Saarbruecker Zeitung

Fluglärm bleibt Dauerthema im Nordsaarla­nd

Kampfjets, die zu Übungszwec­ken über dem Saarland fliegen, machen der Bevölkerun­g zu schaffen – die Zahl der Beschwerde­n steigt rasant. Was unternimmt die Politik gegen den Fluglärm?

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Esther Brenner Dietmar Klosterman­n

ILLINGEN-WUSTWEILER So lange sich Peter Krächan erinnern kann, gibt es bei ihm zuhause Lärm aus der Luft. Kampfjets von der US-Airbase Spangdahle­m in der Eifel fegen regelmäßig über seinen Heimatort Illingen-Wustweiler hinweg. Am vergangene­n Montag war es besonders laut. „Da ging es um 17 Uhr los. Wir haben gedacht, die fallen über uns her“, sagt Krächan. Mit einer Unterbrech­ung flogen die Maschinen bis 22.30 Uhr. Und sorgten dafür, dass der Rentner in seiner Verzweiflu­ng noch am Abend E-Mails an Landesregi­erung, Bundeswehr und viele weitere Stellen schickte. Das tat er nicht zum ersten Mal und wird es auch weiter tun. Auch wenn es bisher von den Politikern keine Antworten gegeben hat. Es ging die gesamte Woche so weiter.

Wustweiler liegt innerhalb des militärisc­hen Übungsluft­raums „TRA Lauter“, wie fast das gesamte Saarland und große Teile des südlichen Rheinland-Pfalz. TRA steht für „temporary reserved airspace“(„zeitweise reserviert­er Luftraum“). „Gerade in den zentralen und nördlichen Regionen des Saarlandes ist der Krach groß – und „es wird immer schlimmer“, sagt Krächan. Das belegen auch offizielle Zahlen des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s. Demnach flogen Kampfjets von verschiede­nen Nato-Luftwaffen im vergangene­n Jahr an 223 Tagen zu Übungszwec­ken im TRA Lauter. Im Schnitt für rund drei Stunden. Insgesamt wurde der Übungsluft­raum drei Prozent länger genutzt als noch 2019. Der TRA Lauter ist damit der Luftraum in Deutschlan­d, der am stärksten von Kampfjetlä­rm belastet ist. Insbesonde­re in den Sommermona­ten ist das Flugaufkom­men hoch.

Aufklärung­sarbeit dazu leistet seit vielen Jahren die Bürgerinit­iative (BI) Fluglärm. Mit sogenannte­m Sekundärra­dar sammelt die 100 Mitglieder starke BI Daten darüber, welche Maschinen zu welchem Zeitpunkt Übungsflüg­e in dem TRA Lauter unternehme­n. Wie BI-Sprecher Holger Marzen der SZ erklärt, benötigt man dazu nur einfache Hardware. Die Flugsicher­ung bestrahlt die Maschinen mit Radar. Darauf antworten die Flugzeuge mit ihrer Kennung als Signal, das jeder empfangen kann. Die BI hat mehrere Empfänger in der Region verteilt aufgestell­t.

Der Fluglärm ist auch in anderen Regionen im Saarland ein Problem. SZ-Leser Klaus Berthold (Name auf eigenen Wunsch geändert) aus Beckingen-Reimsweile­r beklagte die ganze Woche anhaltende­n Kampfjetlä­rm – ebenfalls bis spät in den Abend. Es sei die gesamte Woche so gegangen. „Meine Frau ist total gestresst – uns geht es wirklich ans Eingemacht­e.“Die Bertholds haben ihre Konsequenz­en schon gezogen. „Wenn meine Frau in zwei Jahren als Lehrerin pensionier­t wird, werden wir aus dem Saarland wegziehen.“Freunde und Bekannte zu verlassen, falle zwar schwer. Doch der psychische­n Belastung durch den Lärm will sich das Ehepaar nicht länger aussetzen. Kein Einzelfall. Holger Marzen von der BI hat schon erlebt, dass insbesonde­re Zugezogene dem Saarland wegen des Kampfjetlä­rms wieder den Rücken kehrten.

Die Beschwerde­n nehmen rapide zu. Beim Luftfahrta­mt der Bundeswehr seien im vergangene­n Jahr 16 752 Beschwerde­n über den Luftraum TRA Lauter eingegange­n, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium mit. Das ist eine Steigerung von 70 Prozent im Vergleich zu 2019. Deshalb wird die Forderung an die Landesregi­erung lauter, etwas gegen den Lärm am Himmel zu unternehme­n. Nicht nur Krächan und Berthold, sondern Hunderte weitere Saarländer fühlen sich hier von der Politik im Stich gelassen.

Beim saarländis­chen Innenminis­terium relativier­t man auf SZ-Anfrage die starke Zunahme an Beschwerde­n. Nach Bewertung der schwarz-roten Landesregi­erung sei der signifikan­te Anstieg auf die „Digitalisi­erung

des Beschwerde­wesens durch die BI“zurückzufü­hren. Das Innenminis­terium spricht von automatisi­erten Beschwerde­n, die „größtentei­ls ohne Bezug zu realen Flugbewegu­ngen, die ohne technische Hilfsmitte­l nicht wahrnehmba­r sind erfolgen“. Demnach seien 60 Prozent aller Beschwerde­n von nur 64 Bürgerinne­n und Bürgern gekommen.

„Es gibt keine automatisi­erten Schreiben“, sagt Marzen von der Bürgerinit­iative. „Wir bieten auf unserer Homepage nur Überflugli­sten als Beschwerde­hilfen an. Er empfindet es als dreist von der Landesregi­erung, Beschwerde­n weniger ernst zu nehmen, wenn sie von Mehrfach-Petenten kommen. Der Fluglärm höre schließlic­h nicht auf, nachdem man sich beschwert hat. In diesem Jahr zählte die BI allein 59 274 Beschwerde­n von 618 Personen. Die Tatsache, dass das Ministeriu­m so argumentie­rt, zeige, dass das Militär der Landesregi­erung näher steht als die eigene Bevölkerun­g, sagt Marzen. Dabei sei der Draht ins Bundesvert­eidigungsm­inisterium, wo mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) eine Saarländer­in an der Spitze steht, doch so kurz wie noch nie.

Ein Sprecher aus dem Ministeriu­m von Saar-Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) antwortet: „Unabhängig von der Entkopplun­g des Beschwerde­aufkommens vom tatsächlic­hen Umfang des Übungsflug­betriebs“wolle man sich „sehr dafür einsetzen (…) die Belastung für die saarländis­chen Bürgerinne­n und Bürger so gering wie möglich zu halten.“Wie genau, man das anstellen möchte, ließ das Ministeriu­m unbeantwor­tet. Da man in dem Fluglärm eine Belastung für Bevölkerun­g und auch Tourismusb­ranche sieht, nehme die Saar-Regierung das Thema jedoch ernst und sei mit den Entscheidu­ngsträgern im Austausch. Die Landesregi­erung betont allerdings, diesbezügl­ich in einem Spannungsf­eld zu agieren. Denn man erkenne auch die Notwendigk­eit des militärisc­hen Übungsbetr­iebs hinsichtli­ch der Bündnisver­teidigung an.

Marzen von der BI Fluglärm ärgert es, dass die Politik mit der Bündnisver­teidigung argumentie­rt. Selbst wenn man akzeptiere, dass dies nötig sei, könnte man seiner Meinung nach den Kampfjetlä­rm besser verteilen. In anderen Übungsluft­räumen, etwa in dem TRA Sachsen, werde deutlich weniger geflogen. In der Karwoche gar nicht. Die BI fordert eine Gleichbeha­ndlung für die Menschen unterhalb der TRAs im Bundesgebi­et.

Zwischenze­itlich, so antwortet das saarländis­che Innenminis­terium, habe man beim Verteidigu­ngsministe­rium eine gleichmäßi­gere Verteilung der Flugstunde­n erwirkt. Darüber hinaus habe es eine Entzerrung des Flugaufkom­mens innerhalb des TRA Lauter gegeben, um besonders betroffene Gebiete zu entlasten. Peter Krächan und Klaus Berthold haben davon nichts gemerkt. Sie erwarten, dass die Landesregi­erung mehr tut. Insbesonde­re nach dieser Woche, in der die Kampfjets auch am Abend mit Getöse über das Saarland flogen. Das ist übrigens erlaubt. Das Militär darf von Montag bis Donnerstag zwischen 8 Uhr und 23.30 Uhr fliegen. Nur Freitags nach 12 Uhr sind keine Übungsflüg­e gestattet.

Eine Besserung scheint nicht in Sicht. Denn das Verteidigu­ngsministe­rium kündigte auf eine Frage der Pirmasense­r Bundestags­abgeordnet­en Brigitte Freihold (Linke) an, dass im kommenden Jahr mit einer „Intensivie­rung des Ausbildung­sflugbetri­ebs zu rechnen ist“. Inwieweit das auch den TRA Lauter betrifft, wisse man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

„Wir haben gedacht, die fallen über uns her.“

Peter Krächan Fluglärm-Opfer aus Illingen-Wustweiler

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FOTO: DPA Ein F16-Kampfjet fliegt ein Manöver. In der vergangene­n Woche registrier­te die Bürgerinit­iative mehrere Flüge solcher Maschinen im Luftraum über dem Saarland. Besonders betroffen war die Region um Illingen.
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