Saarbruecker Zeitung

„Unersättli­che Gier“nach Schmiergel­d für Aufträge

Korruption bei der Dillinger Hütte: Landgerich­t verurteilt Ex-Abteilungs­leiter L. und Unternehme­r Baron von S. zu Haftstrafe­n.

- VON MICHAEL JUNGMANN

Bernd Weidig, Vorsitzend­er Richter der Wirtschaft­sstrafkamm­er II des Landgerich­ts, nimmt sich viel Zeit, um das Urteil ausführlic­h, fast akribisch zu begründen. Zwei Stunden erläutert er, warum das Gericht von der Schuld der beiden Angeklagte­n, dem 62-jährigen Ex-Abteilungs­leiter L. der Dillinger Hütte (DH) und dem 69 Jahre alten Geschäftsm­ann Baron von S., überzeugt ist. Der Richter spricht von einem „wirtschaft­skriminell­en System“und von einer „hochprofes­sionellen Struktur“, mit der das Duo jahrelang gearbeitet habe. Dem früheren Leiter der DH-Neubauabte­ilung attestiert Weidig für die Strafkamme­r

(drei Profiricht­er und zwei Schöffen) eine „unersättli­che Gier“nach Schmiergel­d. Entgegen der Anklagesch­rift sieht das Gericht zwischenze­itlich den früher hoch dotierten Angestellt­en (Monatsgeha­lt angeblich rund 15 000 Euro) als Haupttäter und den Baron als dessen „Gehilfen“, was letztlich auch zu einer geringeren Strafe führe.

Der Ex-Angestellt­e mit Adresse in Lothringen, auf den noch zivilrecht­liche Ansprüche seines früheren Arbeitgebe­rs in Millionenh­öhe warten sollen, wird wegen wettbewerb­sbeschränk­ender Absprachen in sieben Fällen und Bestechlic­hkeit in 33 Fällen zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. 788 500 Euro an Schmiergel­d, die der Franzose kassiert haben soll, werden eingezogen.

Gegen den Baron verhängte das Gericht – unter Berücksich­tigung einer früheren Verurteilu­ng – eine Gesamtstra­fe von drei Jahren Haft. Der Haftbefehl gegen den einst „einflussre­ichen und erfolgreic­hen Geschäftsm­ann, der alle Fäden in der Hand hielt und die Strippen gezogen hat“, wie Weidig es formuliert­e, wurde mit der Urteilsver­kündung am Mittwochna­chmittag aufgehoben. Der Baron mit deutscher und französisc­her Staatsbürg­erschaft war im November 2019 auf der Flucht vor der deutschen Justiz in Mallorca festgenomm­en und ausgeliefe­rt worden. 17 Monate saß er seitdem in Untersuchu­ngshaft, ist jetzt zumindest vorerst wieder ein freier Mann, kann – wie der Mitangekla­gte – auf seine Ladung zum Haftantrit­t warten. Bis dahin wird es dauern, denn beide Verteidige­r, Joachim Giring und Michael Heuchemer, kündigten unmittelba­r nach der Urteilsver­kündung Revision zum Bundesgeri­chtshof (BGH) an. Eines ihrer Argumente, es seien aus ihrer Sicht rechtswidr­ig erlangte Beweismitt­el verwertet worden.

Das sehen Weidig und seine Kolleginne­n in der Strafkamme­r anderens. Es geht konkret um Audiodatei­en, die ein Zeuge und früherer Auftragneh­mer der DH den Ermittlern zur Verfügung gestellt hat. Auf den Mitschnitt­en ist demnach zu hören, wie der Baron als Vermittler

Geld für den DH-Abteilungs­leiter reklamiert, wenn im Gegenzug der Ingenieur weiter Aufträge von der Hütte haben möchte. 30 000 Euro bar in Briefumsch­lägen sollen dann wiederholt die Besitzer gewechselt haben. Fünf Prozent vom Bruttoumsa­tz des Ingenieurb­üros wurden offenbar als „Obulus“für den Abteilungs­leiter gefordert. Die Richter haben über Jahre alle Umsätze, die dessen Firmen mit der Hütte gemacht haben, selbst nachgerech­net und Auszüge verglichen. Die Rechnung ging unter dem Strich auf.

Oberstaats­anwalt Eckhard Uthe hatte in seinem Plädoyer für beide Angeklagte Haftstrafe­n von dreieinhal­b Jahren gefordert. Die Verteidige­r reklamiert­en Freisprüch­e.

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