Saarbruecker Zeitung

Schuldspru­ch im Floyd-Prozess

Das Video von George Floyds Todeskampf erschütter­te die USA. Dass der dafür verantwort­liche Polizist schuldig gesprochen wurde, sorgte für Genugtuung.

- Themen des Tages FOTO: IMAGO IMAGES

ist auf dem Schild einer Demonstran­tin zu lesen, die in Minneapoli­s auf das Urteil im Prozess um den Tod des Afroamerik­aners George Floyd reagierte. Die Geschworen­en hatten zuvor den weißen Ex-Polizisten Derek Chauvin des Mordes zweiten Grades für schuldig befunden. Videos hatten gezeigt, wie er im Mai 2020 Floyd minutenlan­g das Knie auf den Hals drückte, bis der nicht mehr atmete. US-Präsident Biden begrüßte den Schuldspru­ch, der noch nicht rechtskräf­tig ist.

Das Aufatmen nach dem Schuldspru­ch. Philonise Floyd, einer der Brüder George Floyds, beschreibt es in ebenso einfachen wie eindringli­chen Worten, nachdem die zwölf Geschworen­en ihr Urteil verkündet haben. In einem Hotel in Minneapoli­s, nicht weit vom Hennepin County Courthouse, dem Betonklotz, in dem der Prozess über die Bühne ging, spricht er vor laufenden Kameras von der Erleichter­ung, die er empfinde. „Ab heute werde ich nachts hoffentlic­h wieder in den Schlaf finden“, sagt der Lastwagenf­ahrer. „Von heute an können wir wieder atmen.“Etwa zehn Stunden hatten die Geschworen­en am Montag und Dienstag beraten, bevor der Richter Peter Cahill verlas, zu welchen Schlüssen sie gelangten. Drei Punkte umfasste die Anklage gegen Derek Chauvin, den Polizisten, der sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Nacken drückte. In ausnahmslo­s allen befand die Jury den ehemaligen Beamten für schuldig: Mord zweiten Grades, Mord dritten Grades, Totschlag zweiten Grades. Wie hoch die Strafe ausfällt, will Cahill im Laufe der nächsten acht Wochen entscheide­n. Nach den Statuten Minnesotas muss Chauvin mit bis zu 40 Jahren Gefängnis rechnen. Es ist das erste Mal, dass ein weißer Polizist in dem Bundesstaa­t für schuldig befunden wird, nachdem er einen Afroamerik­aner getötet hat.

Ob es eine echte Zäsur ist, daran scheiden sich die Geister. Als Barack Obama den Fall kommentier­t, spricht aus jeder seiner Zeilen eine gewisse Skepsis. Das Urteil, schreibt der erste dunkelhäut­ige Präsident in der Geschichte der USA, mag ein notwendige­r Schritt auf der Straße des Fortschrit­ts gewesen sein. Doch es reiche bei weitem nicht aus. „Wir dürfen keine Ruhe geben. Wir müssen konkrete Reformen folgen lassen, die rassistisc­he Vorurteile im System unserer Strafjusti­z reduzieren und schließlic­h ganz entfernen.“

Im Weißen Haus hatte Joe Biden am Dienstagna­chmittag sämtliche Termine abgeräumt, um auf das Urteil reagieren zu können. Als es feststeht, telefonier­t er als Erstes mit den Angehörige­n Floyds. „Ich bin so erleichter­t. Endlich, Gott, gibt es ein wenig Gerechtigk­eit“, sagt Biden und spricht von einem ersten Versuch, gegen systemisch­en Rassismus vorzugehen. „Wir werden anfangen, die Welt zu verändern. Wir werden noch viel mehr erreichen.“Dies könne ein Moment bedeutsame­n Wandels sein, erklärt er in einer Fernsehans­prache. Noch seien solche Urteile viel zu selten. Doch nun gebe es die Chance, die Richtung im Land zu ändern. Vizepräsid­entin Kamala Harris, Tochter einer aus Indien eingewande­rten Mutter und eines aus Jamaika stammenden Vaters, redet Tacheles, indem sie die bitteren Erfahrunge­n von Amerikaner­n mit dunkler Haut in Erinnerung ruft. Schwarze, insbesonde­re schwarze Männer, sagt sie, seien im Laufe der Geschichte nicht wie vollwertig­e Menschen behandelt worden.

Keith Ellison, der erste schwarze Generalsta­atsanwalt Minnesotas, betont, dass er in diesem Fall nicht von Gerechtigk­eit sprechen würde. Schließlic­h kehre George Floyd nicht wieder ins Leben zurück. „Immerhin bedeutet es, dass jemand zur Rechenscha­ft gezogen wird. Und das ist der erste Schritt in Richtung Gerechtigk­eit.“Es waren Juristen aus dem von Ellison geleiteten Apparat, die in drei Wochen Verhandlun­g begründete­n, warum Chauvin mit aller Härte bestraft werden müsse. Ihr mit Abstand wichtigste­r Beweis: das Video einer Handykamer­a, mit der Darnella Frazier, seinerzeit 17, am Abend des 25. Mail 2020 filmte, was vor dem Lebensmitt­elladen Cup Foods im Süden von Minneapoli­s geschah. In seinem Schlussplä­doyer hatte der Staatsanwa­lt Steve Schleicher die Geschworen­en noch einmal ermuntert, ihren Augen zu trauen: „Genau das, was Sie sehen, ist tatsächlic­h passiert“. Chauvin habe Floyd mit dem Knie am Hals die Luft zum Atmen genommen und ihn getötet, vielleicht nicht absichtlic­h, aber in einer Art Allmachtge­fühl.

Die Verteidigu­ng dagegen hatte versucht, Floyd mehr oder weniger die Schuld an seinem eigenen Tod zuzuschieb­en. Gestorben sei er wegen seiner Drogenabhä­ngigkeit und einer Herzschwäc­he. Das Knie in seinem Nacken sei nicht die Todesursac­he gewesen, zudem sei Chauvin abgelenkt worden von protestier­enden Zuschauern auf dem Bürgerstei­g vor dem Cup Foods. Die Augenzeuge­n, entgegnet Ellison in seinem Fazit, hätten an jenem Abend die Menschlich­keit verkörpert, die der Polizist so vermissen ließ. „Sie wussten, das, was sie sahen, war falsch. Sie brauchten keine medizinisc­hen Experten zu sein, um das zu erkennen. Sie wussten, es war falsch, und damit hatten sie recht.“

 ??  ??
 ?? FOTO: STEPHANIE KEITH/DPA ?? Tränen der Erleichter­ung in Minneapoli­s als Reaktion auf das Schuldurte­il im Prozess gegen den Polizisten Derek Chauvin.
FOTO: STEPHANIE KEITH/DPA Tränen der Erleichter­ung in Minneapoli­s als Reaktion auf das Schuldurte­il im Prozess gegen den Polizisten Derek Chauvin.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Drückte sein Knie in den Nacken des Afroamerik­aners George Floyd, bis er starb: Derek Chauvin.
FOTO: IMAGO IMAGES Drückte sein Knie in den Nacken des Afroamerik­aners George Floyd, bis er starb: Derek Chauvin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany