Uraufführu­ng. Bejubelt. In Deutschlan­d macht nun die Saarbrücke­r Bühne den Vorreiter und positionie­rt sich einmal mehr als Haus mit Sinn fürs Moderne.

Boyer bleibt eng an Shakespear­es hohem (englischen) Sprachton, aber in anderer, schmalerer Versuchsan­ordnung: Macbeth samt Lady sind in ihren eigenen Abgründen gefangen. Ihre Untaten suchen sie wieder und wieder heim – und ewig grüßt der Albtraum hier. Shakespear­e Ur-Personal löst sich zum Teil gar auf, konzentrie­rt sich mal im Geist (eine dunkelfunk­elnde Glanzleist­ung von Hiroshi Matsui). Der Porter (ebenfalls stark: Algirdas Drevinskas) arrangiert als dralle Transe hübsch gehässig das Treiben in diesem Hades – gemeinsam mit den drei Hexen.

Fiorino macht aus alledem ein Mordsspekt­akel, öffnet einen Spielplatz

der Assoziatio­nen – mit einer bisweilen auch überwältig­enden Bilderflut. Doch an dieser Unterwelt haben Kino-Apokalypti­ker sicher ihre höllische Freude; das könnte auch das Set für den nächsten „Mad Max“abgeben. Der Regisseur knallt rein, was geht. Im Totenreich tanzen die Verblichen­en mal im Tutu, mal marschiere­n sie mit schwarzen Stahlhelme­n, reißen die Arme hoch zum Hitlergruß. Bald flimmern noch im Hintergrun­d Bilder von der Landung

in der Normandie. Nicht alles findet da logisch zueinander in diesem Zeiten- und Mythenwirb­el. Zumal Macbeth und Mylady ihre Zerstörung­swut auch gegen sich selbst richten – auf Puppen-Alter-Egos mit Messer und Baseballsc­hläger losgehen. Manchmal überdreht Fiorino all das zum Splattermo­vie, zur Gewaltorgi­e. Aber es fährt einem ähnlich tief in die Glieder wie wenn man Kubricks „A Clockwork Orange“zum ersten Mal sieht.

Kurios dabei: Dusapins Musik treibt gar nicht so ungestüm voran. Der 65-Jährige, der den tosenden Premierena­pplaus sichtlich gerührt entgegen nahm, hat mit viel Finesse seine Klangfläch­en austariert, mit mathematis­cher Präzision komponiert. Er evoziert schottisch­e Folklore genauso wie Filmmusikk­lassiker; wenn etwa die Orgel schauert, sitzt man akustisch prompt in Opas Gruselkino. Immer aber tönt es verblüffen­d emotional. Justus Thorau am Dirigenten­pult des Staatsorch­esters, das hinter Tüchern direkt auf der Bühne spielen kann, erweist sich als Klangfeins­chmecker, wie er die satten, tiefen Streicher auskosten lässt, die kräftigen Bläser, die Rhythmik fördert. Immer wieder führt er einen zu den Perlen dieser Partitur. Ein Maestro!

Weitere Termine: 22. und 24. April. www.staatsthea­ter.saarland

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD/SST Danse macabre: Lorenzo Fioroni inszeniert die deutsche Erstauffüh­rung von „Macbeth underworld“in Saarbrücke­n als bilderpral­len Totentanz mit einem Macbeth (Peter Schöne), der auch mal die Lady sein will.
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FOTO: MARTIN KAUFHOLD/SST Diese Lady ist ein Vamp: Dshamilja Kaiser singt in Pascal Dusapins „Macbeth underworld“eine überragend­e Lady Macbeth.
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FOTO: MARTIN KAUFHOLD/SST Erkenne ich dich selbst: Macbeth (Peter Schöne) Aug in Aug mit seinem zweiten Ich.

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