Fluglärm bleibt Dauerthema im Nordsaarland
Kampfjets, die zu Übungszwecken über dem Saarland fliegen, machen der Bevölkerung zu schaffen – die Zahl der Beschwerden steigt rasant. Was unternimmt die Politik gegen den Fluglärm?
ILLINGEN-WUSTWEILER So lange sich Peter Krächan erinnern kann, gibt es bei ihm zuhause Lärm aus der Luft. Kampfjets von der US-Airbase Spangdahlem in der Eifel fegen regelmäßig über seinen Heimatort Illingen-Wustweiler hinweg. Am vergangenen Montag war es besonders laut. „Da ging es um 17 Uhr los. Wir haben gedacht, die fallen über uns her“, sagt Krächan. Mit einer Unterbrechung flogen die Maschinen bis 22.30 Uhr. Und sorgten dafür, dass der Rentner in seiner Verzweiflung noch am Abend E-Mails an Landesregierung, Bundeswehr und viele weitere Stellen schickte. Das tat er nicht zum ersten Mal und wird es auch weiter tun. Auch wenn es bisher von den Politikern keine Antworten gegeben hat. Es ging die gesamte Woche so weiter.
Wustweiler liegt innerhalb des militärischen Übungsluftraums „TRA Lauter“, wie fast das gesamte Saarland und große Teile des südlichen Rheinland-Pfalz. TRA steht für „temporary reserved airspace“(„zeitweise reservierter Luftraum“). „Gerade in den zentralen und nördlichen Regionen des Saarlandes ist der Krach groß – und „es wird immer schlimmer“, sagt Krächan. Das belegen auch offizielle Zahlen des Bundesverteidigungsministeriums. Demnach flogen Kampfjets von verschiedenen Nato-Luftwaffen im vergangenen Jahr an 223 Tagen zu Übungszwecken im TRA Lauter. Im Schnitt für rund drei Stunden. Insgesamt wurde der Übungsluftraum drei Prozent länger genutzt als noch 2019. Der TRA Lauter ist damit der Luftraum in Deutschland, der am stärksten von Kampfjetlärm belastet ist. Insbesondere in den Sommermonaten ist das Flugaufkommen hoch.
Aufklärungsarbeit dazu leistet seit vielen Jahren die Bürgerinitiative (BI) Fluglärm. Mit sogenanntem Sekundärradar sammelt die 100 Mitglieder starke BI Daten darüber, welche Maschinen zu welchem Zeitpunkt Übungsflüge in dem TRA Lauter unternehmen. Wie BI-Sprecher Holger Marzen der SZ erklärt, benötigt man dazu nur einfache Hardware. Die Flugsicherung bestrahlt die Maschinen mit Radar. Darauf antworten die Flugzeuge mit ihrer Kennung als Signal, das jeder empfangen kann. Die BI hat mehrere Empfänger in der Region verteilt aufgestellt.
Der Fluglärm ist auch in anderen Regionen im Saarland ein Problem. SZ-Leser Klaus Berthold (Name auf eigenen Wunsch geändert) aus Beckingen-Reimsweiler beklagte die ganze Woche anhaltenden Kampfjetlärm – ebenfalls bis spät in den Abend. Es sei die gesamte Woche so gegangen. „Meine Frau ist total gestresst – uns geht es wirklich ans Eingemachte.“Die Bertholds haben ihre Konsequenzen schon gezogen. „Wenn meine Frau in zwei Jahren als Lehrerin pensioniert wird, werden wir aus dem Saarland wegziehen.“Freunde und Bekannte zu verlassen, falle zwar schwer. Doch der psychischen Belastung durch den Lärm will sich das Ehepaar nicht länger aussetzen. Kein Einzelfall. Holger Marzen von der BI hat schon erlebt, dass insbesondere Zugezogene dem Saarland wegen des Kampfjetlärms wieder den Rücken kehrten.
Die Beschwerden nehmen rapide zu. Beim Luftfahrtamt der Bundeswehr seien im vergangenen Jahr 16 752 Beschwerden über den Luftraum TRA Lauter eingegangen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Das ist eine Steigerung von 70 Prozent im Vergleich zu 2019. Deshalb wird die Forderung an die Landesregierung lauter, etwas gegen den Lärm am Himmel zu unternehmen. Nicht nur Krächan und Berthold, sondern Hunderte weitere Saarländer fühlen sich hier von der Politik im Stich gelassen.
Beim saarländischen Innenministerium relativiert man auf SZ-Anfrage die starke Zunahme an Beschwerden. Nach Bewertung der schwarz-roten Landesregierung sei der signifikante Anstieg auf die „Digitalisierung
des Beschwerdewesens durch die BI“zurückzuführen. Das Innenministerium spricht von automatisierten Beschwerden, die „größtenteils ohne Bezug zu realen Flugbewegungen, die ohne technische Hilfsmittel nicht wahrnehmbar sind erfolgen“. Demnach seien 60 Prozent aller Beschwerden von nur 64 Bürgerinnen und Bürgern gekommen.
„Es gibt keine automatisierten Schreiben“, sagt Marzen von der Bürgerinitiative. „Wir bieten auf unserer Homepage nur Überfluglisten als Beschwerdehilfen an. Er empfindet es als dreist von der Landesregierung, Beschwerden weniger ernst zu nehmen, wenn sie von Mehrfach-Petenten kommen. Der Fluglärm höre schließlich nicht auf, nachdem man sich beschwert hat. In diesem Jahr zählte die BI allein 59 274 Beschwerden von 618 Personen. Die Tatsache, dass das Ministerium so argumentiert, zeige, dass das Militär der Landesregierung näher steht als die eigene Bevölkerung, sagt Marzen. Dabei sei der Draht ins Bundesverteidigungsministerium, wo mit Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eine Saarländerin an der Spitze steht, doch so kurz wie noch nie.
Ein Sprecher aus dem Ministerium von Saar-Innenminister Klaus Bouillon (CDU) antwortet: „Unabhängig von der Entkopplung des Beschwerdeaufkommens vom tatsächlichen Umfang des Übungsflugbetriebs“wolle man sich „sehr dafür einsetzen (…) die Belastung für die saarländischen Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich zu halten.“Wie genau, man das anstellen möchte, ließ das Ministerium unbeantwortet. Da man in dem Fluglärm eine Belastung für Bevölkerung und auch Tourismusbranche sieht, nehme die Saar-Regierung das Thema jedoch ernst und sei mit den Entscheidungsträgern im Austausch. Die Landesregierung betont allerdings, diesbezüglich in einem Spannungsfeld zu agieren. Denn man erkenne auch die Notwendigkeit des militärischen Übungsbetriebs hinsichtlich der Bündnisverteidigung an.
Marzen von der BI Fluglärm ärgert es, dass die Politik mit der Bündnisverteidigung argumentiert. Selbst wenn man akzeptiere, dass dies nötig sei, könnte man seiner Meinung nach den Kampfjetlärm besser verteilen. In anderen Übungslufträumen, etwa in dem TRA Sachsen, werde deutlich weniger geflogen. In der Karwoche gar nicht. Die BI fordert eine Gleichbehandlung für die Menschen unterhalb der TRAs im Bundesgebiet.
Zwischenzeitlich, so antwortet das saarländische Innenministerium, habe man beim Verteidigungsministerium eine gleichmäßigere Verteilung der Flugstunden erwirkt. Darüber hinaus habe es eine Entzerrung des Flugaufkommens innerhalb des TRA Lauter gegeben, um besonders betroffene Gebiete zu entlasten. Peter Krächan und Klaus Berthold haben davon nichts gemerkt. Sie erwarten, dass die Landesregierung mehr tut. Insbesondere nach dieser Woche, in der die Kampfjets auch am Abend mit Getöse über das Saarland flogen. Das ist übrigens erlaubt. Das Militär darf von Montag bis Donnerstag zwischen 8 Uhr und 23.30 Uhr fliegen. Nur Freitags nach 12 Uhr sind keine Übungsflüge gestattet.
Eine Besserung scheint nicht in Sicht. Denn das Verteidigungsministerium kündigte auf eine Frage der Pirmasenser Bundestagsabgeordneten Brigitte Freihold (Linke) an, dass im kommenden Jahr mit einer „Intensivierung des Ausbildungsflugbetriebs zu rechnen ist“. Inwieweit das auch den TRA Lauter betrifft, wisse man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.
„Wir haben gedacht, die fallen über uns her.“
Peter Krächan Fluglärm-Opfer aus Illingen-Wustweiler