„Unersättliche Gier“nach Schmiergeld für Aufträge
Korruption bei der Dillinger Hütte: Landgericht verurteilt Ex-Abteilungsleiter L. und Unternehmer Baron von S. zu Haftstrafen.
Bernd Weidig, Vorsitzender Richter der Wirtschaftsstrafkammer II des Landgerichts, nimmt sich viel Zeit, um das Urteil ausführlich, fast akribisch zu begründen. Zwei Stunden erläutert er, warum das Gericht von der Schuld der beiden Angeklagten, dem 62-jährigen Ex-Abteilungsleiter L. der Dillinger Hütte (DH) und dem 69 Jahre alten Geschäftsmann Baron von S., überzeugt ist. Der Richter spricht von einem „wirtschaftskriminellen System“und von einer „hochprofessionellen Struktur“, mit der das Duo jahrelang gearbeitet habe. Dem früheren Leiter der DH-Neubauabteilung attestiert Weidig für die Strafkammer
(drei Profirichter und zwei Schöffen) eine „unersättliche Gier“nach Schmiergeld. Entgegen der Anklageschrift sieht das Gericht zwischenzeitlich den früher hoch dotierten Angestellten (Monatsgehalt angeblich rund 15 000 Euro) als Haupttäter und den Baron als dessen „Gehilfen“, was letztlich auch zu einer geringeren Strafe führe.
Der Ex-Angestellte mit Adresse in Lothringen, auf den noch zivilrechtliche Ansprüche seines früheren Arbeitgebers in Millionenhöhe warten sollen, wird wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen in sieben Fällen und Bestechlichkeit in 33 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. 788 500 Euro an Schmiergeld, die der Franzose kassiert haben soll, werden eingezogen.
Gegen den Baron verhängte das Gericht – unter Berücksichtigung einer früheren Verurteilung – eine Gesamtstrafe von drei Jahren Haft. Der Haftbefehl gegen den einst „einflussreichen und erfolgreichen Geschäftsmann, der alle Fäden in der Hand hielt und die Strippen gezogen hat“, wie Weidig es formulierte, wurde mit der Urteilsverkündung am Mittwochnachmittag aufgehoben. Der Baron mit deutscher und französischer Staatsbürgerschaft war im November 2019 auf der Flucht vor der deutschen Justiz in Mallorca festgenommen und ausgeliefert worden. 17 Monate saß er seitdem in Untersuchungshaft, ist jetzt zumindest vorerst wieder ein freier Mann, kann – wie der Mitangeklagte – auf seine Ladung zum Haftantritt warten. Bis dahin wird es dauern, denn beide Verteidiger, Joachim Giring und Michael Heuchemer, kündigten unmittelbar nach der Urteilsverkündung Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) an. Eines ihrer Argumente, es seien aus ihrer Sicht rechtswidrig erlangte Beweismittel verwertet worden.
Das sehen Weidig und seine Kolleginnen in der Strafkammer anderens. Es geht konkret um Audiodateien, die ein Zeuge und früherer Auftragnehmer der DH den Ermittlern zur Verfügung gestellt hat. Auf den Mitschnitten ist demnach zu hören, wie der Baron als Vermittler
Geld für den DH-Abteilungsleiter reklamiert, wenn im Gegenzug der Ingenieur weiter Aufträge von der Hütte haben möchte. 30 000 Euro bar in Briefumschlägen sollen dann wiederholt die Besitzer gewechselt haben. Fünf Prozent vom Bruttoumsatz des Ingenieurbüros wurden offenbar als „Obulus“für den Abteilungsleiter gefordert. Die Richter haben über Jahre alle Umsätze, die dessen Firmen mit der Hütte gemacht haben, selbst nachgerechnet und Auszüge verglichen. Die Rechnung ging unter dem Strich auf.
Oberstaatsanwalt Eckhard Uthe hatte in seinem Plädoyer für beide Angeklagte Haftstrafen von dreieinhalb Jahren gefordert. Die Verteidiger reklamierten Freisprüche.