Saarbruecker Zeitung

Wie sinnvoll sind Ausgangsbe­schränkung­en wirklich?

- VON SEBASTIAN FISCHER

(dpa) Sie gehören zu den umstritten­sten Punkten im neuen Infektions­schutzgese­tz: nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en. In Regionen mit besonders vielen Corona-Neuinfekti­onen sollen zwischen 22 und 5 Uhr die Menschen weitestgeh­end in ihren Wohnungen bleiben. In einigen Bundesländ­ern sind ähnliche Regeln bereits umgesetzt. Jogging-Runden allein im Park oder im Wald sollen ab Mitternach­t untersagt sein. Vielen geht das zu weit. Zu Recht?

Behauptung: Nächtliche Ausgangssp­erren sind zur Bekämpfung des Infektions­geschehens nutzlos.

Bewertung: Unklare Datenlage. Experten unterschei­den zwischen Solo-Spaziergän­gen und Wegen zu privaten Treffen.

Fakten: In anderen Ländern hat sich durchaus gezeigt: Nach der Einführung einer nächtliche­n Ausgangssp­erre sanken die Zahlen der Corona-Neuinfekti­onen. Alles gut also? Nein. Denn es ist bisher nicht geklärt, wie viel Anteil daran diese eine Maßnahme hatte. In der Regel wurde sie von weiteren Vorgaben wie strengeren Kontaktbes­chränkunge­n und gegebenenf­alls Schulschli­eßungen flankiert. Zudem gab es mitunter auch tagsüber Ausgangssp­erren.

Forscher um ein Team der Universitä­t

Oxford nahmen jüngst den Einfluss einzelner Maßnahmen auf das Infektions­geschehen genauer unter die Lupe. Ihre Ende März publiziert­e Studie ergab: Nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en können die Verbreitun­g des Covid-19-Erregers um rund 13 Prozent reduzieren. Einschränk­end schreiben sie aber, dass die Maßnahme nicht leicht vom Effekt paralleler Regelungen zu unterschei­den sei. Begutachte­t wurde die Studie bislang nicht.

Grundsätzl­ich stellt sich die Frage: Ist der einzelne Nachtschwä­rmer oder Allein-Jogger tatsächlic­h eine Gefahr? Seit Monaten ist bekannt, dass im Freien das Risiko für eine Ansteckung mit dem Coronaviru­s im Gegensatz zu Innenräume­n gering ist. „Im Freien finden so gut wie keine Infektione­n durch Aerosolpar­tikel statt“, heißt es von der Gesellscha­ft für Aerosolfor­schung (GAeF).

Dass ein nächtliche­r Spaziergan­g unproblema­tisch ist, weiß auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU). „Es geht ja nicht darum, ob jemand alleine abends um zehn unterwegs ist“, sagte er. Am Montag hat sich die Regierungs­koalition aus SPD und Union darauf geeinigt, dass Joggen und Spaziergän­ge bis Mitternach­t erlaubt sind.

Die Ausgangsbe­schränkung­en sollen vor allem Treffen in geschlosse­nen Räumen mit erhöhtem Ansteckung­srisiko unterbinde­n. „Von wo nach wo sind wir unterwegs?“, fragt Spahn. Für ihn sind Ausgangssp­erren also ein Mittel, um grundsätzl­ich Begegnunge­n zu unterbinde­n.

Das sagt auch der Mobilitäts­forscher Kai Nagel von der Technische­n Universitä­t Berlin: „Nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en zielen auf die privaten Besuche.“Es solle nicht der Eindruck entstehen, die Leute sollten von draußen nach drinnen, das sei „wirklich die falsche Richtung“, erklärte Nagel in einer Bundestags­anhörung am Freitag.

Nagel und seine Kollegen von der TU Berlin und vom Zuse-Institut schreiben in ihrer jüngsten Mobilitäts­studie: „Sehr gut wirksam wäre ein (fast) vollständi­ges Verbot privater Besuche.“Sie verweisen auf Erfahrunge­n in Großbritan­nien, wo der Aufenthalt im öffentlich­en Raum zum Zweck eines Privatbesu­chs grundsätzl­ich verboten war – und das rund um die Uhr. Das habe in der Modellieru­ng einen viel höheren Einfluss auf die Pandemie als die geplanten nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung­en in Deutschlan­d. Der R-Wert, der das Infektions­geschehen abbildet, würde damit um rund 0,5 statt um etwa 0,1 Punkte sinken.

Manch einem dürfte es auch sauer aufstoßen, dass die Ausgangsbe­schränkung erneut auf die Freizeit zielt. Auf den Arbeitsweg in überfüllte Betriebe darf man sich weiterhin machen – und das rund um die Uhr.

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